Der Tragödie zweiter Theil in fünf Actenvor 4613 Der ] 2 Hdavor Faust. 2 H  (VII)vor 4613 Acten ] 2 Hdanach (1831.) erg Ec 2 H  (VI)

Erster Act

Anmuthige Gegend

Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, schlafsuchend
Dämmerung
Geister-Kreis schwebend bewegt, anmuthige kleine Gestalten
Ariel
Gesang von Äolsharfen begleitet
4613Wenn der Blüten Frühlings-Regen
Über Alle schwebend sinkt,
4615Wenn der Felder grüner Segen
Allen Erdgebornen blinkt,
Kleiner Elfen Geistergröße
Eilet wo sie helfen kann,
Ob er heilig? ob er böse?
4620Jammert sie der Unglücksmann.
Die ihr dies Haupt umschwebt im luft’gen Kreise,
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,
Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
4625Sein Innres reinigt von verlebtem Graus.4625 verlebtem ] 2 Herlebtem 2 I H.0a  (II aa)
Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,
Dann badet ihn im Thau aus Lethe’s Fluth,
4630Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
Wenn er gestärkt dem Tag entgegen ruht;
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.
Chor
Einzeln, zu zweyen und vielen, abwechselnd und gesammtvor 4634 gesammt ] 2 Hgesammelt 2 I H.0a  (II aa)
Wenn sich lau die Lüfte füllen
4635Um den grünumschränkten Plan,
Süße Düfte, Nebelhüllen
Senkt die Dämmerung heran.
Lispelt leise süßen Frieden
Wiegt das Herz in Kindesruh;
4640Und den Augen dieses Müden
Schließt des Tages Pforte zu.
Nacht ist schon hereingesunken
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken,
4645Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd
Glänzen droben klarer Nacht,
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Pracht.
4650Schon verloschen sind die Stunden,
Hingeschwunden Schmerz und Glück;
Fühl’ es vor! Du wirst gesunden;
Traue neuem Tagesblick.
Thäler grünen, Hügel schwellen,
4655Buschen sich zu Schatten-Ruh;
Und in schwanken Silberwellen
Wogt die Saat der Erndte zu.
Wunsch um Wünsche zu erlangen
Schaue nach dem Glanze dort!
4660Leise bist du nur umfangen,
Schlaf ist Schaale, wirf sie fort!
Säume nicht dich zu erdreisten
Wenn die Menge zaudernd schweift;
Alles kann der Edle leisten,
4665Der versteht und rasch ergreift.
Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.
Ariel
Horchet! horcht! dem Sturm der Horen,
Tönend wird für Geistes-Ohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsenthore knarren rasselnd,
4670Phöbus Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
4675Schlüpfet zu den Blumenkronen,
Tiefer tiefer, still zu wohnen,
In die Felsen unters Laub;
Trifft es euch so seyd ihr taub.
Faust
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,4679 Lebens Pulse ] 2 HLebenspulse 2 I H.0a  (II aa)
4680Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen;4680 Dämmerung ] Dämmerung 2 HDäm̄merung 2 I H.0a  (I a)
Du Erde warst auch diese Nacht beständig
Und athmest neu erquickt zu meinen Füßen,
Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
4685Zum höchsten Daseyn immerfort zu streben. –
In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben4687 tausendstimmigem ] 2 Htausendstimmigen 2 I H.0a  (II aa)
Thal aus, Thal ein ist Nebelstreif ergossen,
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
4690Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen
Dem duft’gen Abgrund wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb’ an Farbe klärt sich los vom Grunde,
Wo Blum’ und Blatt von Zitterperle triefen,
Ein Paradies wird um mich her die Runde.
4695Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen
Verkünden schon die feyerlichste Stunde,
Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen
Das später sich zu uns hernieder wendet.
Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen
4700Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,
Und stufenweis herab ist es gelungen; –
Sie tritt hervor! – und, leider schon geblendet,
Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
4705Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
Erfüllungspforten findet flügeloffen,
Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
Ein Flammen-Übermaas, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
4710Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!4710 welch ] welch 2 Hwelch’ 2 I H.0a  (I b)
Ist’s Lieb? Ist’s Haß? die glühend uns umwinden,
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
So daß wir wieder nach der Erde blicken,
Zu bergen uns in jugendlichstem Schleyer.
4715So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.
Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend
Dann aber tausend Strömen sich ergießend,
4720Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
Allein wie herrlich diesem Sturm entsprießend,4721 entsprießend ] 2 Hersprießend 2 I H.0a  (II aa)
Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
4725Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
4727Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

Kaiserliche Pfalz

Saal des Thrones
Staatsrath in Erwartung des Kaisers
Trompeten
Hofgesinde aller Art prächtig gekleidet tritt vor
Der Kaiser gelangt auf den Thron, zu seiner Rechten der Astrolog
Kaiser
4728Ich grüße die Getreuen, Lieben,
Versammelt aus der Näh’ und Weite; –
4730Den Weisen seh ich mir zur Seite,
Allein wo ist der Narr geblieben?
Junker
Gleich hinter deiner Mantel-Schleppe
Stürzt’ er zusammen auf der Treppe,
Man trug hinweg das Fett-Gewicht
4735Todt oder trunken? weis man nicht.
Zweyter Junker
Sogleich mit wunderbarer Schnelle
Drängt sich ein andrer an die Stelle.
Gar köstlich ist er aufgeputzt,
Doch frazzenhaft daß jeder stutzt;
4740Die Wache hält ihm an der Schwelle
Kreuzweis die Hellebarden vor –
Da ist er doch der kühne Thor!
Mephistopheles
am Throne knieend
Was ist verwünscht und stets willkommen?
Was ist ersehnt und stets verjagt?
4745Was immerfort in Schutz genommen?
Was hart gescholten und verklagt?
Wen darfst du nicht herbeyberufen?
Wen höret jeder gern genannt?
Was naht sich deines Thrones Stufen?
4750Was hat sich selbst hinweggebannt?
Kaiser
Für diesmal spare deine Worte!
Hier sind die Räthsel nicht am Orte,
Das ist die Sache dieser Herrn. –
Da löse du! das hört ich gern:
4755Mein alter Narr ging, fürcht’ ich, weit in’s Weite;
Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.
Mephistopheles steigt hinauf und stellt sich zur Linken
Gemurmel der Menge
Ein neuer Narr – Zu neuer Pein –
Wo kommt er her – Wie kam er ein –
Der Alte fiel – der hat verthan –
4760Es war ein Faß – Nun ists ein Span –
Kaiser
Und also ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh’ und Ferne
Ihr sammelt Euch mit günstigem Sterne
Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.
4765Doch sagt warum in diesen Tagen,
Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
Schönbärte mummenschänzlich tragen
Und heitres nur genießen wollten,
Warum wir uns rathschlagend quälen sollten?
4770Doch weil ihr meynt es ging nicht anders an,
Geschehen ist’s, so sey’s gethan.
Canzler
Die höchste Tugend, wie ein Heiligen-Schein,
Umgiebt des Kaisers Haupt, nur er allein
Vermag sie gültig auszuüben:
4775Gerechtigkeit! – Was alle Menschen lieben,
Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,
Es liegt an ihm dem Volk es zu gewähren.
Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,
Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,
4780Wenns fieberhaft durchaus im Staate wüthet,
Und Übel sich in Übeln überbrütet.
Wer schaut hinab von diesem hohen Raum
Ins weite Reich, ihm scheint’s ein schwerer Traum;
Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,
4785Das Ungesetz gesetzlich überwaltet,
Und eine Welt des Irrthums sich entfaltet.
Der raubt sich Heerden, der ein Weib,
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,
Berühmt sich dessen manche Jahre
4790Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib.
Jetzt drängen Kläger sich zur Halle,
Der Richter prunkt auf hohem Pfühl,
Indessen wogt, in grimmigem Schwalle,
Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.
4795Der darf auf Schand und Frevel pochen
Der auf Mitschuldigste sich stützt,
Und: Schuldig! hörst du ausgesprochen
Wo Unschuld nur sich selber schützt.
So will sich alle Welt zerstückeln,
4800Vernichtigen was sich gebührt;
Wie soll sich da der Sinn entwickeln
Der einzig uns zum Rechten führt?
Zuletzt ein wohlgesinnter Mann
Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher,
4805Ein Richter der nicht strafen kann
Gesellt sich endlich zum Verbrecher.
Ich malte schwarz, doch dichtern Flor
Zög’ ich dem Bilde lieber vor.
Pause
Entschlüsse sind nicht zu vermeiden,
4810Wenn alle schädigen, alle leiden
Geht selbst die Majestät zu Raub.
Heermeister
Wie tobt’s in diesen wilden Tagen
Ein jeder schlägt und wird erschlagen
Und fürs Commando bleibt man taub.
4815Der Bürger hinter seinen Mauern
Der Ritter auf dem Felsennest
Verschwuren sich uns auszudauern
Und halten ihre Kräfte fest.
Der Miethsoldat wird ungeduldig,
4820Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,
Und wären wir ihm nichts mehr schuldig
Er liefe ganz und gar davon.
Verbiete wer was alle wollten,
Der hat ins Wespennest gestört;
4825Das Reich das sie beschützen sollten,
Es liegt geplündert und verheert.
Man läßt ihr Toben wüthend hausen,
Schon ist die halbe Welt verthan;
Es sind noch Könige da draußen
4830Doch keiner denkt es ging ihn irgend an.
Schatzmeister
Wer wird auf Bundsgenossen pochen!
Subsidien die man uns versprochen,
Wie Röhrenwasser, bleiben aus.
Auch Herr, in deinen weiten Staaten
4835An wen ist der Besitz gerathen?
Wohin man kommt, da hält ein Neuer Haus
Und unabhängig will er leben,
Zusehen muß man wie er’s treibt;
Wir haben soviel Rechte hingegeben,
4840Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt.
Auch auf Partheyen, wie sie heißen,
Ist heut zu Tage kein Verlaß;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb und Haß.
4845Die Ghibellinen wie die Guelfen
Verbergen sich um auszuruhn;
Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
Ein jeder hat für sich zu thun.
Die Goldespforten sind verrammelt,4849 verrammelt ] 2 Hverammelt 2 I H.0a  (II aa)
4850Ein jeder krazt und scharrt und sammelt
Und unsre Cassen bleiben leer.
Marschalk
Welch Unheil muß auch ich erfahren;
Wir wollen alle Tage sparen
Und brauchen alle Tage mehr.
4855Und täglich wächst mir neue Pein.
Den Köchen thut kein Mangel wehe;
Wildschweine, Hirsche, Hasen, Rehe,
Welschhüner, Hühner, Gäns’ und Enten,
Die Deputate, sichre Renten,
4860Sie gehen noch so ziemlich ein.
Jedoch am Ende fehlt’s an Wein.
Wenn sonst im Keller Faß an Faß sich häufte,
Der besten Berg- und Jahresläufte,
So schlürft unendliches Gesäufte
4865Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus.
Der Stadtrath muß sein Lager auch verzapfen,
Man greift zu Humpen, greift zu Napfen,
Und unterm Tische liegt der Schmaus.
Nun soll ich zahlen, alle lohnen;
4870Der Jude wird mich nicht verschonen
Der schafft Anticipationen,
Die speisen Jahr um Jahr voraus.
Die Schweine kommen nicht zu Fette,
Verpfändet ist der Pfühl im Bette,
4875Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.
Kaiser
nach einigem Nachdenken zu Mephistopheles
Sag, weist du Narr nicht auch noch eine Noth?
Mephistopheles
Ich? keineswegs. Den Glanz umher zu schauen,4877 Ich? ] 2 HIch 2 I H.0a  (II aa)
Dich und die deinen! – Mangelte Vertrauen,
Wo Majestät unweigerlich gebeut?
4880Bereite Macht Feindseliges zerstreut,
Wo guter Wille, kräftig durch Verstand
Und Thätigkeit, vielfältige, zur Hand?
Was könnte da zum Unheil sich vereinen,
Zur Finsterniß wo solche Sterne scheinen?
Gemurmel
4885Das ist ein Schalk – ders wohl versteht –
Er lügt sich ein – So lang es geht –
Ich weis schon – Was dahinter steckt –
Und was denn weiter? – Ein Project –
Mephistopheles
Wo fehlts nicht irgendwo auf dieser Welt?
4890Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weis das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
4895Und fragt ihr mich wer es zu Tage schafft:
Begabten Mann’s Natur- und Geisteskraft.
Canzler
Natur und Geist – so spricht man nicht zu Christen.
Deshalb verbrennt man Atheisten,
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
4900Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
Sie hegen zwischen sich den Zweifel
Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
Uns nicht so! – Kaisers alten Landen
Sind zwey Geschlechter nur entstanden,
4905Sie stützen würdig seinen Thron:
Die Heiligen sind es und die Ritter;
Sie stehen jedem Ungewitter
Und nehmen Kirch’ und Staat zum Lohn.
Dem Pöbelsinn verworrener Geister
4910Entwickelt sich ein Widerstand,
Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister!
Und sie verderben Stadt und Land.
Die willst du nun mit frechen Scherzen
In diese hohen Kreise schwärzen,
4915Ihr hegt euch an verderbtem Herzen,
Dem Narren sind sie nah verwandt.
Mephistopheles
Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern,
Was ihr nicht faßt das fehlt euch ganz und gar,
4920Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr sey nicht wahr,
Was ihr nicht wägt hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt das meynt ihr gelte nicht.
Kaiser
Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt.
4925Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut so schaff’ es denn.
Mephistopheles
Ich schaffe was ihr wollt und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen
4930Das ist die Kunst, wer weis es anzufangen?
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften
Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
Sein Liebstes da- und dort wohin versteckte.
4935So war’s von je in mächtiger Römer Zeit,
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben,
Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.
Schatzmeister
Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,
4940Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.
Canzler
Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen:
Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.
Marschalk
Schafft’ er uns nur zu Hof willkommne Gaben,
Ich wollte gern ein Bischen Unrecht haben.
Heermeister
4945Der Narr ist klug, verspricht was jedem frommt;
Fragt der Soldat doch nicht woher es kommt.
Mephistopheles
Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen;
Hier steht ein Mann! da! fragt den Astrologen,
In Kreis’ um Kreise kennt er Stund und Haus,
4950So sage denn wie siehts am Himmel aus?4950 aus? ] 2 Haus. 2 I H.0a  (II aa)
Gemurmel
Zwey Schelme sinds – Verstehn sich schon –
Narr und Phantast – So nah dem Thron –
Ein mattgesungen – alt Gedicht –
Der Thor bläst ein – der Weise spricht –
Astrolog
spricht, Mephistopheles bläst ein.
4955Die Sonne selbst sie ist ein lautres Gold,
Merkur der Bote dient um Gunst und Sold,
Frau Venus hat’s euch allen angethan,
So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
Die keusche Luna launet grillenhaft,
4960Mars trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.
Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.
Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
An Werth gering, doch im Gewichte schwer.
4965Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt,
Das Übrige ist alles zu erlangen,
Palläste, Gärten, Brüstlein, rothe Wangen,
Das alles schafft der hochgelahrte Mann
4970Der das vermag was unser keiner kann.
Kaiser
Ich höre doppelt was er spricht
Und dennoch überzeugt’s mich nicht.
Gemurmel
4973–4976 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Was soll uns das – Gedroschner Spaß –
Calenderey – Chymisterey –
4975Das hört ich oft – Und falsch gehofft4975 falsch gehofft ] 2 Hfalschgehofft 2 I H.0a  (II aa)
Und kommt er auch – So ists ein Gauch –
Mephistopheles
Da stehen sie umher und staunen,
Vertrauen nicht dem hohen Fund,
Der eine faselt von Alraunen
4980Der andre von dem schwarzen Hund.
Was soll es daß der eine witzelt,
Ein andrer Zauberey verklagt,
Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt
Wenn ihm der sichre Schritt versagt.
4985Ihr alle fühlt geheimes Wirken
Der ewig waltenden Natur,
Und aus den untersten Bezirken
Schmiegt sich herauf lebendge Spur.
Wem es in allen Gliedern zwackt,4989–4990 Wem bis Wem ] 2 H Wenn bis Wenn : Wem bis Wem durch Rasur 2 H Wenn bis Wenn 2 I H.0a  (II aa)
4990Wem es unheimlich wird am Platz,
Nur gleich entschlossen grabt und hackt,
Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz!
Gemurmel
4993–4998 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Mir liegts im Fuß wie Bleygewicht –
Mir krampfts im Arme – das ist Gicht –
4995Mir krabbelts an der großen Zeh’ –
Mir thut der ganze Rücken weh –
Nach solchen Zeichen wäre hier
Das allerreichste Schatzrevier.
Kaiser
Nur eilig! du entschlüpfst nicht wieder,
5000Erprobe deine Lügenschäume,
Und zeig’ uns gleich die edlen Räume.
Ich lege Schwerdt und Scepter nieder,
Und will mit eignen hohen Händen,
Wenn du nicht lügst, das Werk vollenden,
5005Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden!
Mephistopheles
Den Weg dahin wüßt’ allenfalls zu finden. –
Doch kann ich nicht genug verkünden
Was überall besitzlos harrend liegt.
Der Bauer der die Furche pflügt
5010Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,
Salpeter hofft er von der Leimenwand
Und findet golden-goldne Rolle,
Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.
Was für Gewölbe sind zu sprengen,
5015In welchen Klüften, welchen Gängen
Muß sich der Schatzbewußte drängen,
Zur Nachbarschaft der Unterwelt!
In weiten, altverwahrten Kellern,5018 altverwahrten ] 2 Hallverwahrten 2 I H.0a  (II aa)
Von goldnen Humpen, Schüsseln, Tellern,
5020Sieht er sich Reihen aufgestellt.
Pokale stehen aus Rubinen
Und will er deren sich bedienen
Daneben liegt uraltes Naß.
Doch – werdet ihr dem Kundigen glauben –
5025Verfault ist längst das Holz der Dauben5025 Dauben ] Tauben 2 H 2 I H.0aDauben C.1 12 C.3 12  (I a)
Der Weinstein schuf dem Wein ein Faß.
Essenzen solcher edlen Weine,
Gold und Juwelen nicht alleine
Umhüllen sich mit Nacht und Graus.
5030Der Weise forscht hier unverdrossen;
Am Tag’ erkennen das sind Possen,
Im Finstern sind Mysterien zu Haus.
Kaiser
Die laß ich dir! Was will das Düstre frommen?
Hat etwas Werth, es muß zu Tage kommen.
5035Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau?
Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.
Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht;
Zieh’ deinen Pflug, und ackre sie ans Licht.
Mephistopheles
Nimm Hack’ und Spaten grabe selber,
5040Die Bauernarbeit macht dich groß,
Und eine Heerde goldner Kälber
Sie reißen sich vom Boden los.
Dann ohne Zaudern, mit Entzücken,
Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken;
5045Ein leuchtend Farb- und Glanzgestein erhöht
Die Schönheit wie die Majestät.
Kaiser
Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!
Astrolog
wie oben
Herr mäßige solch dringendes Begehren,
Laß erst vorbey das bunte Freudenspiel;
5050Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel.
Erst müssen wir in Fassung uns versühnen,
Das Untre durch das Obere verdienen.
Wer Gutes will der sey erst gut;
Wer Freude will besänftige sein Blut;
5055Wer Wein verlangt der keltre reife Trauben,
Wer Wunder hofft der stärke seinen Glauben.
Kaiser
So sey die Zeit in Fröhlichkeit verthan!
Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
Indessen feyern wir, auf jeden Fall,
5060Nur lustiger das wilde Carneval.
Trompeten, Exeunt
Mephistopheles
Wie sich Verdienst und Glück verketten
Das fällt den Thoren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten
5064Der Weise mangelte dem Stein.
Weitläufiger Saal, mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz
Herold
5065Denkt nicht ihr seyd in deutschen Gränzen
Von Teufels-, Narren- und Todtentänzen,
Ein heitres Fest erwartet euch.
Der Herr, auf seinen Römerzügen
Hat, sich zu Nutz, euch zum Vergnügen,
5070Die hohen Alpen überstiegen,
Gewonnen sich ein heitres Reich.
Der Kaiser, er, an heiligen Solen,
Erbat sich erst das Recht zur Macht,
Und als er ging die Krone sich zu holen,
5075Hat er uns auch die Kappe mitgebracht.
