333

Glockenklang nnd Chorgesang.

Chor der Engel.
737Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,
740Schleichenden, erblichen
Mängel umwanden.
Faust.
Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
Gewißheit einem neuen Bunde.
Chor der Weiber.
Mit Spezereyen
750Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tücher und Binden
Reinlich umwanden wir,
755Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
Chor der Engel.
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die betrübende,
760Heilsam’ und übende
Prüfung bestanden.
Faust.
Was sucht ihr mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tönt;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
Auf mich herab, in ernster Sabbathstille;
Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen Thränen
Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O! tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
Chor der Jünger.
785Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdelust
790Schaffender Freude nah;
Ach! an der Erde Brust
Sind wir zum Leide da.
Ließ er die Seinen
Schmachtend uns hier zurück;
334
795Ach! wir beweinen,
Meister, dein Glück.
Chor der Engel.
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoos.
Reisset von Banden
800Freudig euch los!
Thätig ihn preisenden,
Liebe beweisenden,
Brüderlich speisenden,
Predigend reisenden,
805Wonne verheißenden
Euch ist der Meister nah’,
807Euch ist er da!
353
Faust
und Wagner.
– – – – – – – – – – – – –
Wagner.
1011Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
Bey der Verehrung dieser Menge haben!
O! glücklich, wer von seinen Gaben
Solch einen Vortheil ziehen kann!
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh’;
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
Als käm’ das Venerabile.
Faust.
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein,
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht’ ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann;
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt,
Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
Sie welkten hin, ich muß erleben,
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
Wagner.
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann genug,
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
Faust.
O! glücklich, wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!
1070Betrachte, wie, in Abendsonne-Glut,
Die grünumgebnen Hütten schimmern.
354
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben.
Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höh’n, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
1085Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
Den Himmel über mir, und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.
Wagner.
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;
Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns die Geistesfreuden
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
Da werden Winternächte hold und schön,
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
Faust.
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
O lerne nie den andern kennen!
Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O gibt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg zu neuem buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
Und trüg’ er mich in fremde Länder!
Mir sollt’ er um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
Wagner.
Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so, und blickst erstaunt hinaus?
Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
Faust.
Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stop­pel streifen?
Wagner.
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.
Faust.
Betracht’ ihn recht! für was hälst du das Thier?
Wagner.
1150Für einen Pudel, der auf seine Weise
Sich auf der Spur des Herren plagt.
Faust.
Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
Wagner.
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.
Faust.
Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen,
Zu künftgem Band, um unsre Füße zieht.
Wagner.
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
Faust.
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
Wagner.
Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
Faust.
Geselle dich zu uns! Komm hier!
Wagner.
Es ist ein pudelnärrisch Thier.
Du stehest still, er wartet auf;
Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
Nach deinem Stock ins Wasser springen.
Faust.
Du hast wohl recht, ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur.
Wagner.
Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1175Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
Ja deine Gunst verdient er ganz und gar
1177Er, der Studenten trefflicher Scolar.
429

Trüber Tag. Feld.


Faust. Mephistopheles.
Faust.
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange
verirrt und nun gefangen! Als Missethäterinn im Kerker
zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Ge­schöpf!
Bis dahin! dahin! – Verräthrischer, nichtswürdi­ger
Geist, und das hast du mir verheimlicht! – Steh nur,
steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf her­um!
Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegen­wart!
Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen
Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen Mensch­heit!
Und mich wiegst du indeß in abgeschmackten Zerstreuun­gen,
verbirgst mir ihren wachsenden Jammer, und lässest
sie hülflos verderben!
Mephistopheles.
Sie ist die erste nicht.
Faust.
Hund! abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du unend­licher
Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt,
wie er sich oft nächtlicher Weile gefiel vor mir herzutrotten,
dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern, und sich
dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’
ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im
Sand auf dem Bauche krieche, ich ihn mit Füßen trete, den
Verworfnen! – Die erste nicht! – Jammer! Jammer!
von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Ge­schöpf
in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste
genugthat für die Schuld aller übrigen in seiner win­denden
Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir
wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzi­gen,
du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin.
Mephistopheles.
Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsers Witzes,
da wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst
du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen
kannst? Willst fliegen und bist vor’m Schwindel nicht sicher?
Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
Faust.
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir
eckelts! – Großer herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen
würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele,
warum an den Schandgesellen mich schmieden, der sich am
Schaden weidet und am Verderben sich letzt.
Mephistopheles.
Endigst du?
Faust.
Rette sie! oder weh dir! den gräßlichsten Fluch über dich
auf Jahrtausende!
Mephistopheles.
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel
nicht öffnen. – Rette sie! – Wer war’s, der sie ins Ver­derben
stürzte? Ich oder du?
430
Faust blickt wild umher.
Mephistopheles.
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden
Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig Entgegnen­den
zu zerschmettern, das ist so Tyrannen-Art, sich in Ver­legenheiten
Luft zu machen.
Faust.
Bringe mich hin! Sie soll frey seyn!
Mephistopheles.
Und die Gefahr, der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt
auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand. Ueber des Erschlagenen
Stätte schweben rächende Geister, und lauern auf
den wiederkehrenden Mörder.
Faust.
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich
Ungeheuer! Führe mich hin, sag’ ich, und befreye sie!
Mephistopheles.
Ich führe dich, und was ich thun kann, höre! Habe ich alle
Macht im Himmel und auf Erden? Des Thürners Sinne
will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel, und führe
sie heraus mit Menschenhand. Ich wache! die Zauberpferde
sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich!
Faust.
Auf und davon!