In zahlreichen Handschriften sind Bleistiftspuren durch spätere Niederschriften in Tinte überlagert. Die Bleistiftspuren sind hier oft stark verwischt. In Kooperation mit dem LOEWE-Schwerpunkt Digital Humanities Hessen wurde multispektrale Bildverarbeitung an Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs und des Freien Deutschen Hochstifts angewendet. Damit sollten Bleistift- und Tintenschicht sowie der Papieruntergrund voneinander abgehoben werden.

Es kamen zwei Leuchten zum Einsatz, deren Strahlung in etwa dem Tageslicht entspricht. Die Strahlungsleistung betrug je 850-Lumen und lag im Bereich zweier Glühlampen zwischen 60 und 75 Watt. Aus den reflektierten und in die Kamera einfallenden Strahlen wurden in Abständen über das gesamte Lichtspektrum verteilte Wellenlängenbereiche herausgefiltert. Wenn der Farbunterschied zwischen den sich überlagernden Schreibmaterialien besonders gering war, wurde Anstelle der Leuchten Infrarot-Strahlung eingesetzt. Auf den Einsatz von Ultraviolettstrahlung wurde aus konservatorischen Gründen verzichtet.

Im Juni 2012 wurden am Freien Deutschen Hochstift Aufnahmen von Briefen Hugo von Hofmannsthals und von den zum ‚Faust‘ gehörigen Streifen angefertigt. Gute Ergebnisse wurden bei der Kontrastierung verschiedenfarbiger Schreibmaterialien erzielt, wie etwa einem Brief Hofmannsthals, bei dem schwarze mit dunkelblauer Tinte gezielt unlesbar gemacht worden war (Abb. 1, 2). Die Separation war möglich, weil die dunkelblaue Tinte vom menschlichen Auge zwar schwer von der schwarzen zu unterscheiden ist, für einen Teil des Lichtspektrums (Wellenlänge um 440 nm) aber einen hohen Reflexionsgrad aufweist.

Die Aufnahme zeigt, dass die dunkelblaue Tinte einen bestimmten Teil des Lichtspektrums stark reflektiert, während die durch sie unlesbar gemachte schwarze Tinte auch diesen Teil des Lichtspektrums absorbiert und sich dadurch deutlich von der dunkelblauen abhebt. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich bei den von vornherein nicht ganz schwarzen oder durch Korrosion braun gewordenen Eisengallustinten der im Goethe- und Schiller-Archiv befindlichen Handschriften zum ‚Faust‘ (die Aufnahmen wurden in Kooperation mit Manuel Raaf am 27. und 28. März 2013 angefertigt). Auch diese Tinten reflektieren einen Teil des Lichtspektrums stärker als andere Teile und geben so den Blick auf die zugrundeliegende Bleistiftschicht frei (Abb. 3 und 4).

Durch rechnergestützte Kombination der Bilder aus verschiedenen Spektralbereichen konnten die Tintenschichten vollständig unsichtbar gemacht werden. Dabei wurde sowohl ein manuelles wie auch ein automatisches Verfahren zur Kombination der Spektralaufnahmen getestet. Beim manuellen Verfahren wurden zwei Spektralaufnahmen ausgewählt und mit einer Bildverarbeitungssoftware subtrahierend übereinandergelegt. Beim automatischen Verfahren (scikit-learn-Framework) wurde zu jedem Bildpunkt eine Regressionsanalyse durchgeführt, wobei der Vektor der Helligkeitswerte aller Spektralaufnahmen die abhängige und der Helligkeitswert der Bleistiftspur die Zielvariable darstellte. Beide Verfahren lieferten vergleichbare Ergebnisse.

Es gelang letztlich nicht, den Kontrast zwischen stark verwischten Bleistiftspuren und dem Papieruntergrund so zu verstärken, dass zuvor unlesbare Bleistiftspuren lesbar gemacht worden wären. Gegenüber der digitalen Manipulation vorhandener Abbildungen konnten hier keine Fortschritte in Form von möglichen Lesungen erzielt werden.

Abb. 1: FDH 30942,17 (Hugo von Hofmannsthal an Gerty von Hofmannsthal, 15. Oktober 1912)
Abb. 2: FDH 30942,17 (vgl. Abb. 1). Wellenlänge: 440 nm. Text
Abb. 3: GSA 25/W 1638 (WA: 2 III H58), Vorderseite.
Abb. 4: vgl. Abb. 2. Wellenlänge: 1000 nm.
Abb. 5: Vgl. Abb. 3. Manuelles Verfahren.
Abb. 6: vgl. Abb. 3. Automatisches Verfahren.