Nun sind wir alle neugeboren;
Ein jeder weltgewandte Mann
Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
Sie ähnlet ihn verrückten Thoren,
5080Er ist darunter weise wie er kann.
Ich sehe schon wie sie sich schaaren,
Sich schwankend sondern, traulich paaren;
Zudringlich schließt sich Chor an Chor.
Herein, hinaus, nur unverdrossen;
5085Es bleibt doch endlich nach wie vor,
Mit ihren hunderttausend Possen,
Die Welt ein einziger großer Thor.
Gärtnerinnen
Gesang begleitet von Mandolinen
Euren Beyfall zu gewinnen
Schmückten wir uns diese Nacht,
5090Junge Florentinerinnen
Folgten deutschen Hofes Pracht;
Tragen wir in braunen Locken
Mancher heiteren Blume Zier,
Seidenfäden, Seidenflocken
5095Spielen ihre Rolle hier.
Denn wir halten es verdienstlich,
Lobenswürdig ganz und gar,
Unsere Blumen, glänzend künstlich,
Blühen fort das ganze Jahr.
5100Allerley gefärbten Schnitzeln
Ward symmetrisch Recht gethan;
Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln,
Doch das Ganze zieht euch an.
Niedlich sind wir anzuschauen,
5105Gärtnerinnen und galant;
Denn das Naturell der Frauen
Ist so nah mit Kunst verwandt.5107 verwandt. ] 2 Hverwandt 2 I H.0a  (II aa)
Herold
Laßt die reichen Körbe sehen
Die ihr auf den Häupten traget,
5110Die sich bunt am Arme blähen,
Jeder wähle was behaget.
Eilig daß in Laub und Gängen
Sich ein Garten offenbare,
Würdig sind sie zu umdrängen
5115Krämerinnen wie die Waare.
Gärtnerinnen
Feilschet nun am heitern Orte,
Doch kein Markten finde statt!
Und mit sinnig kurzem Worte
Wisse jeder was er hat.
Olivenzweig mit Früchten
5120Keinen Blumenflor beneid’ ich,
Allen Widerstreit vermeid’ ich;
Mir ists gegen die Natur.
Bin ich doch das Mark der Lande,
Und, zum sichern Unterpfande,
5125Friedenszeichen jeder Flur.
Heute, hoff’ ich, soll mirs glücken
Würdig schönes Haupt zu schmücken.
Ährenkranz
golden
Ceres Gaben, euch zu putzen,
Werden hold und lieblich stehn:
5130Das Erwünschteste dem Nutzen
Sey als eure Zierde schön.
Phantasiekranz
Bunte Blumen Malven ähnlich
Aus dem Moos ein Wunderflor!
Der Natur ist’s nicht gewöhnlich
5135Doch die Mode bringts hervor.
Phantasie-Straus
Meinen Namen euch zu sagen
Würde Theophrast nicht wagen,
Und doch hoff’ ich wo nicht allen,
Aber mancher zu gefallen,
5140Der ich mich wohl eignen möchte,
Wenn sie mich ins Haar verflöchte,
Wenn sie sich entschließen könnte
Mir am Herzen Platz vergönnte.
Ausforderung
Mögen bunte Phantasien
5145Für des Tages Mode blühen,
Wunderseltsam seyn gestaltet5146 Wunderseltsam ] 2 HWunder seltsam 2 I H.0a  (II aa)
Wie Natur sich nie entfaltet;
Grüne Stiele, goldne Glocken
Blickt hervor aus reichen Locken! –
5150Doch wir
Rosenknospen
5150halten uns versteckt,
Glücklich wer uns frisch entdeckt.
Wenn der Sommer sich verkündet5152–5153 verkündet bis entzündet ] 2 I H.0aentzündet bis verkündet 2 H entzündet bis entzündet : verkündet bis entzündet vorschl Ri bill G 2 I H.0a   (II d*)
Rosenknospe sich entzündet,
Wer mag solches Glück entbehren?
5155Das Versprechen, das Gewähren.
Das beherrscht, in Florens Reich,
Blick und Sinn und Herz zugleich.
Unter grünen Laubgängen putzen die Gärtnerinnen zierlich ihren Kram auf.
Gärtner
Gesang begleitet von Theorben
Blumen sehet ruhig sprießen
Reizend euer Haupt umzieren,
5160Früchte wollen nicht verführen,
Kostend mag man sie genießen.
Bieten bräunliche Gesichter
Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,
Kauft! denn gegen Zung’ und Gaumen
5165Hält sich Auge schlecht als Richter.
Kommt von allerreifsten Früchten
Mit Geschmack und Lust zu speisen!
Über Rosen läßt sich dichten,
In die Äpfel muß man beißen.
5170Seys erlaubt uns anzupaaren
Eurem reichen Jugendflor,
Und wir putzen reifer Waaren
Fülle nachbarlich empor.
Unter lustigen Gewinden
5175In geschmückter Lauben Bucht,
Alles ist zugleich zu finden:
Knospe, Blätter, Blume, Frucht.
Unter Wechselgesang, begleitet von Guitarren und Theorben, fahren beyde Chöre fort ihre Waaren stufenweis in die Höhe zu schmücken und auszubieten.
Mutter und Tochter
Mutter
Mädchen als du kamst ans Licht
Schmückt ich dich im Häubchen,
5180Warst so lieblich von Gesicht,
Und so zart am Leibchen.
Dachte dich sogleich als Braut,5182 dich ] 2 I H.12asie 2 H 2 I H.0a  (II b)
Gleich dem Reichsten angetraut,
Dachte dich als Weibchen.
5185Ach! Nun ist schon manches Jahr
Ungenützt verflogen,
Der Sponsirer bunte Schaar
Schnell vorbey gezogen;
Tanztest mit dem einen flink,
5190Gabst dem andern stillen Wink5190 stillen ] 2 I H.0a stillen : feinen G 2 H   (II c*)
Mit dem Ellenbogen.
Welches Fest man auch ersann,
Ward umsonst begangen,
Pfänderspiel und dritter Mann
5195Wollten nicht verfangen;
Heute sind die Narren los,
Liebchen öffne deinen Schoos,
Bleibt wohl einer hangen.
Gespielinnen jung und schön gesellen sich hinzu, ein vertrauliches Geplauder wird laut.
Fischer und Vogelsteller Mit Netzen, Angel und Leimruthen, auch sonstigem Geräthe treten auf, mischen sich unter die schönen Kinder. Wechselseitige Versuche zu gewinnen, zu fangen, zu entgehen und fest zu halten geben zu den angenehmsten Dialogen Gelegenheit.
Holzhauer
treten ein ungestüm und ungeschlacht
Nur Platz! nur Blöße!
5200Wir brauchen Räume,
Wir fällen Bäume
Die krachen schlagen;
Und wenn wir tragen
Da giebt es Stöße.
5205Zu unserm Lobe
Bringt dies ins Reine;
Denn wirkten Grobe
Nicht auch im Lande,
Wie kämen Feine
5210Für sich zu Stande,
So sehr sie witzten?
Des seyd belehret;
Denn ihr erfröret
Wenn wir nicht schwitzten.
Pulcinelle
täppisch fast läppisch
5215Ihr seyd die Thoren
Gebückt geboren.
Wir sind die Klugen
Die nie was trugen;
Denn unsre Kappen
5220Jacken und Lappen
Sind leicht zu tragen.
Und mit Behagen
Wir immer müßig
Pantoffelfüßig,
5225Durch Markt und Haufen
Einher zu laufen.
Gaffend zu stehen,
Uns anzukrähen;
Auf solche Klänge
5230Durch Drang und Menge
Aalgleich zu schlüpfen,
Gesammt zu hüpfen,
Vereint zu toben.
Ihr mögt uns loben,
5235Ihr mögt uns schelten
Wir lassens gelten.
Parasiten
schmeichelnd-lüstern
Ihr wackern Träger
Und eure Schwäger,
Die Kohlenbrenner,
5240Sind unsre Männer.
Denn alles Bücken,
Bejah’ndes Nicken,
Gewundne Phrasen,
Das Doppelblasen,
5245Das wärmt und kühlet
Wie’s einer fühlet,
Was könnt es frommen?
Es möchte Feuer
Selbst ungeheuer
5250Vom Himmel kommen,
Gäb’ es nicht Scheite
Und Kohlentrachten
Die Heerdesbreite
Zur Glut entfachten.
5255Da brät’s und prudelt’s,
Da kocht’s und strudelt’s.
Der wahre Schmecker,
Der Tellerlecker,
Er riecht den Braten,
5260Er ahnet Fische;
Das regt zu Thaten
An Gönners Tische.
Trunkner
unbewußt
Sey mir heute nichts zuwider!
Fühle mich so frank und frey;
5265Frische Lust und heitre Lieder5265 Lust ] 2 I H.15bLuft : Lust G 2 I H.15bLuft 2 H 2 I H.0a C1 41 C3 41Lust zS 2 H Q  (II b, VI)
Holt’ ich selbst sie doch herbey.
Und so trink’ ich! trinke, trinke.
Stoßet an ihr! Tinke, Tinke!
Du dorthinten komm heran!
5270Stoßet an, so ists gethan.
Schrie mein Weibchen doch entrüstet,
Rümpfte diesem bunten Rock,
Und, wie sehr ich mich gebrüstet,
Schalt mich einen Maskenstock.
5275Doch ich trinke! Trinke, Trinke!
Angeklungen! Tinke, Tinke!
Maskenstöcke stoßet an!
Wenn es klingt so ists gethan.
Saget nicht daß ich verirrt bin,
5280Bin ich doch wo mir’s behagt.
Borgt der Wirth nicht, borgt die Wirthin,
Und am Ende kneipt die Magd.5282 kneipt ] 2 I H.0akneipt 2 I H.15b 2 H 2 I H.0aborgt Ec 2 H  (VI)
Immer trink’ ich! Trinke, Trinke!
Auf ihr Andern! Tinke, Tinke!
5285Jeder jedem! so fortan!
Dünkt mich’s doch es sey gethan.
Wie und wo ich mich vergnüge
Mag es immerhin geschehn;
Laßt mich liegen wo ich liege,
5290Denn ich mag nicht länger stehn.
Chor
Jeder Bruder trinke, trinke!
Toastet frisch ein Tinke, Tinke!
Sitzet fest auf Bank und Span,
Unterm Tisch Dem ist’s gethan.
Der Herold Kündigt verschiedene Poeten an. Naturdichter, Hof- und Rittersänger, zärtliche so wie Enthusiasten. Im Gedräng von Mitwerbern aller Art, läßt keiner den Andern zum Vortrag kommen. Einer schleicht mit wenigen Worten vorbey.vor 5295 vorbey ] 2 Hvorüber 2 I H.0a  (II aa)
Satyriker
5295Wißt ihr was mich Poeten
Erst recht erfreuen sollte?
Dürft’ ich singen und reden
Was niemand hören wollte.
Die Nacht- und Grabdichter lassen sich entschuldigen, weil sie so eben im interessantesten Gespräch mit einem frischerstandenen Vampyren begriffen seyen; woraus eine neue Dichtart sich vielleicht entwickeln könnte; der Herold muß es gelten lassen und ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.
Die Grazien
Aglaia
Anmuth bringen wir in’s Leben;
5300Leget Anmuth in das Geben.
Hegemone
Leget Anmuth ins Empfangen,
Lieblich ist’s den Wunsch erlangen.
Euphrosyne
Und in stiller Tage Schranken
Höchst anmuthig sey das Danken.
Die Parzen
Atropos
5305Mich die älteste zum Spinnen
Hat man diesmal eingeladen;
Viel zu denken, viel zu sinnen
Giebts beym zarten Lebensfaden.
Daß er euch gelenk und weich sey
5310Wußt’ ich feinsten Flachs zu sichten;
Daß er glatt und schlank und gleich sey
Wird der kluge Finger schlichten.
Wolltet ihr bey Lust und Tänzen
Allzuüppig euch erweisen;
5315Denkt an dieses Fadens Gränzen,
Hütet euch! Er möchte reißen!
Klotho
Wißt in diesen letzten Tagen
Ward die Scheere mir vertraut;
Denn man war von dem Betragen
5320Unsrer Alten nicht erbaut.
Zerrt unnützeste Gespinnste
Lange sie an Licht und Luft,
Hoffnung herrlichster Gewinnste
Schleppt sie schneidend zu der Gruft.
5325Doch auch ich im Jugend-Walten,
Irrte mich schon hundertmal;
Heute mich im Zaum zu halten,
Scheere stickt im Futteral.
Und so bin ich gern gebunden,
5330Blicke freundlich diesem Ort;
Ihr in diesen freyen Stunden
Schwärmt nur immer fort und fort.
Lachesis
Mir, die ich allein verständig,
Blieb das Ordnen zugetheilt;
5335Meine Weife, stets lebendig,
Hat noch nie sich übereilt.
Fäden kommen, Fäden weifen,
Jeden lenk’ ich seine Bahn,
Keinen laß ich überschweifen,
5340Füg’ er sich im Kreis heran.
Könnt’ ich einmal mich vergessen
Wär’ es um die Welt mir bang;
Stunden zählen, Jahre messen
Und der Weber nimmt den Strang.
Herold
5345Die jetzo kommen werdet ihr nicht kennen,
Wärt ihr noch so gelehrt in alten Schriften;
Sie anzusehn die so viel Übel stiften
Ihr würdet sie willkommne Gäste nennen.
Die Furien sind es, niemand wird uns glauben,
5350Hübsch, wohlgestaltet, freundlich, jung von Jahren;
Laßt euch mit ihnen ein, ihr sollt erfahren
Wie schlangenhaft verletzen solche Tauben.
Zwar sind sie tückisch, doch am heutigen Tage
Wo jeder Narr sich rühmet seiner Mängel,
5355Auch sie verlangen nicht den Ruhm als Engel,
Bekennen sich als Stadt- und Landesplage.
Alectovor 5357 Alecto ] 2 I H.0aDie Furien erg G Alecto. 2 H  (II c*)
Was hilft es euch, ihr werdet uns vertrauen,
Denn wir sind hübsch und jung und Schmeichelkätzchen,
Hat einer unter euch ein Liebe-Schätzchen;
5360Wir werden ihm so lange die Ohren krauen5360 krauen ] 2 I H.17 2 Hkrauen. 2 I H.0a  (II aa)
Bis wir ihm sagen dürfen, Aug in Auge:
Daß sie zugleich auch dem und jenem winke,
Im Kopfe dumm, im Rücken krumm, und hinke,
Und, wenn sie seine Braut ist, gar nichts tauge.
5365So wissen wir die Braut auch zu bedrängen:
Es hat sogar der Freund, vor wenig Wochen,
Verächtliches von ihr zu der gesprochen! –
Versöhnt man sich so bleibt doch etwas hängen.
Megära
Das ist nur Spaß! denn, sind sie erst verbunden,
5370Ich nehm’ es auf, und weis in allen Fällen,
Das schönste Glück durch Grille zu vergällen;
Der Mensch ist ungleich, ungleich sind die Stunden.
Und niemand hat Erwünschtes fest in Armen,
Der sich nicht nach Erwünschterem thörig sehnte,
5375Vom höchsten Glück, woran er sich gewöhnte;
Die Sonne flieht er, will den Frost erwarmen.
Mit diesem allen weis ich zu gebahren,
Und führe her Asmodi den Getreuen,
Zu rechter Zeit Unseliges auszustreuen,
5380Verderbe so das Menschenvolk in Paaren.
Tisiphone
Gift und Dolch statt böser Zungen
Misch’ ich schärf’ ich dem Verräther;
Liebst du andre, früher, später
Hat Verderben dich durchdrungen.
5385Muß der Augenblicke Süßtes
Sich zu Gischt und Galle wandeln!
Hier kein Markten, hier kein Handeln
Wie er es beging’, er büßt es.5388 beging’ ] 2 I H.0a beging : beging’ Ri G 2 I H.0a   (II d*)
Singe keiner vom Vergeben!
5390Felsen klag’ ich meine Sache,
Echo! Horch! Erwiedert Rache;
Und wer wechselt soll nicht leben.
Herold
Belieb’ es euch zur Seite wegzuweichen,
Denn was jetzt kommt ist nicht von eures Gleichen.
5395Ihr seht wie sich ein Berg herangedrängt,
Mit bunten Teppichen die Weichen stolz behängt,
Ein Haupt mit langen Zähnen, Schlangenrüssel,
Geheimnißvoll, doch zeig’ ich euch den Schlüssel.
Im Nacken sitzt ihm zierlich-zarte Frau,
5400Mit feinem Stäbchen lenkt sie ihn genau,
Die andre droben stehend herrlich-hehr,
Umgiebt ein Glanz der blendet mich zu sehr.
Zur Seite gehn gekettet edle Frauen,
Die eine bang, die andre froh zu schauen,
5405Die eine wünscht, die andre fühlt sich frey,
Verkünde jede wer sie sey.
Furcht
Dunstige Fackeln, Lampen, Lichter,
Dämmern durchs verworrne Fest,
Zwischen diese Truggesichter
5410Bannt mich ach die Kette fest.
Fort, ihr lächerlichen Lacher!
Euer Grinsen giebt Verdacht;
Alle meine Widersacher
Drängen mich in dieser Nacht.
5415Hier! ein Freund ist Feind geworden,
Seine Maske kenn’ ich schon;
Jener wollte mich ermorden,
Nun entdeckt schleicht er davon.
Ach wie gern in jeder Richtung,
5420Flöh’ ich zu der Welt hinaus;
Doch von drüben droht Vernichtung,
Hält mich zwischen Dunst und Graus.
Hoffnung
Seyd gegrüßt ihr lieben Schwestern,
Habt ihr euch schon heut und gestern
5425In Vermumungen gefallen,
Weis ich doch gewiß von allen
Morgen wollt ihr euch enthüllen.
Und wenn wir bey Fackelscheine
Uns nicht sonderlich behagen,
5430Werden wir in heitern Tagen,
Ganz nach unserm eignen Willen,
Bald gesellig, bald alleine
Frey durch schöne Fluren wandeln,
Nach Belieben ruhn und handeln
5435Und in sorgenfreyem Leben,
Nie entbehren, stets erstreben;
Überall willkommne Gäste
Treten wir getrost hinein:
Sicherlich es muß das Beste
5440Irgendwo zu finden seyn.
Klugheit
5441–5456 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Zwey der größten Menschenfeinde
Furcht und Hoffnung angekettet,
Halt’ ich ab von der Gemeinde;
Platz gemacht! ihr seyd gerettet.
5445Den lebendigen Colossen
Führ’ ich, seht ihr, thurmbeladen
Und er wandelt unverdrossen
Schritt vor Schritt auf steilen Pfaden.
Droben aber auf der Zinne
5450Jene Göttin mit behenden
Breiten Flügeln, zum Gewinne
Allerseits sich hinzuwenden.
Rings umgiebt sie Glanz und Glorie
Leuchtend fern nach allen Seiten;
5455Und sie nennet sich Viktorie,
Göttin aller Thätigkeiten.
Zoilo-Thersites
Hu! Hu! da komm’ ich eben recht,
Ich schelt’ euch allzusammen schlecht!
Doch was ich mir zum Ziel ersah
5460Ist oben Frau Victoria,
Mit ihrem weißen Flügelpaar,
Sie dünkt sich wohl sie sey ein Aar.
Und wo sie sich nur hingewandt
Gehör’ ihr alles Volk und Land;
5465Doch, wo was Rühmliches gelingt
Es mich sogleich in Harnisch bringt.
Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
Das Schiefe grad, das Grade schief,
Das ganz allein macht mich gesund
5470So will ich’s auf dem Erdenrund.
Herold
So treffe dich, du Lumpenhund,
Des frommen Stabes Meisterstreich,
Da krümm’ und winde dich sogleich! –
Wie sich die Doppelzwerggestalt
5475So schnell zum eklen Klumpen ballt! –
– Doch Wunder! – Klumpen wird zum Ey,
Das bläht sich auf und platzt entzwey.
Nun fällt ein Zwillingspaar heraus,
Die Otter und die Fledermaus;
5480Die eine fort im Staube kriecht,
Die andre schwarz zur Decke fliegt.
Sie eilen draußen zum Verein,
Da möcht’ ich nicht der Dritte seyn.
Gemurmel
5484–5493 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Frisch! dahinten tanzt man schon –
5485Nein! Ich wollt’ ich wär davon –
Fühlst du? wie uns das umflicht,
Das gespenstische Gezücht –5487 gespenstische ] 2 HGespenstische 2 I H.0a  (II aa)
Saust es mir doch über’s Haar –
Ward ich’s doch am Fuß gewahr –
5490Keiner ist von uns verletzt –
Alle doch in Furcht gesetzt –
Ganz verdorben ist der Spas –
Und die Bestien wollten das.
Herold
Seit mir sind bey Maskeraden
5495Heroldspflichten aufgeladen,
Wach’ ich ernstlich an der Pforte,
Daß euch hier am lustigen Orte
Nichts Verderbliches erschleiche,
Weder wanke, weder weiche.
5500Doch ich fürchte durch die Fenster
Ziehen luftige Gespenster,
Und von Spuk und Zaubereyen
Wüßt’ ich euch nicht zu befreyen.
Machte sich der Zwerg verdächtig,
5505Nun! dort hinten strömt es mächtig.
Die Bedeutung der Gestalten
Möcht’ ich amtsgemäß entfalten.
Aber was nicht zu begreifen
Wüßt’ ich auch nicht zu erklären,
5510Helfet alle mich belehren! –
Seht ihr’s durch die Menge schweifen? –
Vierbespannt ein prächtiger Wagen
Wird durch alles durchgetragen;
Doch er theilet nicht die Menge,
5515Nirgend seh’ ich ein Gedränge.
Farbig glitzert’s in der Ferne,
Irrend leuchten bunte Sterne,
Wie von magischer Laterne.
Schnaubt heran mit Sturmgewalt.5519 Sturmgewalt ] 2 HStürmgewalt 2 I H.0a  (II aa)
5520Platz gemacht! Mich schaudert’s!
Knabe
Wagenlenker
5520Halt!
Rosse hemmet eure Flügel,
Fühlet den gewohnten Zügel,
Meistert euch wie ich euch meistre,
Rauschet hin wenn ich begeistre –
5525Diese Räume laßt uns ehren,
Schaut umher wie sie sich mehren
Die Bewundrer, Kreis um Kreise.
Herold auf! nach deiner Weise,
Ehe wir von euch entfliehen,
5530Uns zu schildern uns zu nennen;
Denn wir sind Allegorien
Und so solltest du uns kennen.
Herold
Wüßte nicht dich zu benennen,
Eher könnt’ ich dich beschreiben.
Knabe Lenker
5535So probir’s!
Herold
5535Man muß gestehn:
Erstlich bist du jung und schön.
Halbwüchsiger Knabe bist du; doch die Frauen
Sie möchten dich ganz ausgewachsen schauen.
Du scheinest mir ein künftiger Sponsirer
5540Recht so von Haus aus ein Verführer.
Knabe Lenker
Das läßt sich hören! fahre fort
Erfinde dir des Räthsels heitres Wort.
Herold
Der Augen schwarzer Blitz, die Nacht der Locken
Erheitert von juwelnem Band!
5545Und welch ein zierliches Gewand
Fließt dir von Schultern zu den Socken,
Mit Purpursaum und Glitzertand!
Man könnte dich ein Mädchen schelten,
Doch würdest du, zu Wohl und Weh,
5550Auch jetzo schon bey Mädchen gelten,
Sie lehrten dich das A. B. C.
Knabe Lenker
Und dieser der als Prachtgebilde
Hier auf dem Wagenthrone prangt?
Herold
Er scheint ein König reich und milde,
5555Wohl dem der seine Gunst erlangt!
Er hat nichts weiter zu erstreben,
Wo’s irgend fehlte späht sein Blick,
Und seine reine Lust zu geben
Ist größer als Besitz und Glück.
Knabe Lenker
5560Hiebey darfst du nicht stehen bleiben,
Du mußt ihn recht genau beschreiben.
Herold
Das Würdige beschreibt sich nicht.
Doch das gesunde Mondgesicht,
Ein voller Mund, erblühte Wangen,
5565Die unterm Schmuck des Turbans prangen.
Im Faltenkleid ein reich Behagen!
Was soll ich von dem Anstand sagen?
Als Herrscher scheint er mir bekannt.
Knabe Lencker
Plutus, des Reichthums Gott genannt,
5570Derselbe kommt in Prunk daher,
Der hohe Kaiser wünscht ihn sehr.
Herold
Sag von dir selber auch das Was und Wie?
Knabe Lenker
Bin die Verschwendung, bin die Poesie;
Bin der Poet, der sich vollendet
5575Wenn er sein eigenst Gut verschwendet.
Auch ich bin unermeßlich reich
Und schätze mich dem Plutus gleich,
Beleb’ und schmück’ ihm Tanz und Schmaus,
Das was ihm fehlt das theil’ ich aus.
Herold
5580Das Prahlen steht dir gar zu schön,
Doch laß uns deine Künste sehn.
Knabe Lenker
Hier seht mich nur ein Schnippchen schlagen,
Schon glänzt’s und glitzert’s um den Wagen.
Da springt eine Perlenschnur hervor
immerfort umherschnippend
5585Nehmt goldne Spange für Hals und Ohr;
Auch Kamm und Krönchen ohne Fehl,
In Ringen köstlichstes Juwel;
Auch Flämmchen spend’ ich dann und wann,
Erwartend wo es zünden kann.
Herold
5590Wie greift und hascht die liebe Menge!
Fast kommt der Geber ins Gedränge.
Kleinode schnippt er wie im Traum5592 im ] 2 Hein 2 I H.0a  (II aa)
Und alles hascht im weiten Raum.
Doch da erleb’ ich neue Pfiffe;
5595Was einer noch so emsig griffe
Deß hat er wirklich schlechten Lohn,
Die Gabe flattert ihm davon.
Es löst sich auf das Perlenband,
Ihm krabbeln Käfer in der Hand,
5600Er wirft sie weg der arme Tropf,
Und sie umsummen ihm den Kopf.
Die andern statt solider Dinge
Erhaschen frevle Schmetterlinge.
Wie doch der Schelm so viel verheißt,
5605Und nur verleiht was golden gleißt!
Knabe Lenker
Zwar Masken, merk’ ich, weist du zu verkünden,
Allein der Schaale Wesen zu ergründen
Sind Herolds Hofgeschäfte nicht;
Das fordert schärferes Gesicht.
5610Doch hüt’ ich mich vor jeder Fehde;
An dich, Gebieter, wend ich Frag und Rede.
zu Plutus gewendet
Hast du mir nicht die Windesbraut
Des Viergespannes anvertraut?
Lenk’ ich nicht glücklich wie du leitest?
5615Bin ich nicht da wohin du deutest?
Und wußt’ ich nicht auf kühnen Schwingen
Für dich die Palme zu erringen?
Wie oft ich auch für dich gefochten,
Mir ist es jederzeit geglückt:
5620Wenn Lorbeer deine Stirne schmückt,
Hab’ ich ihn nicht mit Sinn und Hand geflochten?
Plutus
Wenn’s nöthig ist daß ich dir Zeugniß leiste,
So sag’ ich gern: Bist Geist von meinem Geiste.
Du handelst stets nach meinem Sinn,
5625Bist reicher als ich selber bin.
Ich schätze, deinen Dienst zu lohnen,
Den grünen Zweig vor allen meinen Kronen,
Ein wahres Wort verkünd’ ich allen:
Mein lieber Sohn an dir hab’ ich Gefallen.
Knabe Lenker
zur Menge
5630Die größten Gaben meiner Hand
Seht! hab’ ich ringsumher gesandt.
Auf dem und jenem Kopfe glüht
Ein Flämmchen das ich angesprüht,
Von einem zu dem andern hüpft’s,
5635An diesem hält sich’s, dem entschlüpft’s,
Gar selten aber flammt’s empor,
Und leuchtet rasch in kurzem Flor;
Doch vielen, eh mans noch erkannt,
Verlischt es, traurig ausgebrannt.
Weiber Geklatsch
56405640–5645 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Da droben auf dem Viergespann
Das ist gewiß ein Charlatan;
Gekauzt da hintendrauf Hanswurst,
Doch abgezehrt von Hunger und Durst,
Wie man ihn niemals noch erblickt.
5645Er fühlt wohl nicht wenn man ihn zwickt.
Der Abgemagerte
Vom Leibe mir ekles Weibsgeschlecht!
Ich weis dir komm ich niemals recht. –
Wie noch die Frau den Heerd versah,
Da hies ich Avaritia;
5650Da stand es gut um unser Haus:
Nur viel herein, und nichts hinaus!
Ich eiferte für Kist und Schrein;
Das sollte wohl gar ein Laster seyn.
Doch als in allerneusten Jahren
5655Das Weib nicht mehr gewohnt zu sparen,
Und, wie ein jeder böser Zahler,5656 böser ] 2 I H.0aböser 2 I H.24c 2 H C1 41 C3 41böse zS 2 H Q  (VI)
Weit mehr Begierden hat als Thaler,
Da bleibt dem Manne viel zu dulden,
Wo er nur hinsieht da sind Schulden.
5660Sie wendet’s, kann sie was erspulen,
An ihren Leib, an ihren Buhlen;
Auch speist sie besser, trinkt noch mehr
Mit der Sponsirer leidigem Heer;
Das steigert mir des Goldes Reiz:
5665Bin männlichen Geschlechts, der Geiz!
Hauptweib
Mit Drachen mag der Drache geitzen,
Ist’s doch am Ende Lug und Trug!
Er kommt die Männer aufzureizen,
Sie sind schon unbequem genug.
Weiber in Masse
56705670–5674 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Der Strohmann! Reich ihm eine Schlappe!
Was will das Marterholz uns dräun?
Wir sollen seine Fratze scheun!
Die Drachen sind von Holz und Pappe,
Frisch an und dringt auf ihn hinein!
Herold
5675Bey meinem Stabe! Ruh gehalten! –
Doch braucht es meiner Hülfe kaum,
Seht wie die grimmen Ungestalten
Bewegt im rasch gewonnenen Raum
Das Doppel-Flügelpaar entfalten.
5680Entrüstet schütteln sich der Drachen
Umschuppte, feuerspeiende Rachen;
Die Menge flieht, rein ist der Platz.
Plutus steigt vom Wagen
Herold
Er tritt herab wie königlich!
Er winkt, die Drachen rühren sich,
5685Die Kiste haben sie vom Wagen
Mit Gold und Geitz herangetragen,
Sie steht zu seinen Füßen da:
Ein Wunder ist es wie’s geschah.
Plutus
zum Lenker
Nun bist du los der alzulästigen Schwere,
5690Bist frey und frank, nun frisch zu deiner Sphäre!
Hier ist sie nicht! Verworren, schäckig, wild
Umdrängt uns hier ein frazzenhaft Gebild.
Nur wo du klar ins holde Klare schaust,
Dir angehörst und dir allein vertraust,
5695Dorthin wo Schönes Gutes nur gefällt,
Zur Einsamkeit! – Da schaffe deine Welt.
Knabe Lenker
So acht’ ich mich als werthen Abgesandten,
So lieb’ ich dich als nächsten Anverwandten.
Wo du verweilst ist Fülle, wo ich bin
5700Fühlt jeder sich im herrlichsten Gewinn;
Auch schwankt er oft im widersinnigen Leben:
Soll er sich dir? soll er sich mir ergeben?
Die deinen freylich können müssig ruhn,
Doch wer mir folgt hat immer was zu thun.
5705 Nicht ins Geheim vollführ’ ich meine Thaten,
Ich athme nur und schon bin ich verrathen.
So lebe wohl! du gönnst mir ja mein Glück,5707 wohl! du ] 2 I H.32 wohl du : wohl! du G 2 I H.32 wohl! du, 2 H 2 I H.0awohl! Du C.1 12 C.3 12  (II b)
Doch lisple leis’ und gleich bin ich zurück.
ab wie er kam
Plutus
Nun ist es Zeit die Schätze zu entfesseln!
5710Die Schlösser treff’ ich mit des Herolds Ruthe.
Es thut sich auf! schaut her! in ehrnen Kesseln
Entwickelt sichs und wallt von goldnem Blute,
Zunächst der Schmuck von Kronen, Ketten, Ringen;
Es schwillt und droht ihn schmelzend zu verschlingen.
Wechselgeschrey der Menge
57155715–5726 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)Seht hier, o hin! wie’s reichlich quillt
Die Kiste bis zum Rande füllt. –
Gefäße goldne schmelzen sich,
Gemünzte Rollen wälzen sich. –
Dukaten hüpfen wie geprägt,
5720O wie mir das den Busen regt –
Wie schau ich alle mein Begehr!
Da kollern sie am Boden her. –
Man bietet’s euch, benutzts nur gleich
Und bückt euch nur und werdet reich. –
5725Wir andern, rüstig wie der Blitz,
Wir nehmen den Koffer in Besitz.
Herold
Was soll’s ihr Thoren? soll mir das?
Es ist ja nur ein Maskenspas.
Heut Abend wird nicht mehr begehrt;
5730Glaubt ihr man geb euch Gold und Werth?
Sind doch für euch in diesem Spiel
Selbst Rechenpfennige zuviel.
Ihr Täppischen! ein artiger Schein
Soll gleich die plumpe Wahrheit seyn.
5735Was soll euch Wahrheit? – dumpfen Wahn
Packt ihr an allen Zipfeln an. –
Vermumter Plutus, Maskenheld,
Schlag dieses Volk mir aus dem Feld.
Plutus
Dein Stab ist wohl dazu bereit,
5740Verleih’ ihn mir auf kurze Zeit. –
Ich tauch’ ihn rasch in Sud und Glut. –
Nun! Masken seyd auf eurer Hut.
Wie’s blitzt und platzt, in Funken sprüht!
Der Stab schon ist er angeglüht.
5745Wer sich zu nah herangedrängt
Ist unbarmherzig gleich versengt. –
Jetzt fang’ ich meinen Umgang an.
Geschrey und Gedräng
5748–5756 nicht eingerückt 2 I H.0a  (I c)O weh! Es ist um uns gethan. –
Entfliehe wer entfliehen kann! –
5750Zurück zurück du Hindermann! –5750 Hindermann ] 2 H 2 I H.0aHintermann Ec 2 H  (VI)
Mir sprüht es heiß ins Angesicht. –
Mich drückt des glühenden Stabs Gewicht –
Verloren sind wir all und all. –
Zurück zurück, du Maskenschwall!
5755Zurück zurück, unsinniger Hauf –
O hätt’ ich Flügel flög’ ich auf. –
Plutus
Schon ist der Kreis zurückgedrängt
Und niemand glaub’ ich ist versengt
Die Menge weicht;
5760Sie ist verscheucht. –
Doch solcher Ordnung Unterpfand
Zieh’ ich ein unsichtbares Band.
Herold
Du hast ein herrlich Werk vollbracht,
Wie dank’ ich deiner klugen Macht!
Plutus
5765Noch braucht es, edler Freund, Geduld;
Es droht noch mancherley Tumult.
Geiz
So kann man doch, wenn es beliebt,
Vergnüglich diesen Kreis beschauen;
Denn immerfort sind vornen an die Frauen
5770Wo’s was zu gaffen was zu naschen giebt.
Noch bin ich nicht so völlig eingerostet:
Ein schönes Weib ist immer schön;
Und heute weil es mich nichts kostet,
So wollen wir getrost sponsiren gehn.
5775Doch weil an überfülltem Orte5775 an ] 2 I H.33am 2 H 2 I H.0a  (II b)
Nicht jedem Ohr vernehmlich alle Worte,
Versuch’ ich klug und hoff’ es soll mir glücken,
Mich pantomimisch deutlich auszudrücken.
Hand, Fuß, Gebärde reicht mir da nicht hin,
5780Da muß ich mich um einen Schwank bemühn.
Wie feuchten Thon will ich das Gold behandeln,
Denn dies Metall läßt sich in alles wandeln.
Herold
Was fängt der an der magre Thor!
Hat so ein Hungermann Humor?
5785Er knetet alles Gold zu Teig,
Ihm wird es untern Händen weich,
Wie er es drückt und wie es ballt
Bleibt’s immer doch nur ungestalt.
Er wendet sich zu den Weibern dort,
5790Sie schreyen alle, möchten fort,
Gebärden sich gar widerwärtig;
Der Schalk erweist sich übelfertig.
Ich fürchte daß er sich ergötzt
Wenn er die Sittlichkeit verletzt.
5795Dazu darf ich nicht schweigsam bleiben,
Gieb meinen Stab, ihn zu vertreiben.
Plutus
Er ahnet nicht was uns von außen droht;
Laß ihn die Narrentheidung treiben,
Ihm wird kein Raum für seine Possen bleiben;
5800Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die Noth.
Getümmel und Ungesangvor 5801 Ungesang ] 2 HGesang 2 I H.0a  (II aa)
Das wilde Heer es kommt zumal
Von Bergeshöh’ und Waldes Thal,
Unwiderstehlich schreitet’s an:
Sie feyern ihren großen Pan.
5805Sie wissen doch was keiner weis
Und drängen in den leeren Kreis.
Plutus
Ich kenn’ euch wohl und euren großen Pan!
Zusammen habt ihr kühnen Schritt gethan.
Ich weis recht gut was nicht ein jeder weis,
5810Und öffne schuldig diesen strengen Kreis.5810 strengen ] 2 Hengen 2 I H.0a  (II aa)
Mag sie ein gut Geschick begleiten!
Das Wunderlichste kann geschehn;
Sie wissen nicht wohin sie schreiten,
Sie haben sich nicht vorgesehn.
Wildgesang
5815Geputztes Volk du, Flitterschau!
Sie kommen roh, sie kommen rauh,
In hohem Sprung und raschem Lauf,5817 und ] 2 Hin 2 I H.0a  (II aa)
Sie treten derb und tüchtig auf.
Faunen
Die Faunenschaar
5820Im lustigen Tanz,
Den Eichenkranz
Im krausen Haar,
Ein feines zugespitztes Ohr
Dringt an dem Lockenkopf hervor,
5825Ein stumpfes Näschen, ein breit Gesicht
Das schadet alles bey Frauen nicht:
Dem Faun wenn er die Patsche reicht
Versagt die Schönste den Tanz nicht leicht.
Satyr
Der Satyr hüpft nun hinterdrein
5830Mit Ziegenfuß und dürrem Bein,
Ihm sollen sie mager und sehnig seyn.
Und gemsenartig auf Bergeshöhn,
Belustigt er sich umherzusehn.
In Freyheitsluft erquickt alsdann
5835Verhöhnt er Kind und Weib und Mann,
Die tief in Thales Dampf und Rauch
Behaglich meinen sie lebten auch,
Da ihm doch rein und ungestört
Die Welt dort oben allein gehört.
Gnomen
5840Da trippelt ein die kleine Schaar,
Sie hält nicht gern sich Paar und Paar;
Im moosigen Kleid mit Lämplein hell
Bewegt sichs durcheinander schnell,
Wo jedes für sich selber schafft,
5845Wie Leuchtameisen wimmelhaft;
Und wuselt emsig hin und her,
Beschäftigt in die Kreuz und Quer.
Den frommen Gütchen nah verwandt,
Als Felschirurgen wohl bekannt;
5850Die hohen Berge schröpfen wir,
Aus vollen Adern schöpfen wir;
Metalle stürzen wir zu Hauf,
Mit Gruß getrost: Glück auf! Glück auf!
Das ist von Grund aus wohlgemeynt:
5855Wir sind der guten Menschen Freund.
Doch bringen wir das Gold zu Tag
Damit man stehlen und kuppeln mag,
Nicht Eisen fehle dem stolzen Mann,
Der allgemeinen Mord ersann.
5860Und wer die drey Gebot veracht
Sich auch nichts aus den andern macht.
Das alles ist nicht unsre Schuld,
Drum habt sofort wie wir Geduld.
Riesen
Die wilden Männer sind’s genannt,
5865Am Harzgebirge wohl bekannt,
Natürlich nackt in aller Kraft,
Sie kommen sämtlich riesenhaft.
Den Fichtenstamm in rechter Hand
Und um den Leib ein wulstig Band,
5870Den derbsten Schurz von Zweig und Blatt,
Leibwache wie der Papst nicht hat.
Nymphen
im Chor
sie umschließen den großen Pan.
Auch kommt er an! –
Das All der Welt
Wird vorgestellt
5875Im großen Pan.
Ihr heitersten umgebet ihn,
Im Gaukeltanz umschwebet ihn,
Denn weil er ernst und gut dabey,
So will er daß man fröhlich sey.
5880Auch unterm blauen Wölbedach
Verhielt er sich beständig wach,
Doch rieseln ihm die Bäche zu,
Und Lüftlein wiegen ihn mild in Ruh.
Und wenn er zu Mittage schläft
5885Sich nicht das Blatt am Zweige regt,
Gesunder Pflanzen Balsamduft
Erfüllt die schweigsam stille Luft,
Die Nymphe darf nicht munter seyn
Und wo sie stand da schläft sie ein.
58905890 In 2 I H.41a ist der Beginn der neuen Versgruppe mit einem Abstand markiert. In 2 H und 2 I H.0a ist kein Abstand erkennbar (Seitenwechsel).  (II b)Wenn unerwartet mit Gewalt
Dann aber seine Stimm erschallt,
Wie Blitzes Knattern, Meergebraus,
Dann niemand weis wo ein wo aus,5893 wo aus ] 2 I H.41anochaus 2 Hnoch aus 2 I H.0a  (II b)
Zerstreut sich tapfres Heer im Feld
5895Und im Getümmel bebt der Held.
So Ehre dem, dem Ehre gebührt5896 Ehre ] 2 Hehre 2 I H.0a  (II aa)
Und Heil ihm der uns hergeführt!
Deputation der Gnomen
an den großen Pan
Wenn das glänzend reiche Gute
Fadenweis durch Klüfte streicht,
5900Nur der klugen Wünschelruthe
Seine Labyrinthe zeigt,
Wölben wir in dumpfen Grüften5902 dumpfen ] 2 Hdunklen 2 I H.0a  (II aa)
Troglodytisch unser Haus,
Und an reinen Tageslüften,
5905Theilst du Schätze gnädig aus.
Nun entdecken wir hieneben
Eine Quelle wunderbar,
Die bequem verspricht zu geben
Was kaum zu erreichen war.
5910Dies vermagst du zu vollenden,
Nimm es Herr in deine Hut:
Jeder Schatz in deinen Händen
Kommt der ganzen Welt zu gut.
Plutus
zum Herold
Wir müssen uns im hohen Sinne fassen
5915Und was geschieht getrost geschehen lassen,
Du bist ja sonst des stärksten Muthes voll.
Nun wird sich gleich ein Gräulichstes eräugnen,
Hartnäckig wird es Welt und Nachwelt läugnen:
Du schreib’ es treulich in dein Protokoll.
Herold
den Stab anfassend, welchen Plutus in der Hand behält
5920Die Zwerge führen den großen Pan
Zur Feuerquelle sacht heran,
Sie siedet auf vom tiefsten Schlund,
Dann sinkt sie wieder hinab zum Grund,
Und finster steht der offne Mund;
5925Wallt wieder auf in Glut und Sud,5925 Glut und Sud ] 2 I H.0aGlut und Sud 2 I H.41aSud und Glut 2 HGlut und Sud 2 I H.0a  (VII)
Der große Pan steht wohlgemuth
Freut sich des wundersamen Dings.
Und Perlenschaum sprüht rechts und links,5928 rechts ] 2 Hrecht 2 I H.0a  (II aa)
Wie mag er solchem Wesen traun?5929 solchem ] 2 I H.41asolchen 2 H 2 I H.0a  (II b)
5930Er bückt sich tief hinein zu schaun. –
Nun aber fällt sein Bart hinein! –
Wer mag das glatte Kinn wohl seyn?
Die Hand verbirgt es unserm Blick. –
Nun folgt ein großes Ungeschick
5935Der Bart entflammt und fliegt zurück.
Entzündet Kranz und Haupt und Brust,
Zu Leiden wandelt sich die Lust. –
Zu löschen läuft die Schaar herbey,
Doch keiner bleibt von Flammen frey,
5940Und wie es patscht und wie es schlägt
Wird neues Flammen aufgeregt;
Verflochten in das Element
Ein ganzer Maskenklump verbrennt.
5944 Der Beginn der neuen Versgruppe ist in 2 H durch Einrückung des Verses markiert. Die Einrückung fehlt in 2 I H.0a.  (II aa)Was aber hör’ ich wird uns kund
5945Von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund!
„O ewig unglückselge Nacht
Was hast du uns für Leid gebracht!
Verkünden wird der nächste Tag
Was niemand willig hören mag;
5950Doch hör’ ich aller Orten schreyn
„Der Kaiser“ leidet solche Pein.
O wäre doch ein andres wahr!
Der Kaiser brennt und seine Schaar.
Sie sey verflucht die ihn verführt,
5955In harzig Reis sich eingeschnürt,
Zu toben her mit Brüll-Gesang
Zu allerseitigem Untergang.
O Jugend Jugend wirst du nie
Der Freude reines Maas bezirken?
5960O Hoheit Hoheit wirst du nie
Vernünftig wie allmächtig wirken?
Schon geht der Wald in Flammen auf,
Sie züngeln leckend spitz hinauf,
Zum holzverschränkten Deckenband,
5965Uns droht ein allgemeiner Brand.
Des Jammers Maaß ist übervoll,
Ich weis nicht wer uns retten soll.
Ein Aschenhaufen einer Nacht
Liegt morgen reiche Kaiserpracht.
Plutus
5970Schrecken ist genug verbreitet,
Hülfe sey nun eingeleitet! –
Schlage heilgen Stabs Gewalt,
Daß der Boden bebt und schallt!
Du geräumig weite Luft
5975Fülle dich mit kühlem Duft;
Zieht heran, umherzuschweifen,
Nebeldünste, schwangre Streifen,
Deckt ein flammendes Gewühl;
Rieselt, säuselt, Wölkchen kräuselt,
5980Schlüpfet wallend, leise dämpfet,
Löschend überall bekämpfet,
Ihr, die lindernden, die feuchten,
Wandelt in ein Wetterleuchten
Solcher eitlen Flamme Spiel. –
5985Drohen Geister uns zu schädigen
5986Soll sich die Magie bethätigen.
Lustgarten
Morgensonne
Der Kayser, Hofleute; Faust, Mephistopheles, anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet, beyde knieen.
Faust
5987Verzeihst du, Herr, das Flammengaukelspiel?
Kayser
zum Aufstehen winkend
Ich wünsche mir dergleichen Scherze viel. –
Auf einmal sah ich mich in glüh’nder Sphäre,
5990Es schien mir fast als ob ich Pluto wäre.
Aus Nacht und Kohlen lag ein Felsengrund,
Von Flämmchen glühend. Dem und jenem Schlund
Aufwirbelten viel tausend wilder Flammen5993 wilder ] 2 I H.43awilder G 2 I H.43 G 2 I H.43awilde 2 H 2 I H.0a  (II b)
Und flackerten in Ein Gewölb zusammen.
5995Zum höchsten Dome züngelt’ es empor,
Der immer ward und immer sich verlor.
Durch fernen Raum gewundner Feuersäulen
Sah ich bewegt der Völker lange Zeilen,
Sie drängten sich im weiten Kreis heran
6000Und huldigten, wie sie es stets gethan.
Von meinem Hof’ erkannt’ ich ein und andern,
Ich schien ein Fürst von tausend Salamandern.
Mephistopheles
Das bist du, Herr! weil jedes Element
Die Majestät als unbedingt erkennt.
6005Gehorsam Feuer hast du nun erprobt;
Wirf dich ins Meer wo es am wildsten tobt,
Und kaum betritst du perlenreichen Grund,
So bildet wallend sich ein herrlich Rund;
Siehst auf und ab lichtgrüne schwanke Wellen,
6010Mit Purpursaum, zur schönsten Wohnung schwellen,
Um dich, den Mittelpunct. Bey jedem Schritt,
Wohin du gehst, gehn die Palläste mit.
Die Wände selbst erfreuen sich des Lebens,
Pfeilschnellen Wimmlens, Hin- und Widerstrebens.
6015Meerwunder drängen sich zum neuen milden Schein,
Sie schießen an, und keiner darf herein.6016 keiner ] 2 I H.44keines 2 H 2 I H.0a  (II b)
Da spielen farbig goldbeschuppte Drachen,
Der Hayfisch klafft, du lachst ihm in den Rachen.
Wie sich auch jetzt der Hof um dich entzückt,
6020Hast du doch nie ein solch Gedräng’ erblickt.
Doch bleibst du nicht vom Lieblichsten geschieden:
Es nahen sich neugierige Nereiden
Der prächtigen Wohnung in der ewigen Frische,
Die jüngsten scheu und lüstern wie die Fische,
6025Die spätern klug. Schon wird es Thetis kund,
Dem zweyten Peleus reicht sie Hand und Mund. –
Den Sitz alsdann auf des Olymps Revier . . .
Kaiser
Die luft’gen Räume die erlaß’ ich dir:
Noch früh genug besteigt man jenen Thron.
Mephistopheles
6030Und, höchster Herr! die Erde hast du schon.
Kaiser
Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht?
Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht.
Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
Versichre ich dich der höchsten aller Gnaden.
6035Sey stets bereit, wenn eure Tageswelt,
Wie’s oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.
Marschalk
tritt eilig auf
Durchlauchtigster, ich dacht’ in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
Als diese, die mich hoch beglückt,
6040In deiner Gegenwart entzückt.
Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kanns nicht heitrer seyn.
Heermeister
folgt eilig
6045Abschläglich ist der Sold entrichtet,
Das ganze Heer aufs neu verpflichtet,
Der Lanzknecht fühlt sich frisches Blut,
Und Wirth und Dirnen habens gut.
Kaiser
Wie athmet eure Brust erweitert!
6050Das faltige Gesicht erheitert!
Wie eilig tretet ihr heran!
Schatzmeister
der sich einfindet
Befrage diese die das Werk gethan.
Faust
Dem Canzler ziemts die Sache vorzutragen.
Canzler
der langsam herankommt
Beglückt genug in meinen alten Tagen. –
6055So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
er liest.
„Zu wissen sey es jedem ders begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen werth.
Ihm liegt gesichert als gewisses Pfand
6060Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
Nun ist gesorgt damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.“
nach 6062 Lücke für zwei Verse 2 H  (VII)

nach 6062 Lücke für zwei Verse 2 H  (VII)
Kaiser
Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
6065Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?
Schatzmeister
Erinnre dich! hast selbst es unterschrieben;
Erst heute Nacht. Du standst als großer Pan,
Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
„Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
6070Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.“
Du zogst sie rein, dann wards in dieser Nacht
Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht.
Damit die Wohlthat allen gleich gedeihe
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
6075Zehn, dreyßig, Funfzig, hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht wie wohl’s dem Volke that.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
6080Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
Das Alphabet ist nun erst überzählig
In diesem Zeichen wird nun jeder selig.
Kaiser
Und meinen Leuten gilts für gutes Gold?
Dem Heer, dem Hofe gnügts zu vollem Sold?
6085So sehr michs wundert muß ichs gelten lassen.
Marschalckvor 6086 Marschalck ] 2 HSchatzmeister : Marschalck (Schatzmeister ungestrichen) G 2 H  (VII)
Unmöglich wär’s die Flüchtigen einzufassen;
Mit Blitzeswink zerstreute sichs im Lauf.
Die Wechsler-Bänke stehen sperrig auf,
Man honorirt daselbst ein jedes Blatt
6090Durch Gold und Silber, freylich mit Rabat.
Nun gehts von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.
6095Bey: „hoch dem Kaiser!“ sprudelts in den Kellern,
Dort kochts und bräts und klappert mit den Tellern.
Mephistophelesvor 6097 Mephistopheles ] Mephistofeles 2 H  (I a)
Wer die Terrassen einsam abspaziert
Gewahrt die Schönste, herrlich aufgeziert.
Ein Aug’ verdeckt vom stolzen Pfauenwedel,
6100Sie schmunzelt uns und blickt nach solcher Schedel;
Und hurt’ger als durch Witz und Redekunst
Vermittelt sich die reichste Liebesgunst.
Man wird sich nicht mit Börs’ und Beutel plagen,
Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,
6105Mit Liebesbrieflein paarts bequem sich hier. –
Der Priester trägts andächtig im Brevier,
Und der Soldat, um rascher sich zu wenden,
Erleichtert schnell den Gürtel seiner Lenden.
Die Majestät verzeihe wenn ins Kleine
6110Das hohe Werk ich zu erniedern scheine.
Faust
Das Übermaas der Schätze, das, erstarrt,
In deinen Landen tief im Boden harrt,
Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke
Ist solches Reichthums kümmerlichste Schranke,
6115Die Phantasie, in ihrem höchsten Flug,
Sie strengt sich an und thut sich nie genug.
Doch fassen Geister, würdig tief zu schauen,
Zum Gränzenlosen gränzenlos Vertrauen.
Mephistopheles
Ein solch Papier, an Gold und Perlen statt,
6120Ist so bequem, man weis doch was man hat,
Man braucht nicht erst zu markten noch zu tauschen,
Kann sich nach Lust in Lieb und Wein berauschen,
Will man Metall, ein Wechsler ist bereit,
Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit.
6125Pokal und Kette wird verauctionirt,
Und das Papier, sogleich amortisirt,6126 Und das ] Undas 2 H  (I a)
Beschämt den Zweifler der uns frech verhöhnt.
Man will nichts anders, ist daran gewöhnt.
So bleibt von nun an allen Kaiser Landen
6130An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.
Kaiser
Das hohe Wohl verdankt euch unser Reich,
Wo möglich sey der Lohn dem Dienste gleich.
Vertraut sey euch des Reiches inrer Boden,
Ihr seyd der Schätze würdigste Custoden.
6135Ihr kennt den weiten wohlverwahrten Hort,
Und wenn man gräbt so sey’s auf euer Wort.
Vereint euch nun ihr Meister unsres Schatzes,
Erfüllt mit Lust die Würden eures Platzes,
Wo mit der obern sich die Unterwelt,6139 obern ] Obern : obern- (Bindestrich Fehlkorrektur) G 2 H   (I a)
6140In Einigkeit beglückt, zusammenstellt.
Schatzmeister
Soll zwischen uns kein fernster Zwist sich regen,
Ich liebe mir den Zaubrer zum Collegen.
ab mit Faust
Kaiser
Beschenk ich nun bey Hofe Mann für Mann,
Gesteh er mir wozu er’s brauchen kann.
Page
empfangend
6145Ich lebe lustig, heiter, guter Dinge.
Ein Andrer
gleichfalls
Ich schaffe gleich dem Liebchen Kett und Ringe.
Cämmerer
annehmend
Von nun an trink ich doppelt bessre Flasche.6147 Flasche. ] Flasche 2 H  (I b)
Ein Andrer
gleichfalls
Die Würfel jucken mich schon in der Tasche.
Bannerherr
mit Bedacht
Mein Schloß und Feld ich mach’ es schuldenfrey,
Ein Andrer
gleichfalsvor 6150 gleichfals ] 2 H(gleichfals ohne schließende Klammer 2 H  (VIII)
6150Es ist ein Schatz, den leg ich Schätzen bey.
Kaiser
Ich hoffte Lust und Muth zu neuen Thaten;
Doch wer euch kennt, der wird euch leicht errathen.
Ich merk’ es wohl, bey aller Schätze Flor
Wie ihr gewesen bleibt ihr nach wie vor.
Narr
6155Ihr spendet Gnaden, gönnt auch mir davon.
Kaiser
Und lebst du wieder, du vertrinkst sie schon.
Narr
Die Zauber-Blätter! ich verstehs nicht recht.
Kaiser
Das glaub ich wohl, denn du gebrauchst sie schlecht.
Narr
Da fallen andere, weiß nicht was ich thu.
Kaiser
6160Nimm sie nur hin, sie fielen dir ja zu.
ab
Narr
Fünf tausend Kronen wären mir zu Handen!
Mephistopheles
Zweibeiniger Schlauch bist wieder auferstanden?
Narr
Geschieht mir oft, doch nicht so gut als jetzt.
Mephistopheles
Du freust dich so daß dichs in Schweiß versetzt.
Narr
6165Da seht nur her ist das wohl Geldes werth?
Mephistopheles
Du hast dafür was Schlund und Bauch begehrt.
Narr
Und kaufen kann ich Acker, Haus und Vieh?
Mephistopheles
Versteht sich! biete nur, das fehlt dir nie.
Narr
Und Schloß, mit Wald und Jagd und Fischbach?
Mephistopheles
Traun!
6170Ich möchte dich gestrengen Herrn wohl schaun!
Narr
Heut Abend wieg ich mich im Grundbesitz! –
ab
Mephistopheles
solus
6172Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz.
Finstere Gallerie
Faust. Mephistopheles
Mephistopheles
6173Was ziehst du mich in diese düstern Gänge?
Ist nicht da drinnen Lust genug,
6175Im dichten, bunten Hofgedränge
Gelegenheit zu Spas und Trug?
Faust
Sag mir das nicht, du hast’s in alten Tagen
Längst an den Solen abgetragen;
Doch jetzt, dein Hin- und Wiedergehn
6180Ist nur um mir nicht Wort zu stehn.
Ich aber bin gequält zu thun,
Der Marschalk und der Kämmrer treibt mich nun.
Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn,
Will Helena und Paris vor sich sehn;
6185Das Musterbild der Männer, so der Frauen,
In deutlichen Gestalten will er schauen.
Geschwind ans Werk ich darf mein Wort nicht brechen.
Mephistopheles
Unsinnig war’s leichtsinnig zu versprechen.
Faust
Du hast, Geselle, nicht bedacht
6190Wohin uns deine Künste führen;
Erst haben wir ihn reich gemacht,
Nun sollen wir ihn amüsiren.
Mephistopheles
Du wähnst es füge sich sogleich;
Hier stehen wir vor steilern Stufen,
6195Greifst in ein fremdestes Bereich,
Machst frevelhaft am Ende neue Schulden,
Denkst Helenen so leicht hervorzurufen
Wie das Papiergespenst der Gulden. –
Mit Hexen-Fexen, mit Gespenst-Gespinnsten,6199 Gespenst-Gespinnsten ] 2 I H.47Gespinst-Gespinnsten 2 HGespenst-Gespinnsten vorschl Ri 2 H  (II aa, VII)
6200Kielkröpfigen Zwergen steh ich gleich zu Diensten;
Doch Teufels-Liebchen, wenn auch nicht zu schelten,
Sie können nicht für Heroinen gelten.
Faust
Da haben wir den alten Leyerton!
Bey dir geräth man stets ins Ungewisse.
6205Der Vater bist du aller Hindernisse,
Für jedes Mittel willst du neuen Lohn.
Mit wenig Murmeln, weiß ich, ist’s gethan,
Wie man sich umschaut bringst du sie zur Stelle.
Mephistopheles
Das Haidenvolk geht mich nichts an,6209 nichts ] 2 I H.48nicht 2 I H.47 2 H  (II b)
6210Es haust in seiner eignen Hölle;
Doch giebts ein Mittel.
Faust
Sprich, und ohne Säumniß.6211 Säumniß. ] Säumniß, 2 I H.47 2 H  (I b, II b)
Mephistopheles
Ungern entdeck’ ich höheres Geheimniß. –
Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort noch weniger eine Zeit,
6215Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
Die Mütter sind es!
Faust
aufgeschreckt
Mütter!
Mephistopheles
Schauderts dich?
Faust
Die Mütter! – Mütter! – ’s klingt so wunderlich.
Mephistopheles
Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
6220Nach ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen;
Du selbst bist Schuld daß ihrer wir bedürfen.
Faust
Wohin der Weg?
Mephistopheles
Kein Weg! Ins Unbetretene,
Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene6223 Nicht ] Nicht 2 I H.47Nich 2 H  (I a)
Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? –
6225Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,
Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
Hast du Begriff von Öd’ und Einsamkeit?
Faust
Du spartest dächt’ ich solche Sprüche,
Hier wittert’s nach der Hexenküche,
6230Nach einer längst vergangnen Zeit.
Mußt’ ich nicht mit der Welt verkehren,
Das Leere lernen, Leeres lehren? –
Sprach ich vernünftig wie ichs angeschaut,
Erklang der Widerspruch gedoppelt laut;
6235Mußt ich sogar vor widerwärtigen Streichen
Zur Einsamkeit, zur Wilderniß entweichen,
Und um nicht ganz versäumt, allein zu leben
Mich doch zuletzt dem Teufel übergeben.
Mephistopheles
Und hättest du den Ocean durchschwommen
6240Das Gränzenlose dort geschaut,
So sähst du dort doch Well auf Welle kommen,
Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
Gestillter Meere streichende Delphine,
6245Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne;
Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
Den Schritt nicht hören den du thust,
Nichts Festes finden wo du ruhst.
Faust
Du sprichst als erster aller Mystagogen,
6250Die treue Neophyten je betrogen;
Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre.
Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze,
Dir die Kastanien aus den Gluten kratze.
6255Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
In deinem Nichts hoff ich das All zu finden.
Mephistopheles
Ich rühme dich eh du dich von mir trennst,
Und sehe wohl daß du den Teufel kennst;
Hier diesen Schlüssel nimm.
Faust
Das kleine Ding!
Mephistopheles
6260Erst faß’ ihn an und schätz’ ihn nicht gering.
Faust
Er wächst in meiner Hand! er leuchtet, blitzt!
Mephistopheles
Merkst du nun bald was man an ihm besitzt?
Der Schlüssel wird die rechte Stelle wittern,
Folg ihm hinab, er führt dich zu den Müttern.
Faust
schaudernd
6265Den Müttern! Trifft’s mich immer wie ein Schlag!
Was ist das Wort das ich nicht hören mag?
Mephistopheles
Bist so beschränkt daß neues Wort dich stört?6267 so ] 2 I H.47du 2 H  (II aa)
Willst du nur hören was du schon gehört?
Dich störe nichts wie es auch weiter klinge,
6270Schon längst gewohnt der wunderbarsten Dinge.
Faust
Doch im Erstarren such ich nicht mein Heil,
Das Schaudern ist der Menschheit bestes Theil;
Wie auch die Welt ihm das Gefühl vertheure,
Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.
Mephistopheles
6275Versinke denn! Ich könnt auch sagen: steige!
’S ist einerley. Entfliehe dem Entstandnen,
In der Gebilde losgebundne Räume,
Ergötze dich am längst nicht mehr Vorhandnen,
Wie Wolkenzüge schlingt sich das Getreibe,
6280Den Schlüssel schwinge, halte sie vom Leibe.
Faust
begeistert
Wohl! fest ihn faßend fühl’ ich neue Stärke,
Die Brust erweitert hin zum großen Werke.6282 Werke. ] Wercke. 2 I H.47Werke 2 H  (II aa)
Mephistopheles
Ein glühnder Dreyfuß thut dir endlich kund
Du seyst im tiefsten, allertiefsten Grund.
6285Bey seinem Schein wirst du die Mütter sehn,
Die einen sitzen, andre stehn und gehn,
Wie’s eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung,
Umschwebt von Bildern aller Creatur.
6290Sie sehn dich nicht, denn Schemen sehn sie nur.
Da faß ein Herz, denn die Gefahr ist groß,
Und gehe grad auf jenen Dreyfuß loß,
Berühr ihn mit dem Schlüssel!
Faust macht eine entschieden gebietende Attitüde mit dem Schlüssel
Mephistopheles
ihn betrachtend
So ists recht! . . . .
Er schließt sich an, er folgt als treuer Knecht,
6295Gelassen steigst du, dich erhebt das Glück,
Und eh sie’s merken bist mit ihm zurück.
Und hast du ihn einmal hierher gebracht,
So rufst du Held und Heldin aus der Nacht,
Der erste der sich jener That erdreistet;
6300Sie ist gethan und du hast es geleistet,
Dann muß fortan, nach magischem Behandeln,
Der Weyrauchsnebel sich in Götter wandeln.
Faust
Und nun was jetzt?
Mephistopheles
Dein Wesen strebe nieder,
Versincke stampfend, stampfend steigst du wieder.
Faust stampft und versinkt
Mephistopheles
6305Wenn ihm der Schlüssel nur zum besten frommt!
6306Neugierig bin ich ob er wieder kommt?
Hell erleuchtete Säale
Kaiser und Fürsten, Hof in Bewegung
Kämerer
zu Mephistopheles
6307Ihr seyd uns noch die Geisterscene schuldig;
Macht euch daran! der Herr ist ungeduldig.
Marschall
So eben fragt der Gnädigste darnach;
6310 Ihr! zaudert nicht der Majestät zur Schmach.
Mephistopheles
Ist mein Cumpan doch deshalb weggegangen,
Er weiß schon wie es anzufangen,
Und laborirt verschlossen still,
Muß ganz besonders sich befleißen;
6315Denn wer den Schatz, das Schöne, heben will
Bedarf der höchsten Kunst, Magie der Weisen.
Marschall
Was ihr für Künste braucht ist einerley,
Der Kaiser will daß alles fertig sey.
Blondinevor 6319 Blondine ] 2 HBlondine (zu Mephisto) erg Ec 2 H  (VI)
Ein Wort, mein Herr! Ihr seht ein klar Gesicht,
6320Jedoch so ist’s im leidigen Sommer nicht!
Da sprossen hundert bräunlich rothe Flecken,
Die zum Verdruß die weiße Haut bedecken.
Ein Mittel!
Mephistopheles
Schade! So ein leuchtend Schätzchen,
Im May getupft wie euere Pantherkätzchen.
6325Nehmt Froschleich, Krötenzungen, kohobirt,
Im vollsten Mondlicht sorglich distillirt;
Und, wenn er abnimmt, reinlich aufgestrichen,
Der Frühling kommt, die Tupfen sind entwichen.
Braune
Die Menge drängt heran euch zu umschranzen.
6330Ich bitt’ um Mittel! Ein erfrorner Fuß
Verhindert mich am Wandeln wie am Tanzen,
Selbst ungeschickt beweg ich mich zum Gruß.
Mephistopheles
Erlaubet einen Tritt von meinem Fuß.
Braune
Nun das geschieht wohl unter Liebesleuten.
Mephistopheles
6335Mein Fußtritt, Kind! hat Größres zu bedeuten.
Zu Gleichem Gleiches; was auch einer litt;
Fuß heilet Fuß, so ists mit allen Gliedern.
Heran! Gebt acht! Ihr sollt es nicht erwiedern.
Braune
schreiend
Weh! Weh! das brennt! das war ein harter Tritt,
6340Wie Pferdehuf!
Mephistopheles
6340Die Heilung nehmt ihr mit.
Du kannst nunmehr den Tanz nach Lust verüben,
Bey Tafel schwelgend füßle mit dem Lieben.
Dame
herandringend
Laßt mich hindurch! zu groß sind meine Schmerzen,
Sie wühlen siedend mir im tiefsten Herzen.
6345Bis gestern sucht Er Heil in meinen Blicken,
Er schwatzt mit ihr und wendet mir den Rücken.
Mephistopheles
Bedenklich ist es, aber höre mich.
An ihn heran mußt du dich leise drücken,
Nimm diese Kohle, streich ihm einen Strich
6350Auf Ermel, Mantel, Schulter wie sichs macht;
Er fühlt im Herzen holden Reuestich.
Die Kohle doch mußt du sogleich verschlingen,
Nicht Wein, nicht Wasser an die Lippen bringen;
Er seufzt vor deiner Thüre heute Nacht.6354 Thüre ] 2 HTür’ noch Ec 2 H  (VI)
Dame
6355Ist doch kein Gift?
Mephistopheles
entrüstet
6355Respect wo sichs gebührt!
Weit müßtet ihr nach solcher Kohle laufen;
Sie kommt von einem Scheiterhaufen
Den wir sonst emsiger angeschürt.
nach 6358Page.
Ich bin verliebt, man hält mich nicht für voll.
Meph. (bey Seite)
6360Ich weiß nicht mehr wohin ich hören soll.
in Lücke erg Ec 2 H
  (VI)





nach 6358Page.
Ich bin verliebt, man hält mich nicht für voll.
Meph. (bey Seite)
6360Ich weiß nicht mehr wohin ich hören soll.
in Lücke erg Ec 2 H
  (VI)
Mephistopheles vor 6360–6359tilgt Ec 2 H  (VI)
6360Ich weis nicht mehr wohin ich hören soll.6360 soll. ] soll 2 H  (I b)
Page
Ich bin verliebt, man hält mich nicht für voll.
Mephistopheles vor 6361 Mephistopheles ] 2 H(zum Pagen.) Ec 2 H  (VI)
Müßt euer Glück nicht auf die jüngste setzen.
Die Angejahrten wissen euch zu schätzen. –
vor 6363(Andere drängen sich herzu) erg Ec 2 H  (VI)
Schon wieder Neue! Welch ein harter Strauß!
Ich helfe mir zuletzt mit Wahrheit aus;
6365Der schlechteste Behelf! Die Noth ist groß. –
O Mütter, Mütter! Laßt nur Fausten los!
umherschauend
Die Lichter brennen trübe schon im Saal,
Der ganze Hof bewegt sich auf einmal.
Anständig seh’ ich sie in Folge ziehn,
6370Durch lange Gänge, ferne Galerien.
Nun! sie versammeln sich im weiten Raum
Des alten Rittersaals, er faßt sie kaum.
Auf breite Wände Teppiche spendirt,
Mit Rüstung Eck und Nischen ausgeziert.
6375Hier braucht es, dächt’ ich, keine Zauberworte;
6376Die Geister finden sich von selbst zum Orte.
Rittersaal
Dämmernde Beleuchtung, Kaiser und Hof, sind eingezogenvor 6377 Dämmernde ] Dammernde 2 H  (I a)
Herold
6377Mein alt Geschäft, das Schauspiel anzukünden,
Verkümmert mir der Geister heimlich Walten;
Vergebens wagt man aus verständigen Gründen,
6380Sich zu erklären das verworrene Schalten.
Die Sessel sind, die Stühle schon zur Hand;
Den Kaiser setzt man grade vor die Wand;
Auf den Tapeten mag er da die Schlachten
Der großen Zeit bequemlichstens betrachten.6384 bequemlichstens ] beqeumlichstens 2 H  (I a)
6385Hier sitzt nun alles, Herr und Hof im Runde,
Die Bäncke drängen sich im Hintergrunde;
Auch Liebchen hat, in düstern Geisterstunden,
Zur Seite Liebchens lieblich Raum gefunden.
Und so, da alle schicklich Platz genommen,
6390Sind wir bereit, die Geister mögen kommen!
Posaunen
Astrolog
Beginne gleich das Drama seinen Lauf,
Der Herr befiehlts, ihr Wände thut euch auf!
Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand,
Die Tepp’che schwinden, wie gerollt vom Brand;
6395Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,
Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
Geheimnißvoll ein Schein uns zu erhellen,
Und ich besteige das Proscenium.
Mephistopheles
aus dem Soufleurloche auftauchend
Von hier aus hoff’ ich allgemeine Gunst,
6400Einbläsereyen sind des Teufels Redekunst.
zum Astrologen
Du kennst den Tackt in dem die Sterne gehn,
Und wirst mein Flüstern meisterlich verstehn.
Astrolog
Durch Wunderkraft erscheint alhier zur Schau,
Massiv genug, ein alter Tempelbau.
6405Dem Atlas gleich der einst den Himmel trug,
Steh’n, reihenweis, der Säulen hier genug;
Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,
Da zweye schon ein groß Gebäude trügen.
Architekt
Das wär antik! ich wüßt’ es nicht zu preisen,
6410Es sollte plump und überlästig heißen.
Roh nennt man edel, unbehülflich groß.
Schmal-Pfeiler lieb’ ich, strebend, gränzenlos;
Spitzbögiger Zenith erhebt den Geist;
Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist.
Astrolog
6415Empfangt mit Ehrfurcht sterngegönnte Stunden;
Durch magisch Wort sey die Vernunft gebunden;
Dagegen weitheran bewege frey
Sich herrliche verwegne Phantasey.
Mit Augen schaut nun was ihr kühn begehrt,
6420Unmöglich ist’s, drum eben glaubenswerth.
Faust steigt auf der andern Seite des Prosceniums herauf
Astrolog
Im Priesterkleid, bekränzt, ein Wundermann,
Der nun vollbringt was er getrost begann.
Ein Dreyfuß steigt mit ihm aus hohler Gruft,
Schon ahn’ ich aus der Schaale Weihrauchduft.
6425Er rüstet sich das hohe Werk zu segnen,
Es kann fortan nur glückliches begegnen.
Faust
großartig
In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
Im Gränzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig. Euer Haupt umschweben
6430Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig seyn.
Und ihr vertheilt es, allgewaltige Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
6435Die einen faßt des Lebens holder Lauf,
Die andern sucht der kühne Magier auf;
In reicher Spende läßt er, voll Vertrauen,
Was jeder wünscht, das Wunderwürdige schauen.
Astrolog
Der glühnde Schlüssel rührt die Schaale kaum,
6440Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum.
Er schleicht sich ein, er wogt nach Wolkenart,
Gedehnt, geballt, verschränkt, getheilt, gepaart.
Und nun erkennt ein Geister-Meister Stück!
So wie sie wandeln machen sie Musick.
6445Aus luftgen Tönen quillt ein Weisnichtwie,
Indem sie ziehn wird alles Melodie.
Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt,6447 Säulenschaft ] Saulenschaft 2 H  (I a)
Ich glaube gar der ganze Tempel singt.
Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor
6450Ein schöner Jüngling tritt im Tackt hervor.
Hier schweigt mein Amt, ich brauch ihn nicht zu nennen,
Wer sollte nicht den holden Paris kennen!
Dame
O! welch ein Glanz aufblühender Jugendkraft!
Zweyte
Wie eine Pfirsche frisch und voller Saft!
Dritte
6455Die fein gezogenen, süß geschwollnen Lippen!
Vierte
Du möchtest wohl an solchem Becher nippen?
Fünfte
Er ist gar hübsch, wenn auch nicht eben fein.
Sechste
Ein bischen könnt’ er doch gewandter seyn.
Ritter
Den Schäferknecht glaub ich alhier zu spüren,
6460Vom Prinzen nichts und nichts von Hofmanieren.
Andrer
Eh nun! halb nackt ist wohl der Junge schön,
Doch müßten wir ihn erst im Harnisch sehn!
Dame
Er setzt sich nieder, weichlich, angenehm.
Ritter
Auf seinem Schoose wär’ euch wohl bequem?
Andre
6465Er lehnt den Arm so zierlich übers Haupt.
Kämmrer
Die Flegeley! Das find’ ich unerlaubt!
Dame
Ihr Herren wißt an allem was zu mäkeln.
Derselbe
In Kaisers Gegenwart sich hinzuräckeln!
Dame
Er stellts nur vor! Er glaubt sich ganz allein.
Derselbe
6470Das Schauspiel selbst, hier sollt es höflich seyn.
Dame
Sanft hat der Schlaf den Holden übernommen.
Derselbe
Er schnarcht nun gleich, natürlich ist’s, vollkommen!
Junge Dame
entzückt
Zum Weyrauchsdampf was duftet so gemischt?
Das mir das Herz zum Innigsten erfrischt.
Ältere
6475Fürwahr! Es dringt ein Hauch tief ins Gemüthe,
Er kommt von ihm!
Älteste
Es ist des Wachsthums Blüte.
Im Jüngling als Ambrosia bereitet,
Und atmosphärisch ringsumher verbreitet.
Helena tritt aufvor 6479 tritt auf ] 2 Hhervortretend Ec 2 H  (VI)
Mephistopheles
Das wär’ sie denn! Vor dieser hätt’ ich Ruh;
6480Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.
Astrolog
Für mich ist diesmal weiter nichts zu thun,
Als Ehrenmann gesteh, bekenn ich’s nun.
Die Schöne kommt, und hätt’ ich Feuerzungen!
Von Schönheit ward von jeher viel gesungen;
6485Wem sie erscheint wird aus sich selbst entrückt,
Wem sie gehörte ward zu hoch beglückt.
Faust
Hab ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sinn
Der Schönheit Quelle reichlichstens ergossen?
Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn,
6490Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!
Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
Erst wünschenswerth, gegründet, dauerhaft!
Verschwinde mir des Lebens Athemkraft,
Wenn ich mich je von Dir zurückgewöhne! –
6495Die Wohlgestalt die mich voreinst entzückte,
In Zauberspiegelung beglückte,
War nur ein Schaumbild solcher Schöne! –
Du bist’s der ich die Regung aller Kraft,
Den Inbegriff der Leidenschaft,
6500Dir Neigung, Lieb, Anbetung, Wahnsinn zolle.
Mephistopheles
aus dem Kasten
So faßt euch doch, und fallt nicht aus der Rolle!
Ältere Dame
Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.
Jüngere
Seht nur den Fuß! Wie könnt’ er plumper seyn!
Diplomat
Fürstinnen hab ich dieser Art gesehn,
6505Mich däucht sie ist vom Kopf zum Fuße schön.
Hofmann
Sie nähert sich dem Schläfer listig mild.
Dame
Wie häßlich neben jugendreinem Bild!
Poet
Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.
Dame
Endymion und Luna! wie gemahlt!
Derselbe
6510Ganz recht! Die Göttin scheint herabzusinken,
Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken;
Beneidenswerth! – Ein Kuß! – Das Maas ist voll.
Duena
Vor allen Leuten! Das ist doch zu toll!
Faust
Furchtbare Gunst dem Knaben! –
Mephistopheles
Ruhig! still!
6515Laß das Gespenst doch machen was es will.
Hofmann
Sie schleicht sich weg, leichtfüßig; er erwacht.
Dame
Sie sieht sich um! Das hab’ ich wohl gedacht.
Hofmann
Er staunt! Ein Wunder ist’s was ihm geschieht.
Dame
Ihr ist kein Wunder was sie vor sich sieht.
Hofmann
6520Mit Anstand kehrt sie sich zu ihm herum.
Dame
Ich merke schon sie nimmt ihn in die Lehre;
In solchem Fall sind alle Männer dumm,
Er glaubt wohl auch daß er der erste wäre.
Ritter
Laßt mir sie gelten! Majestätisch fein! –
Dame
6525Die Buhlerin! Das nenn’ ich doch gemein!
Page
Ich möchte wohl an seiner Stelle seyn!
Hofmann
Wer würde nicht in solchem Netz gefangen?
Dame
Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen,
Auch die Verguldung ziemlich abgebraucht.
Andre
6530Vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt.
Ritter
Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste;
Ich hielte mich an diese schönen Reste.
Gelahrter
Ich seh’ sie deutlich, doch gesteh’ ich frey,
Zu zweiflen ist, ob sie die Rechte sey.
6535Die Gegenwart verführt ins Übertriebne,
Ich halte mich vor allem ans Geschriebne.
Da les’ ich denn: sie habe wirklich allen
Graubärten Trojas sonderlich gefallen;
Und, wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier,
6540Ich bin nicht jung und doch gefällt sie mir.
Astrolog
Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann
Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor,
Entführt er sie wohl gar?
Faust
Verwegner Thor!
6545Du wagst! Du hörst nicht! halt! das ist zu viel!
Mephistopheles
Machst du’s doch selbst das Frazzengeisterspiel!
Astrolog
Nur noch ein Wort! Nach allem was geschah
Nenn ich das Stück: den Raub der Helena.
Faust
Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!
6550Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!
Er führte mich, durch Graus und Wog’ und Welle
Der Einsamkeiten, her zum festen Stand.6552 Stand ] 2 HStand (undeutlich) 2 I H.48 2 I H.60Strand konj Koch emend Erich Schmidt  (III *)
Hier faß ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hieraus darf der Geist mit Geistern streiten,
6555Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
So fern sie war, wie kann sie näher seyn.
Ich rette sie und sie ist doppelt mein.
Gewagt! Ihr Mütter! Mütter müßt’s gewähren.
Wer sie erkannt der darf sie nicht entbehren.
Astrolog
6560Was thust du Fauste! Fauste! – Mit Gewalt
Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn! – Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.
Mephistopheles
der Fausten auf die Schulter nimmt
Da habt ihr’s nun! Mit Narren sich beladen,
6565Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
Finsterniß, Tummult
Zweyter Act

Hochgewölbtes, enges, gothisches Zimmer, ehemals Faustens, unverändert

Mephistopheles
hinter einem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und zurücksieht erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterischen Bette.vor 6566 zurücksieht ] 2 Hzurückzieht konj Fiedler  (III *)
6566Hier lieg’ Unseliger! verführt
Zu schwergelöstem Liebesbande!
Wen Helena paralysirt
Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
sich umschauend
6570Blick’ ich hinauf, hierher, hinüber,
Allunverändert ist es, unversehrt;
Die bunten Scheiben sind, so dünkt mich, trüber,
Die Spinneweben haben sich vermehrt;
Die Dinte starrt, vergilbt ist das Papier;
6575Doch alles ist am Platz geblieben;
Sogar die Feder liegt noch hier,
Mit welcher Faust dem Teufel sich verschrieben.
Ja! tiefer in dem Rohre stockt
Ein Tröpflein Blut, wie ich’s ihm abgelockt.
6580Zu einem solchen einzigen Stück
Wünscht’ ich dem größten Sammler Glück.
Auch hängt der alte Pelz am alten Hacken,
Erinnert mich an jene Schnacken
Wie ich den Knaben einst belehrt,
6585Woran er noch vielleicht als Jüngling zehrt.
Es kommt mir wahrlich das Gelüsten,
Rauchwarme Hülle, dir vereint,
Mich als Docent noch einmal zu erbrüsten,
Wie man so völlig recht zu haben meynt.
6590Gelehrte wissens zu erlangen,
Dem Teufel ist es längst vergangen.
er schüttelt den herabgenommenen Pelz, Cicaden, Käfer und Farfarellen fahren heraus.
Chor der Insecten
Willkommen! willkommen
Du alter Patron,
Wir schweben und summen
6595Und kennen dich schon.
Nur einzeln im Stillen
Du hast uns gepflanzt,
Zu Tausenden kommen wir
Vater getanzt.
6600Der Schalk in dem Busen
Verbirgt sich so sehr,
Vom Pelze die Läuschen
Enthüllen sich ehr.
Mephistopheles
Wie überraschend mich die junge Schöpfung freut!
6605Man säe nur, man erndtet mit der Zeit.
Ich schüttle noch einmal den alten Flaus,
Noch eines flattert hier und dort hinaus. –
Hinauf! umher! in hunderttausend Ecken
Eilt euch ihr Liebchen zu verstecken.
6610Dort wo die alten Schachteln stehn,
Hier im bebräunten Pergemen,
In staubigen Scherben alter Töpfe,
Dem Hohlaug’ jener Todtenköpfe.
In solchem Wust und Moderleben
6615Muß es für ewig Grillen geben.
schlüpft in den Pelz
Komm decke mir die Schultern noch einmal,
Heut bin ich wieder Prinzipal.
Doch hilft es nichts mich so zu nennen,
Wo sind die Leute die mich anerkennen!
er zieht die Glocke die einen gellenden, durchdringenden Ton erschallen läßt; wovon die Hallen erbeben und die Thüren aufspringen.
Famulus
den langen finstern Gang herwankend
6620Welch ein Tönen! welch ein Schauer!
Treppe schwankt, es bebt die Mauer;
Durch der Fenster buntes Zittern,
Seh ich wetterleuchtend Wittern.
Springt das Estrich, und von Oben
6625Rieselt Kalk und Schutt verschoben.
Und die Thüre, fest verriegelt,
Ist durch Wunderkraft entsiegelt. –
Dort! Wie fürchterlich! Ein Riese
Steht in Faustens altem Vließe.
6630Seinen Blicken, seinem Winken,
Möcht’ ich in die Kniee sinken.
Soll ich fliehen? Soll ich stehn?
Ach! wie wird es mir ergehn!
Mephistopheles
winkend
Heran mein Freund! – Ihr heißet Nicodemus.
Famulus
6635Hochwürdiger Herr! so ist mein Nahm’ – Oremus.
Mephistopheles
Das lassen wir!
Famulus
Wie froh! daß ihr mich kennt.
Mephistopheles
Ich weiß es wohl, bejahrt und noch Student,
Bemooster Herr! Auch ein gelehrter Mann
Studirt so fort, weil er nicht anders kann.
6640So baut man sich ein mäßig Kartenhaus,
Der größte Geist bauts doch nicht völlig aus.
Doch euer Meister das ist ein Beschlagner:
Wer kennt ihn nicht den edlen Doctor Wagner,
Den ersten jetzt in der gelehrten Welt!
6645Er ist’s allein der sie zusammenhält,
Der Weisheit täglicher Vermehrer.
Allwißbegierige Horcher, Hörer
Versammeln sich um ihn zu Hauf.
Er leuchtet einzig vom Catheder;
6650Die Schlüssel übt er wie Sankt Peter,
Das Untre so das Obre schließt er auf.
Wie er vor Allen glüht und funkelt,
Kein Ruf, kein Ruhm hält weiter stand;
Des Meisters Name wird verdunkelt,6654 Des Meisters ] 2 HSelbst Faustus Ec 2 H  (VI)
6655Er ist es, der allein erfand.
Famulus
Verzeiht! Hochwürdiger Herr! wenn ich euch sage,
Wenn ich zu widersprechen wage:
Von allem dem ist nicht die Frage,
Bescheidenheit ist sein beschieden Theil.
6660Ins unbegreifliche Verschwinden
Des hohen Manns weiß er sich nicht zu finden,
Von dessen Wiederkunft erfleht er Trost und Heil.
Das Zimmer, wie zu Doctor Faustus Tagen,
Noch unberührt seitdem er fern,
6665Erwartet seinen alten Herrn.
Kaum wag’ ich’s mich herein zu wagen.
Was muß die Sternenstunde seyn? –
Gemäuer scheint mir zu erbangen;
Thürpfosten bebten, Riegel sprangen,
6670Sonst kamt ihr selber nicht herein.
Mephistopheles
Wo hat der Mann sich hingethan?
Führt mich zu ihm, bringt ihn heran.
Famulus
Ach! sein Verbot ist gar zu scharf,
Ich weiß nicht ob ichs wagen darf.
6675Monate lang, des großen Werkes willen,
Lebt’ er im aller stillsten Stillen.
Der zarteste gelehrter Männer
Er sieht aus wie ein Kohlenbrenner,
Geschwärzt vom Ohre bis zur Nasen,
6680Die Augen roth vom Feuer blasen,
So lechzt er jedem Augenblick;
Geklirr der Zange giebt Musick.
Mephistopheles
Sollt’ er den Zutritt mir verneinen,
Ich bin der Mann das Glück ihm zu beschleunen.
Der Famulus geht ab, Mephistopheles setzt sich gravitätisch nieder.
6685Kaum hab’ ich Posto hier gefaßt
Regt sich dort hinten, mir bekannt, ein Gast.
Doch diesmal ist er von den Neusten,
Er wird sich gränzenlos erdreusten.
Baccalaureus
den Gang herstürmend
Thor und Thüre find ich offen!
6690Nun da läßt sich endlich hoffen
Daß nicht, wie bisher, im Moder,
Der Lebendige wie ein Todter,
Sich verkümmere, sich verderbe
Und am Leben selber sterbe.
6695Diese Mauern, diese Wände
Neigen, senken sich zum Ende
Und wenn wir nicht bald entweichen
Wird uns Fall und Sturz erreichen.
Bin verwegen, wie nicht einer,
6700Aber weiter bringt mich keiner.
Doch was soll ich heut erfahren!
War’s nicht hier, vor so viel Jahren,
Wo ich, ängstlich und beklommen,
War als guter Fuchs gekommen?
6705Wo ich diesen Bärtigen traute,
Mich an ihrem Schnack erbaute.
Aus den alten Bücherkrusten
Logen sie mir was sie wußten,
Was sie wußten, selbst nicht glaubten,
6710Sich und mir das Leben raubten.
Wie? – Dort hinten in der Zelle
Sitzt noch Einer dunkel-helle!
Nahend seh’ ichs mit Erstaunen,
Sitzt er noch im Pelz, dem braunen;
6715Wahrlich wie ich ihn verließ,
Noch gehüllt im rauhen Vließ!
Damals war er schon gewandt,6717–6718
Damals schien er zwar gewandt,
Als ich ihn noch nicht verstand.
Ec 2 H
  (VI)
Ob ich gleich ihn nicht verstand.
Heute wird es nicht verfangen,
6720Frisch an ihn herangegangen!
Wenn, alter Herr, nicht Lethes trübe Fluthen
Das schiefgesenkte, kahle Haupt durchschwommen,
Seht anerkennend hier den Schüler kommen,
Entwachsen akademischen Ruthen.
6725Ich find’ euch noch wie ich euch sah;
Ein Anderer bin ich wieder da.
Mephistopheles
Mich freut daß ich euch hergeläutet.
Ich schätzt’ euch damals nicht gering;
Die Raupe schon, die Chrysalide deutet
6730Den künftigen bunten Schmetterling.
Am Lockenkopf und Spitzenkragen,
Empfandet ihr ein kindliches Behagen. –
Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? –
Heut schau ich euch im Schwedenkopf.
6735Ganz resolut und wacker seht ihr aus,
Kommt nur nicht absolut nach Haus.
Baccalaureus
Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte,
Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf,
Und sparet doppelsinnige Worte;
6740Wir passen nun ganz anders auf.
Ihr hänseltet den guten treuen Jungen,
Das ist euch ohne Kunst gelungen,
Was heut zu Tage niemand wagt.
Mephistopheles
Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt
6745Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
Sie aber hinterdrein nach Jahren
Das alles derb an eigner Haut erfahren,
Dann dünkeln sie es käm’ aus eignem Schopf;
Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.
Baccalaureus
6750Ein Schelm vielleicht! – denn welcher Lehrer spricht
Die Wahrheit uns direct ins Angesicht?
Ein jeder weiß zu mehren wie zu mindern,
Bald ernst, bald heiter klug, zu frommen Kindern.
Mephistopheles
Zum lernen giebt es freylich eine Zeit,
6755Zum lehren seyd ihr, merk’ ich, selbst bereit.
Seit manchen Monden, einigen Sonnen,
Erfahrungsfülle habt ihr wohl gewonnen.
Baccalaureus
Erfahrungswesen! Schaum und Dust!
Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.
6760Gesteht! was man von je gewußt
Es ist durchaus nicht wissenswürdig . . .
Mephistopheles
nach einer Pause
Mich däucht es längst. Ich war ein Thor,
Nun komm’ ich mir recht schaal und albern vor.
Baccalaureus
Das freut mich sehr! da hör’ ich doch Verstand,
6765Der erste Greis, den ich vernünftig fand!
Mephistopheles
Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze,
Und schauerliche Kohlen trug ich fort.
Baccalaureus
Gesteht nur, euer Schädel, eure Glatze
Ist nicht mehr werth als jene hohlen dort?
Mephistopheles
gemüthlich
6770Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?
Baccalaureus
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.
Mephistopheles
der mit seinem Rollstuhle immer näher ins Proscenium rückt, zum Parterre
Hier oben wird mir Licht und Luft benommen,
Ich finde wohl bey euch ein Unterkommen?
Baccalaureus
Anmaßlich find’ ich daß zur schlechtsten Frist
6775Man etwas seyn will, wo man nichts mehr ist.
Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?
Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
Das neues Leben sich aus Leben schaft.
6780Da regt sich alles, da wird was gethan,
Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.
Indessen wir die halbe Welt gewonnen
Was habt ihr denn gethan? genickt, gesonnen,
Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.
6785Gewiß das Alter ist ein kaltes Fieber
Im Frost von grillenhafter Noth.
Hat einer dreyßig Jahr vorüber,
So ist er schon so gut wie todt.
Am besten wär’s euch zeitig todtzuschlagen.
Mephistopheles
6790Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.
Baccalaureus
Wenn ich nicht will, so darf kein Teufel seyn.
Mephistopheles
abseits
Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein.
Baccalaureus
Dies ist der Jugend edelster Beruf!
Die Welt sie war nicht eh ich sie erschuf;
6795Die Sonne führt’ ich aus dem Meer herauf;
Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
Die Erde grünte, blühte mir entgegen.
Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
6800Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
Wer, ausser mir, entband euch aller Schranken
Philisterhaft einklemmender Gedanken?
Ich aber frey, wie mir’s im Geiste spricht,
Verfolge froh mein innerliches Licht,
6805Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
Das Helle vor mir, Finsterniß im Rücken.
ab
Mephistopheles
Original fahr hin in deiner Pracht! –
Wie würde dich die Einsicht kränken:
Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken
6810Das nicht die Vorwelt schon gedacht?
Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,
In wenig Jahren wird es anders seyn.
Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
Es giebt zuletzt doch noch e’ Wein.
Zu dem jüngern Parterre das nicht applaudirt
6815Ihr bleibt bey meinem Worte kalt,
Euch guten Kindern laß ich’s gehen;
Bedenkt: der Teufel der ist alt,
6818So werdet alt, ihn zu verstehen!

Laboratorium im Sinne des Mittelalters, weitläufige, unbehülfliche Apparate, zu phantastischen Zwecken

Wagner
am Herde
6819Die Glocke tönt, die fürchterliche
6820Durchschauert die berußten Mauern.
Nicht länger kann das Ungewisse
Der ernstesten Erwartung dauern.
Schon hellen sich die Finsternisse;
Schon in der innersten Phiole
6825Erglüht es wie lebendige Kohle,
Ja wie der herrlichste Karfunkel,
Verstrahlend Blitze durch das Dunkel;
Ein helles weißes Licht erscheint!
O daß ich’s diesmal nicht verliere! –
6830Ach Gott! was rasselt an der Thüre?
Mephistopheles
eintretend
Willkommen! es ist gut gemeint.
Wagner
ängstlich
Willkommen! zu dem Stern der Stunde.6832 Willkommen ] Willkom̄men 2 H  (I a)
Leise
Doch haltet Wort und Athem fest im Munde,
Ein herrlich Werk ist gleich zu Stand gebracht.
Mephistopheles
leiser
6835Was giebt es denn?
Wagner
leiser
6835 Es wird ein Mensch gemacht.
Mephistopheles
Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar
Habt ihr in’s Rauchloch eingeschloßen?
Wagner
Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war
Erklären wir für eitel Possen.
6840Der zarte Punct aus dem das Leben sprang,
Die holde Kraft die aus dem Innern drang
Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu zeichnen,
Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueignen,
Die ist von ihrer Würde nun entsetzt;
6845Wenn sich das Thier noch weiter dran ergötzt,
So muß der Mensch mit seinen großen Gaben
Doch künftig höhern, höhern Ursprung haben.6847 höhern, höhern ] 2 H mon Ri, am linken Randhehren? mit Verweis auf 6856 Ri 2 H  (VII)
Zum Herd gewendet
Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen6848 leuchtet! ] 2 Hleucht : leuchtet G, Ausrufezeichen zS am linken Rand 2 H  (VII)
Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen,
6850Durch Mischung, denn auf Mischung kommt es an,
Den Menschenstoff gemächlich componiren,
In einen Kolben verlutiren
Und ihn gehörig kohobiren,
So ist das Werk im Stillen abgethan.
zum Herd gewendet
6855Es wird! die Masse regt sich klarer,
Die Überzeugung wahrer, wahrer:
Was man an der Natur geheimnißvolles prieß,
Das wagen wir verständig zu probiren,
Und was sie sonst organisiren ließ,
6860Das lassen wir krystallisiren.
Mephistopheles
Wer lange lebt hat viel erfahren,
Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn,
Ich habe schon, in meinen Wanderjahren,
Krystallisirtes Menschenvolk gesehn.
Wagner
bisher immer aufmerksam auf die Phiole
6865Es steigt, es blitzt, es häuft sich an,
Im Augenblick ist es gethan.
Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll,
Doch wollen wir des Zufalls künftig lachen,
Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,
6870Wird künftig auch ein Denker machen.
Entzückt die Phiole betrachtend
Das Glas erklingt von lieblicher Gewalt,
Es trübt, es klärt sich; also muß es werden!
Ich seh’ in zierlicher Gestalt
Ein artig Männlein sich gebärden.
6875Was wollen wir, was will die Welt nun mehr?
Denn das Geheimniß liegt am Tage.
Gebt diesem Laute nur Gehör,
Er wird zur Stimme, wird zur Sprache.
Homunkulus
in der Phiole zu Wagner
Nun Väterchen! wie stehts? es war kein Scherz.
6880Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz,
Doch nicht zu fest, damit das Glas nicht springe.
Das ist die Eigenschaft der Dinge:
Natürlichem genügt das Weltall kaum,
Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum.
zu Mephistopheles
6885Du aber Schalk, Herr Vetter, bist du hier?
Im rechten Augenblick, ich danke dir.
Ein gut Geschick führt dich zu uns herein,
Dieweil ich bin, muß ich auch thätig seyn.
Ich möchte mich sogleich zur Arbeit schürzen,
6890Du bist gewandt, die Wege mir zu kürzen.
Wagner
Nur noch ein Wort; bisher mußt’ ich mich schämen,
Denn Alt und Jung bestürmt mich mit Problemen.
Zum Beyspiel nur: noch niemand konnt’ es fassen
Wie Seel’ und Leib so schön zusammenpassen,
6895So fest sich halten als um nie zu scheiden,
Und doch den Tag sich immerfort verleiden.
Sodann –
Mephistopheles
Halt ein! ich wollte lieber fragen:
Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen?
Du kommst, mein Freund, hierüber nie ins Reine.
6900Hier giebts zu thun, das eben will der Kleine.
Homunkulus
Was giebt’s zu thun?
Mephistopheles
auf eine Seitenthüre deutend
Hier zeige deine Gabe!
Wagner
immer in die Phiole schauend
Fürwahr, du bist ein allerliebster Knabe.
Die Seitenthür öffnet sich, man sieht Faust auf dem Lager hingestreckt.
Homunkulus
erstaunt
Bedeutend! –
Die Phiole entschlüpft aus Wagners Händen, schwebt über Faust und beleuchtet ihn.
Schön umgeben! – Klar Gewässer
Im dichten Haine, Frau’n die sich entkleiden;
6905Die allerliebsten! – Das wird immer besser.
Doch eine läßt sich glänzend unterscheiden,
Aus höchstem Helden-, wohl aus Götterstamme;
Sie setzt den Fuß in das durchsichtige Helle;
Des edlen Körpers holde Lebensflamme
6910Kühlt sich im schmiegsamen Krystall der Welle. –
Doch welch Getöse rasch bewegter Flügel,
Welch Sausen, Plätschern wühlt im glatten Spiegel?
Die Mädchen fliehn verschüchtert; doch allein
Die Königin sie blickt gelassen drein,
6915Und sieht, mit stolzem, weiblichem Vergnügen,
Der Schwäne Fürsten ihrem Knie sich schmiegen,
Zudringlichzahm. Er scheint sich zu gewöhnen. –
Auf einmal aber steigt ein Dunst empor,
Und deckt mit dichtgewebtem Flor
6920Die lieblichste von allen Scenen.
Mephistopheles
Was du nicht alles zu erzählen hast!
So klein du bist, so groß bist du Phantast.
Ich sehe nichts –
Homunkulus
Das glaub ich. Du aus Norden,
Im Nebelalter jung geworden,
6925Im Wust von Ritterthum und Pfäfferey,
Wo wäre da dein Auge frey!
Im Düstern bist du nur zu Hause.
umherschauend
Verbräunt Gestein, bemodert, widrig,
Spitzbögig, schnörckelhaftest, niedrig! –
6930Erwacht uns dieser, giebt es neue Noth,
Er bleibt gleich auf der Stelle todt.
Waldquellen, Schwäne, nackte Schönen,
Das war sein ahnungsvoller Traum;
Wie wollt’ er sich hierher gewöhnen!
6935Ich, der bequemste, duld’ es kaum.
Nun fort mit ihm!
Mephistopheles
Der Ausweg soll mich freuen.
Homunkulus
Befiehl den Krieger in die Schlacht,
Das Mädchen führe du zum Reihen,
So ist gleich alles abgemacht.
6940Jetzt eben, wie ich schnell bedacht,
Ist classische Walpurgisnacht;
Das Beste was begegnen könnte
Bringt ihn zu seinem Elemente.
Mephistopheles
Dergleichen hab ich nie vernommen.
Homunkulus
6945Wie wollt’ es auch zu euren Ohren kommen?
Romantische Gespenster kennt ihr nur allein,
Ein echt Gespenst auch classisch hat’s zu seyn.
Mephistopheles
Wohin denn aber soll die Fahrt sich regen?
Mich widern schon antikische Collegen.
Homunkulus
6950Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier;
Südöstlich diesmal aber segeln wir –
An großer Fläche fließt Peneios frey,
Umbuscht, umbaumt, in still’ und feuchten Buchten,
Die Ebne dehnt sich zu der Berge Schluchten,
6955Und oben liegt Pharsalus alt und neu.
Mephistopheles
O weh! hinweg! und laßt mir jene Streite
Von Tyranney und Sklaverey bey Seite.
Mich langeweilt’s, denn kaum ist’s abgethan,
So fangen sie von vorne wieder an;
6960Und keiner merkt: er ist doch nur geneckt
Vom Asmodeus der dahinter steckt.
Sie streiten sich, so heißt’s um Freyheitsrechte,
Genau besehn sind’s Knechte gegen Knechte.
Homunkulus
Den Menschen laß ihr widerspenstig Wesen,
6965Ein jeder muß sich wehren wie er kann,
Vom Knaben auf, so wird’s zuletzt ein Mann.
Hier fragt sich’s nur wie dieser kann genesen?
Hast du ein Mittel so erprob’ es hier,
Vermagst du’s nicht so überlaß es mir.
Mephistopheles
6970Manch Brockenstückchen wäre durchzuproben,
Doch Heidenriegel find’ ich vorgeschoben.
Das Griechenvolk es taugte nie recht viel!
Doch blendet’s euch mit freyem Sinnen-Spiel,
Verlockt des Menschen Brust zu heitern Sünden;
6975Die unsern wird man immer düster finden.
Und nun was soll’s?
Homunkulus
Du bist ja sonst nicht blöde;
Und wenn ich von Thessalischen Hexen rede,
So denk’ ich hab’ ich was gesagt.
Mephistopheles
lüstern
Thessalische Hexen! Wohl! das sind Personen
6980Nach denen hab’ ich lang’ gefragt.
Mit ihnen Nacht für Nacht zu wohnen
Ich glaube nicht daß es behagt;
Doch zum Besuch! Versuch!
Homunkulus
Den Mantel her,6983 Den ] Nun auf! Nun auf! tilgt G den 2 H  (VII)
Und um den Ritter umgeschlagen!
6985Der Lappen wird euch, wie bisher,
Den einen mit dem andern tragen,
Ich leuchte vor.
Wagner
ängstlich
Und ich?
Homunkulus
Eh nun
Du bleibst zu Hause Wichtigstes zu thun.
Entfalte du die alten Pergamente,
6990Nach Vorschrift sammle Lebens-Elemente
Und füge sie mit Vorsicht eins ans andre.
Das Was bedenke, mehr bedenke Wie?
Indessen ich ein Stückchen Welt durchwandre
Entdeck’ ich wohl das Tüpfchen auf das I.
6995Dann ist der große Zweck erreicht,
Solch einen Lohn verdient ein solches Streben:
Gold, Ehre, Ruhm, gesundes langes Leben
Und Wissenschaft und Tugend – auch vielleicht.
Leb wohl!
Wagner
betrübt
Leb wohl! Das drückt das Herz mir nieder.
7000Ich fürchte schon ich seh dich niemals wieder.
Mephistopheles
Nun zum Peneios frisch hinab,
Herr Vetter ist nicht zu verachten.
ad Spectatores
Am Ende hängen wir doch ab
7004Von Creaturen die wir machten.

Classische Walpurgisnacht

Pharsalische Felder, Finsterniß
Erichto
7005Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,
Tret’ ich einher, Erichto, ich die düstere;
Nicht so abscheulich wie die leidigen Dichter mich
Im Übermaaß verlästern . . . Endigen sie doch nie,
In Lob und Tadel . . . Überbleicht erscheint mir schon
7010Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,
Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.
Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort
In’s Ewige wiederholen . . . Keiner gönnt das Reich
Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb
7015Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzen Sinn gemäß . . .
Hier aber ward ein großes Beyspiel durchgekämpft,
Wie sich Gewalt Gewaltigerem entgegenstellt,
7020Der Freyheit holder tausendblumiger Kranz zerreißt,
Der starre Lorbeer sich ums Haupt des Herrschers biegt.
Hier träumte Magnus früher Größe Blütentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang.
7025Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende,
Der Boden haucht vergoßnen Blutes Wiederschein,
Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt
7030Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild . . .
Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
Doch! über mir! welch unerwartet Meteor?
7035Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
Ich wittre Leben. Da geziemen will mirs nicht
Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;
Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
Schon sinkt es nieder. Weich’ ich aus mit Wohlbedacht!
Entfernt sich
Die Luftfahrer oben
Homunkulus
7040Schwebe noch einmal die Runde
Über Flamm- und Schaudergrauen;
Ist es doch in Thal und Grunde,
Gar gespenstisch anzuschauen.
Mephistopheles
Seh’ ich, wie durchs alte Fenster,
7045In des Nordens Wust und Graus,
Ganz abscheuliche Gespenster;
Bin ich hier wie dort zu Haus.
Homunkulus
Sieh! da schreitet eine Lange,
Weiten Schrittes von uns hin.7049 von ] 2 II H.74 2 Hvor C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (I a*)
Mephistopheles
7050Ist es doch als wär’ ihr bange;
Sah uns durch die Lüfte ziehn.
Homunkulus
Laß sie schreiten! setz’ ihn nieder
Deinen Ritter, und sogleich
Kehret ihm das Leben wieder,
7055Denn er sucht’s im Fabelreich.
Faust
den Boden berührend
Wo ist sie?
Homunkulus
Wüßten’s nicht zu sagen,
Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.
In Eile magst du, eh’ es tagt,
Von Flamm’ zu Flamme spürend gehen:
7060Wer zu den Müttern sich gewagt
Hat weiter nichts zu überstehen.
Mephistopheles
Auch ich bin hier an meinem Theil,
Doch wüßt’ ich besseres nicht zu unserm Heil
Als: jeder möge durch die Feuer
7065Versuchen sich sein eigen Abenteuer.
Dann, um uns wieder zu vereinen,
Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.
Homunkulus
So soll es blitzen, soll es klingen.
das Glas dröhnt und leuchtet gewaltig.
Nun frisch zu neuen Wunderdingen!
Faust
allein
7070Wo ist sie? – Frage jetzt nicht weiter nach . . .
Wär’s nicht die Scholle die sie trug,
Die Welle nicht die ihr entgegen schlug;
So ist’s die Luft die ihre Sprache sprach.
Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!
7075Ich fühlte gleich den Boden wo ich stand;
Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,
So steh’ ich, ein Antäus an Gemüthe.
Und find’ ich hier das Seltsamste beysammen,
Durchforsch’ ich ernst dies Labyrinth der Flammen.
entfernt sich
Mephistopheles
umherspürend
7080Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
So find’ ich mich doch ganz und gar entfremdet,
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
7085Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt . . . .
Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find’ ich zu lebendig;
Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
Und mannigfaltig modisch überkleistern . . . .
7090Ein widrig Volk! doch darf michs nicht verdrießen
Als neuer Gast anständig sie zu grüßen . . . .
Glückzu! den schönen Frau’n, den klugen Greisen.
Greif
schnarrend
Nicht Greisen! Greifen! – Niemand hört es gern
Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt
7095Der Ursprung nach wo es sich her bedingt:
Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig,
Etymologisch gleicherweise stimmig,
Verstimmen uns.
Mephistopheles
Und doch, nicht abzuschweifen,
Gefällt das Grei im Ehrentitel Greifen.
Greif
wie oben und immer so fort
7100Natürlich! die Verwandtschaft ist erprobt,
Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.
Ameisen
von der colossalen Art
Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,
7105In Fels und Höhlen heimlich eingerammelt;
Das Arimaspen-Volk hat’s ausgespürt,
Sie lachen dort, wie weit sie’s weggeführt.
Greife
Wir wollen sie schon zum Geständniß bringen.
Arimaspen
Nur nicht zur freyen Jubelnacht.
7110Bis morgen ists alles durchgebracht,
Es wird uns diesmal wohl gelingen.
Mephistopheles
hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt
Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne,
Denn ich verstehe Mann für Mann.
Sphinx
Wir hauchen unsre Geistertöne
7115Und ihr verkörpert sie alsdann.
Jetzt nenne dich bis wir dich weiter kennen!
Mephistopheles
Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen –
Sind Britten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
7120Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen;
Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
Sie zeugten auch: Im alten Bühnen-Spiel
Sah man mich dort als old Iniquity.
Sphinx
Wie kam man drauf?
Mephistopheles
Ich weiß es selbst nicht wie.
Sphinx
7125Mag seyn! Hast du von Sternen einige Kunde?
Was sagst du zu der gegenwärt’gen Stunde?
Mephistopheles
aufschauend
Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle
Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
7130Hinauf sich zu versteigen wär’ zum Schaden,
Gieb Räthsel auf, gieb allenfalls Charaden.
Sphinx
Sprich nur dich selbst aus, wird schon Räthsel seyn.
Versuch einmal dich innigst aufzulösen:
„Dem frommen Manne nöthig wie dem bösen,
7135 Dem ein Plastron, ascetisch zu rapiren,
Cumpan dem andern, Tolles zu vollführen,7136 Cumpan ] 2 HKumpan Ec 2 H  (VI)
Und beydes nur, um Zeus zu amüsiren.“
Erster Greif
schnarrend
Den mag ich nicht!
Zweyter Greif
stärker schnarrend
Was will uns der?
Beyde
Der Garstige gehöret nicht hierher!
Mephistopheles
brutal
7140Du glaubst vielleicht des Gastes Nägel krauen
Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
Versuchs einmal!
Sphinx
milde
Du magst nur immer bleiben,
Wird dich’s doch selbst aus unsrer Mitte treiben;
In deinem Lande thust dir was zu Gute,
7145Doch, irr’ ich nicht, hier ist dir schlecht zu Muthe.
Mephistopheles
Du bist recht appetitlich oben anzuschauen,
Doch unten hin, die Bestie macht mir Grauen.
Sphinx
Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
Denn unsre Tatzen sind gesund;
7150 Dir mit verschrumpftem Pferdefuße
Behagt es nicht in unserem Bund.
Sirenen präludiren oben
Mephistopheles
Wer sind die Vögel in den Ästen
Des Pappelstromes hingewiegt?
Sphinx
Gewahrt euch nur, die Allerbesten
7155Hat solch ein Sing-Sang schon besiegt.
Sirenen
Ach was wollt ihr euch verwöhnen
In dem Häßlich-Wunderbaren!
Horcht, wir kommen hier zu Schaaren
Und in wohlgestimmten Tönen,
7160So geziemet es Sirenen.
Sphinxe
sie verspottend in derselben Melodie
Nöthigt sie herabzusteigen!
Sie verbergen in den Zweigen
Ihre garstigen Habichtskrallen,
Euch verderblich anzufallen,
7165Wenn ihr euer Ohr verleiht.
Sirenen
Weg! das Hassen, weg! das Neiden;
Sammeln wir die klarsten Freuden,
Unterm Himmel ausgestreut!
Auf dem Wasser, auf der Erde,
7170Sey’s die heiterste Gebärde
Die man dem Willkommnen beut.
Mephistopheles
Das sind die saubern Neuigkeiten
Wo aus der Kehle, von den Saiten,
Ein Ton sich um den andern flicht.
7175Das Trallern ist bey mir verloren,
Es krabbelt wohl mir um die Ohren
Allein zum Herzen dringt es nicht.
Sphinxe
Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel;
Ein lederner verschrumpfter Beutel
7180Das paßt dir eher zu Gesicht.
Faust
herantretend
Wie wunderbar! das Anschaun thut mir Gnüge,
Im Widerwärtigen große tüchtige Züge.
Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
Auf Sphinxe bezüglich
7185Vor solchen hat einst Ödipus gestanden;
Auf Sirenen bezüglich
Vor solchen krümmte sich Ulyss in hänfnen Banden;
Auf Ameisen bezüglich
Von solchen ward der höchste Schatz gespart;
Auf Greife bezüglich
Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
Vom frischen Geiste fühl’ ich mich durchdrungen,
7190Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
Mephistopheles
Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht,
Sind Ungeheuer selbst willkommen.
Faust
zu den Sphinxen
7195Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
Hat eins der Euren Helena gesehn?
Sphinxe
Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
Die letztesten hat Herkules erschlagen.
Von Chiron könntest dus erfragen;
7200Der sprengt herum in dieser Geisternacht,
Wenn er dir steht so hast du’s weit gebracht.
Sirenen
Sollte dir’s doch auch nicht fehlen! . . .
Wie Ulyss bey uns verweilte,
Schmähend nicht vorübereilte,
7205Wußt’ er vieles zu erzählen;
Würden alles dir vertrauen,
Wolltest du zu unsern Gauen
Dich ans grüne Meer verfügen.
Sphinx
Laß dich Edler nicht betrügen!
7210Statt daß Ulyss sich binden ließ,
Laß unsern guten Rath dich binden;
Kannst du den hohen Chiron finden,
Erfährst du was ich dir verhieß.
Faust entfernt sich
Mephistopheles
verdrießlich
Was krächzt vorbey mit Flügelschlag?
7215So schnell daß man’s nicht sehen mag,
Und immer eins dem andern nach,
Den Jäger würden sie ermüden.
Sphinx
Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,
Alcides Pfeilen kaum erreichbar;
7220Es sind die raschen Stymphaliden.
Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
Mit Geyerschnabel und Gänsefuß.
Sie möchten gern in unsern Kreisen
Als Stammverwandte sich erweisen.
Mephistopheles
wie verschüchtert
7225Noch andres Zeug zischt zwischen drein.
Sphinx
Vor diesen sey euch ja nicht bange,
Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,
Vom Rumpf getrennt, und glauben was zu seyn.
Doch sagt, was soll nur aus euch werden?
7230Was für unruhige Gebärden?
Wo wollt ihr hin? Begebt euch fort! . . .
Ich sehe, jener Chorus dort
Macht euch zum Wendehals. Bezwingt euch nicht,
Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht.
7235Die Lamien sinds, lustfeine Dirnen,
Mit Lächelmund und frechen Stirnen,
Wie sie dem Satyrvolk behagen;
Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.
Mephistopheles
Ihr bleibt doch hier? daß ich euch wiederfinde.
Sphinxvor 7240 Sphinx ] 2 HSphinxe emend Erich Schmidt  (VII)
7240Ja! Mische dich zum luftigen Gesinde.
Wir, von Egypten her, sind längst gewohnt
Daß unsereins in tausend Jahre thront.
Und respectirt nur unsre Lage,
So regeln wir die Mond- und Sonnentage.
7245Sitzen vor den Pyramiden,
Zu der Völker Hochgericht;
Überschwemmung, Krieg und Frieden –
7248Und verziehen kein Gesicht.
Peneus umgeben von Gewässern und Nymphenvor 7249 (Überschrift) Peneus ] 2 H Zeichen über dem zweitene zur Verdeutlichung der Artikulation, darüberei , am linken RandPeneus mit Zeichen über dem zweitene Ri 2 H  (VII)
Peneus
7249Rege dich du Schilfgeflüster!
7250Hauche leise Rohrgeschwister,
Säuselt leichte Weidensträuche
Lispelt Pappelzitterzweige
Unterbrochnen Träumen zu! . . .
Weckt mich doch ein grauslich Wittern,
7255Heimlich allbewegend Zittern,
Aus dem Wallestrom und Ruh.
Faust
an den Fluß tretend
Hör’ ich recht, so muß ich glauben:
Hinter den verschränkten Lauben
Dieser Zweige, dieser Stauden
7260Tönt ein menschenähnlichs Lauten:7260 menschenähnlichs ] 2 II H.74menschlichähnlichs 2 H  (II aa)
Scheint die Welle doch ein Schwätzen,
Lüftlein wie – ein Scherzergötzen.
Nymphen
zu Faust
Am besten geschäh’ dir
Du legtest dich nieder,
7265Erholtest im Kühlen
Ermüdete Glieder,
Genössest der immer
Dich meidenden Ruh;
Wir säuseln, wir rieseln,
7270Wir flüstern dir zu.
Faust
Ich wache ja! O laßt sie walten
Die unvergleichlichen Gestalten
Wie sie dorthin mein Auge schickt.
So wunderbar bin ich durchdrungen
7275Sind’s Träume? Sind’s Erinnerungen?
Schon einmal warst du so beglückt.
Gewässer schleichen durch die Frische
Der dichten sanft bewegten Büsche,
Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;
7280Von allen Seiten hundert Quellen
Vereinen sich, im reinlich hellen
Zum Bade flach vertieften Raum.
Gesunde junge Frauenglieder,
Vom feuchten Spiegel doppelt wieder
7285Ergötztem Auge zugebracht!
Gesellig dann und fröhlich badend,
Erdreistet schwimmend, furchtsam wadend;7287 wadend ] 2 II H.74 2 Hwatend emend Erich Schmidt  (VII)
Geschrey zuletzt und Wasserschlacht.
Begnügen sollt’ ich mich an diesen,
7290Mein Auge sollte hier genießen,
Doch immer weiter strebt mein Sinn.
Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,
Das reiche Laub der grünen Fülle
Verbirgt die hohe Königin.
7295Wundersam! auch Schwäne kommen
Aus den Buchten hergeschwommen,
Majestätisch rein bewegt.
Ruhig schwebend, zart gesellig,
Aber stolz und selbstgefällig
7300Wie sich Haupt und Schnabel regt . . . .
Einer aber scheint vor allen
Brüstend kühn sich zu gefallen,
Segelnd rasch durch alle fort;
Sein Gefieder bläht sich schwellend,
7305Welle selbst, auf Wogen wellend,
Dringt er zu dem heiligen Ort . . . .
Die andern schwimmen hin und wieder
Mit ruhig glänzendem Gefieder,
Bald auch in regem prächtigen Streit;
7310Die scheuen Mädchen abzulenken,
Daß sie an ihren Dienst nicht denken,
Nur an die eigne Sicherheit.
Nymphen
Leget Schwestern euer Ohr
An des Ufers grüne Stufe;
7315Hör’ ich recht, so kommt mir vor
Als der Schall von Pferdes Hufe.
Wüßt’ ich nur wer dieser Nacht
Schnelle Botschaft zugebracht.
Faust
Ist mir doch als dröhnt’ die Erde
7320Schallend unter eiligem Pferde.
Dorthin mein Blick!
Ein günstiges Geschick,
Soll es mich schon erreichen?
O Wunder ohne Gleichen!
7325Ein Reuter kommt herangetrabt,
Er scheint von Geist und Muth begabt,
Von blendend-weißem Pferd getragen . . . .
Ich irre nicht, ich kenn’ ihn schon,
Der Philyra berühmter Sohn!
7330Halt Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen . . .
Chiron
Was giebt’s? Was ist’s?
Faust
Bezähme deinen Schritt!
Chiron
Ich raste nicht!
Faust
So bitte! Nimm mich mit!
Chiron
Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:
Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,
7335Ich bin bereit dich durch den Fluß zu tragen.
Faust
aufsitzend
Wohin du willst. Für ewig dank’ ichs dir . . . .
Der große Mann der edle Pädagog,
Der, sich zum Ruhm, ein Heldenvolk erzog,
Den schönen Kreis der edlen Argonauten
7340Und alle die des Dichters Welt erbauten.
Chiron
Das lassen wir an seinem Ort!
Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;
Am Ende treiben sie’s nach ihrer Weise fort
Als wenn sie nicht erzogen wären.
Faust
7345Den Arzt der jede Pflanze nennt,
Die Wurzeln bis ins Tiefste kennt,
Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,
Umarm’ ich hier in Geist- und Körperkraft! 7348 Geist- ] 2 II H.74Geist 2 H  (II aa)
Chiron
Ward neben mir ein Held verletzt,
7350Da wußt’ ich Hülf’ und Rath zu schaffen;
Doch ließ ich meine Kunst zuletzt
Den Wurzelweibern und den Pfaffen.
Faust
Du bist der wahre große Mann
Der Lobeswort nicht hören kann;
7355Er sucht bescheiden auszuweichen
Und thut als gäb’ es Seinesgleichen.
Chiron
Du scheinest mir geschickt zu heucheln,
Dem Fürsten wie dem Volk zu schmeicheln.
Faust
So wirst du mir denn doch gestehn
7360Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,
Dem Edelsten in Thaten nachgestrebt,
Halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt.
Doch unter den heroischen Gestalten
Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?
Chiron
7365Im hehren Argonautenkreise
War jeder brav nach seiner eignen Weise,
Und, nach der Kraft die ihn beseelte,
Konnt’ er genügen, wo’s den andern fehlte.
Die Dioskuren haben stets gesiegt,
7370Wo Jugendfüll’ und Schönheit überwiegt.
Entschluß und schnelle That zu andrer Heil
Den Boreaden ward’s zum schönen Theil;
Nachsinnend, kräftig, klug, im Rath bequem,
So herrschte Jason, Frauen angenehm.
7375Dann Orpheus, zart und immer still bedächtig,
Schlug er die Leyer allen übermächtig.
Scharfsichtig Lynceus, der, bey Tag und Nacht,
Das heilge Schiff durch Klipp’ und Strand gebracht . . . .
Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:
7380Wenn einer wirkt, die andern alle loben.
Faust
Von Herkules willst nichts erwähnen?
Chiron
O weh! errege nicht mein Sehnen . . .
Ich hatte Phöbus nie gesehn,
Noch Ares, Hermes, wie sie heißen,
7385Da sah ich mir vor Augen stehn
Was alle Menschen göttlich preisen.
So war er ein geborner König,
Als Jüngling herrlichst anzuschaun;
Dem ältern Bruder unterthänig
7390Und auch den allerliebsten Fraun.
Den zweyten zeugt nicht Gäa wieder,
Nicht führt ihn Hebe himmelein;
Vergebens mühen sich die Lieder,
Vergebens quälen sie den Stein.
Faust
7395So sehr auch Bildner auf ihn pochen,
So herrlich kam er nie zur Schau.
Vom schönsten Mann hast du gesprochen,
Nun sprich auch von der schönsten Frau!
Chiron
Was! . . Frauen-Schönheit will nichts heißen,
7400Ist gar zu oft ein starres Bild;
Nur solch ein Wesen kann ich preisen
Das froh und lebenslustig quillt.
Die Schöne bleibt sich selber selig;
Die Anmuth macht unwiderstehlich,
7405Wie Helena, da ich sie trug.
Faust
Du trugst sie?
Chiron
Ja, auf diesem Rücken.
Faust
Bin ich nicht schon verwirrt genug,
Und solch’ ein Sitz muß mich beglücken!
Chiron
Sie faßte so mich in das Haar
7410Wie du es thust.
Faust
7410O! ganz und gar
Verlier’ ich mich! Erzähle wie?
Sie ist mein einziges Begehren!
Woher? wohin? ach, trugst du sie?
Chiron
Die Frage läßt sich leicht gewähren.
7415Die Dioskuren hatten, jener Zeit,
Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreyt.
Doch diese, nicht gewohnt besiegt zu seyn,
Ermannten sich und stürmten hinterdrein.
Da hielten der Geschwister eiligen Lauf,
7420Die Sümpfe bey Eleusis auf;
Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;
Da sprang sie ab und streichelte
Die feuchte Mähne, schmeichelte
Und dankte lieblich-klug und selbstbewusst.
7425Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!
Faust
Erst sieben Jahr! . . .
Chiron
Ich seh’, die Philologen
Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.
Ganz eigen ist’s mit mythologischer Frau;
Der Dichter bringt sie, wie er’s braucht zur Schau:
7430Nie wird sie mündig, wird nicht alt,
Stets appetitlicher Gestalt,
Wird jung entführt, im Alter noch umfreyt;
G’nug, den Poeten bindet keine Zeit.
Faust
So sey auch sie durch keine Zeit gebunden!
7435Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,
Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:
Errungene Liebe gegen das Geschick! 7437 Errungene ] Erungene 2 H  (I a)
Und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?
7440Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,
So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?
Du sahst sie einst, heut hab’ ich sie gesehn,
So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen,
7445Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.
Chiron
Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt,
Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.
Nun trifft sich’s hier zu deinem Glücke;
Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,
7450Pfleg’ ich bey Manto vorzutreten,
Der Tochter Äsculaps; im stillen Beten
Fleht sie zum Vater: daß, zu seiner Ehre,
Er endlich doch der Ärzte Sinn verkläre,
Und vom verwegnen Todtschlag sie bekehre . . .
7455Die liebste mir aus der Sibyllengilde,
Nicht fratzenhaft bewegt, wohlthätig milde;
Ihr glückt es wohl, bey einigem Verweilen,
Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.
Faust
Geheilt will ich nicht seyn, mein Sinn ist mächtig;
7460Da wär’ ich ja wie andre niederträchtig.
Chiron
Versäume nicht das Heil der edlen Quelle!
Geschwind herab! Wir sind zur Stelle.
Faust
Sag an! Wohin hast du, in grauser Nacht,
Durch Kiesgewässer, mich an’s Land gebracht?
Chiron
7465Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,
Peneios rechts, lincks den Olymp zur Seite.
Das größte Reich das sich im Sand verliert;
Der König flieht, der Bürger triumphirt.
Blick auf! hier steht, bedeutend nah,
7470Im Mondenschein der ewige Tempel da.
Manto
Inwendig träumend
Von Pferdes Hufe
Erklingt die heilige Stufe,
Halbgötter treten heran.
Chiron
Ganz recht!
7475Nur die Augen aufgethan!
Manto
erwachend
Willkommen! ich seh’ du bleibst nicht aus.
Chiron
Steht dir doch auch dein Tempelhaus!
Manto
Streifst du noch immer unermüdet?
Chiron
Wohnst du doch immer still umfriedet,
7480Indeß zu kreisen mich erfreut.
Manto
Ich harre, mich umkreist die Zeit.
Und dieser?
Chiron
Die verrufene Nacht
Hat strudelnd ihn hierhergebracht.
Helenen, mit verrückten Sinnen,
7485Helenen will er sich gewinnen,
Und weiß nicht wie und wo beginnen;
Asklepischer Kur vor andern werth.
Manto
Den lieb’ ich der Unmögliches begehrt.
Chiron ist schon weit weg
Manto
Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen;
7490Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.
In des Olympus hohlem Fuß
Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.
Hier hab’ ich einst den Orpheus eingeschwärzt,
7494Benutz’ es besser, frisch! beherzt!
Sie steigen hinab.
Am obern Peneios wie zuvor
Sirenen
7495Stürzt euch in Peneios Fluth!
Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
Lied um Lieder anzustimmen,
Dem unseligen Volk zu gut.
Ohne Wasser ist kein Heil!
7500Führen wir mit hellem Heere
Eilig zum ägäischen Meere,
Würd’ uns jede Lust zu Theil.
Erdbeben
Sirenen
Schäumend kehrt die Welle wieder,
Fließt nicht mehr im Bett darnieder;
7505 Grund erbebt, das Wasser staucht,
Kies und Ufer berstend raucht.
Flüchten wir! Kommt alle, kommt!
Niemand dem das Wunder frommt.
Fort! ihr edlen frohen Gäste
7510Zu dem seeisch heitern Feste,
Blinkend wo die Zitterwellen,
Ufernetzend, leise schwellen;
Da wo Luna doppelt leuchtet,
Uns mit heilgem Thau befeuchtet.
7515Dort ein freybewegtes Leben,
Hier ein ängstlich Erde-Beben;
Eile jeder Kluge fort!
Schauderhaft ist’s um den Ort.
Seismos
in der Tiefe brummend und polternd
Einmal noch mit Kraft geschoben,
7520Mit den Schultern brav gehoben!
So gelangen wir nach oben,
Wo uns alles weichen muß.
Sphinxe
Welch ein widerwärtig Zittern
Häßlich grausenhaftes Wittern!
7525Welch ein Schwanken, welches Beben,
Schaukelnd Hin- und Widerstreben!
Welch unleidlicher Verdruß!
Doch wir ändern nicht die Stelle,
Bräche los die ganze Hölle.
7530Nun erhebt sich ein Gewölbe
Wundersam. Es ist derselbe,
Jener Alte, längst Ergraute,
Der die Insel Delos baute,
Einer Kreisenden zu Lieb’ 7534 Kreisenden ] 2 H kreisenden : Kreisenden G 2 II H.74 Kreißenden emend Erich Schmidt  (VII)
7535Aus der Wog’ empor sie trieb.
Er, mit Streben, Drängen, Drücken,
Arme straff, gekrümmt den Rücken,
Wie ein Atlas an Gebärde,
Hebt er Boden, Rasen, Erde,
7540Kies und Gries und Sand und Letten,
Unsres Ufers stille Betten.
So zerreisst er eine Strecke
Queer des Thales ruhige Decke.
Angestrengtest, nimmer müde,7544 Angestrengtest ] Angestrengtest 2 II H.74Angestregtest 2 H  (I a)
7545Colossale Caryatide;
Trägt ein furchtbar Steingerüste,
Noch im Boden bis zur Büste;
Weiter aber solls nicht kommen,
Sphinxe haben Platz genommen.
Seismos
7550Das hab’ ich ganz allein vermittelt,
Man wird mir’s endlich zugestehn;
Und hätt’ ich nicht geschüttelt und gerüttelt,
Wie wäre diese Welt so schön?
Wie ständen eure Berge droben
7555In prächtig-reinem Ätherblau,
Hätt’ ich sie nicht hervorgeschoben,
Zu malerisch-entzückter Schau!
Als, Angesichts der höchsten Ahnen,
Der Nacht, des Chaos, ich mich stark betrug
7560Und, in Gesellschaft von Titanen,
Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug.
Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,
Bis überdrüssig, noch zuletzt
Wir dem Parnaß, als eine Doppelmütze,
7565Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt . . . .
Apollen hält ein froh Verweilen
Dort nun mit seliger Musen Chor.
Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen
Hob’ ich den Sessel hoch empor.
7570Jetzt so, mit ungeheurem Streben,
Drang aus dem Abgrund ich herauf
Und fordere laut, zu neuem Leben,
Mir fröhliche Bewohner auf.
Sphinxe
Uralt müßte man gestehen
7575Sey das hier Emporgebürgte,
Hätten wir nicht selbst gesehen
Wie sich’s aus dem Boden würgte.
Bebuschter Wald verbreitet sich hinan,
Noch drängt sich Fels auf Fels bewegt heran;
7580Ein Sphinx wird sich daran nicht kehren:
Wir lassen uns im heiligen Sitz nicht stören.
Greife
Gold in Blättchen, Gold in Flittern
Durch die Ritze seh’ ich zittern;7583 Ritze ] 2 HRitzen C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (VII)
Laßt euch solchen Schatz nicht rauben;
7585Imsen auf! es auszuklauben.
Chor der Ameisen
Wie ihn die Riesigen
Empor geschoben,
Ihr Zappelfüßigen
Geschwind nach oben!
7590Behendest aus und ein!
In solchen Ritzen
Ist jedes Bröselein
Werth zu besitzen.
Das Allermindeste
7595Müßt ihr entdecken,
Auf das geschwindeste
In allen Ecken.
Allemsig müsst ihr seyn,
Ihr Wimmelschaaren;
7600Nur mit dem Gold herein!
Den Berg laßt fahren.
Greife
Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf,
Wir legen unsre Klauen drauf;
Sind Riegel von der besten Art,
7605Der größte Schatz ist wohl verwahrt.
Pygmäen
Haben wirklich Platz genommen,
Wissen nicht wie es geschah;
Fraget nicht woher wir kommen:
Denn wir sind nun einmal da!
7610Zu des Lebens lustigem Sitze
Eignet sich ein jedes Land;
Zeigt sich eine Felsenritze,
Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
Zwerg und Zwergin rasch zum Fleiße,
7615Musterhaft ein jedes Paar;
Weiß nicht ob es gleicher Weise
Schon im Paradiese war.
Doch wir findens hier zum besten,
Segnen dankbar unsern Stern;
7620Denn, im Osten wie im Westen,
Zeugt die Mutter Erde gern.
Dacktyle
Hat sie in einer Nacht
Die Kleinen hervorgebracht;
Sie wird die Kleinsten erzeugen,
7625Finden auch ihresgleichen.
Pygmäen-Älteste
Eilet bequemen
Sitz einzunehmen!
Eilig zum Werke;
Schnelle für Stärke!
7630Noch ist es Friede;
Baut euch die Schmiede,
Harnisch und Waffen
Dem Heer zu schaffen.
Ihr Imsen alle,
7635Rührig im Schwalle,
Schafft uns Metalle!
Und ihr Dacktyle,
Kleinste, so viele,
Euch sey befohlen
7640Hölzer zu holen!
Schichtet zusammen
Heimliche Flammen,
Schaffet uns Kohlen!
Generalissimus
Mit Pfeil und Bogen
7645Frisch ausgezogen!
An jenem Weiher
Schießt mir die Reiher,
Unzählig nistende,
Hochmüthig brüstende
7650Auf einen Ruck!
Alle wie Einen;
Daß wir erscheinen
Mit Helm und Schmuck.
Imsen und Dacktyle
Wer wird uns retten!
7655Wir schaffen’s Eisen,
Sie schmieden Ketten.
Uns loszureißen
Ist noch nicht zeitig,
Drum seyd geschmeidig.
Die Kraniche des Ibykus
7660Mordgeschrey und Sterbeklagen,
Ängstlich Flügelflatterschlagen,
Welch ein Ächzen, welch Gestöhn
Dringt herauf zu unsern Höhn!
Alle sind sie schon ertödtet,
7665See von ihrem Blut geröthet;
Mißgestaltete Begierde
Raubt des Reihers edle Zierde.
Weht sie doch schon auf dem Helme
Dieser Fettbauch-Krummbein-Schelme.
7670Ihr Genossen unsres Heeres,
Reihenwanderer des Meeres,
Euch berufen wir zur Rache
In so nahverwandter Sache;
Keiner spare Kraft und Blut,
7675Ewige Feindschaft dieser Brut!
Zerstreuen sich krächzend in den Lüften
Mephistopheles
in der Ebne
Die nordischen Hexen wußt’ ich wohl zu meistern,
Mir wirds nicht just mit diesen fremden Geistern.
Der Blocksberg bleibt ein gar bequem Local,
Wo man auch sey, man findet sich zumal.
7680Frau Ilse wacht für uns auf ihrem Stein,
Auf seiner Höh wird Heinrich munter seyn,
Die Schnarcher schnauzen zwar das Elend an,
Doch alles ist für tausend Jahr gethan.
Wer weiß denn hier nur, wo er geht und steht,
7685Ob unter ihm sich nicht der Boden bläht? . .
Ich wandle lustig durch ein glattes Thal
Und hinter mir erhebt sich auf einmal
Ein Berg, zwar kaum ein Berg zu nennen,
Von meinen Sphinxen mich jedoch zu trennen
7690Schon hoch genug – Hier zuckt noch manches Feuer
Das Thal hinab, und flammt ums Abenteuer . . .
Noch tanzt und schwebt mir lockend, weichend vor,
Spitzbübisch gaukelnd, der galante Chor.
Nur sachte drauf! Allzu gewohnt ans Naschen,
7695Wo es auch sey man sucht was zu erhaschen.
Lamien
Mephistopheles nach sich ziehend
Geschwind, geschwinder!
Und immer weiter!
Dann wieder zaudernd,
Geschwätzig plaudernd.
7700Es ist so heiter
Den alten Sünder
Uns nach zu ziehen,
Zu schwerer Buße.
Mit starrem Fuße
7705Kommt er geholpert
Einher gestolpert;
Er schleppt das Bein,
Wie wir ihn fliehen,
Uns hinterdrein.
Mephistopheles
stillstehend
7710Verflucht Geschick! Betrogne Mansen!
Von Adam her verführte Hansen!
Alt wird man wohl, wer aber klug?
Warst du nicht schon vernarrt genug!
Man weiß das Volk taugt aus dem Grunde nichts,
7715Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts.
Nichts haben sie gesundes zu erwiedern,
Wo man sie anfaßt, morsch in allen Gliedern.
Man weiß, man sieht’s, man kann es greifen,
Und dennoch tanzt man wenn die Luder pfeifen!
Lamien
inne haltend
7720Halt! er besinnt sich, zaudert, steht;
Entgegnet ihm daß er euch nicht entgeht!
Mephistopheles
fortschreitend
Nur zu! und laß dich ins Gewebe
Der Zweifeley nicht thörig ein;
Denn wenn es keine Hexen gäbe,
7725Wer Teufel möchte Teufel seyn!
Lamien
anmuthigst
Kreisen wir um diesen Helden;
Liebe wird in seinem Herzen
Sich gewiß für Eine melden.
Mephistopheles
Zwar mit ungewissem Schimmer7729 mit ] 2 II H.74 2 Hbei C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (VII)7729 ungewissem ] ungewissen 2 II H.74 2 H  (I a, II b)
7730Scheint ihr hübsche Frauenzimmer,
Und so möcht’ ich euch nicht schelten.
Empuse
eindringend
Auch nicht mich! als eine solche
Laßt mich ein in eure Folge.
Lamien
Die ist in unserm Kreis zuviel,
7735Verdirbt doch immer unser Spiel.
Empuse
zu Mephistopheles
Begrüßt von Mühmichen Empuse,
Der Trauten mit dem Eselsfuße;
Du hast nur einen Pferdefuß
Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!
Mephistopheles
7740Hier dacht’ ich lauter Unbekannte,
Und finde leider Nahverwandte;
Es ist ein altes Buch zu blättern:
Vom Harz bis Hellas imer Vettern!
Empuse
Entschieden weiß ich gleich zu handeln,
7745In vieles könnt’ ich mich verwandeln;
Doch euch zu Ehren hab’ ich jetzt
Das Eselsköpfchen aufgesetzt.
Mephistopheles
Ich merk’ es hat bey diesen Leuten
Verwandtschaft Großes zu bedeuten;
7750Doch mag sich was auch will eräugnen,
Den Eselskopf möcht’ ich verläugnen.
Lamien
Laß diese Garstige, sie verscheucht,
Was irgend schön und lieblich däucht;
Was irgend schön und lieblich wär,
7755Sie kommt heran, es ist nicht mehr!
Mephistopheles
Auch diese Mühmchen, zart und schmächtig,
Sie sind mir allesamt verdächtig;
Und hinter solcher Wänglein Rosen
Fürcht’ ich doch auch Metamorphosen.
Lamien
7760Versuch’ es doch! sind unsrer Viele.
Greif zu! Und hast du Glück im Spiele,
Erhasche dir das beste Loos.
Was soll das lüsterne Geleyer?
Du bist ein miserabler Freyer,
7765Stolzirst einher und thust so groß! –
Nun mischt er sich in unsre Schaaren;
Laßt nach und nach die Masken fahren,
Und gebt ihm euer Wesen blos.
Mephistopheles
Die schönste hab’ ich mir erlesen . . . .
sie umfassend
7770O weh mir! welch ein dürrer Besen!
eine andere ergreifend
Und diese? . . . . Schmähliches Gesicht!
Lamien
Verdienst du’s besser? dünk’ es nicht.
Mephistopheles
Die Kleine möcht’ ich mir verpfänden . . . .
Lacerte schlüpft mir aus den Händen!
7775Und schlangenhaft der glatte Zopf.
Dagegen faß’ ich mir die Lange . . . .7776 Dagegen ] Dagegen 2 II H.74Dagegegen 2 H  (I a)
Da pack’ ich eine Thyrsusstange!
Den Pinienapfel als den Kopf.
Wo will’s hinaus? . . . . Noch eine Dicke,
7780An der ich mich vielleicht erquicke;
Zum letztenmal gewagt! Es sey!
Recht quammig, quappig, das bezahlen
Mit hohem Preis Orientalen . . . .
Doch ach! der Bovist platzt entzwey!
Lamien
7785Fahrt auseinander, schwankt und schwebet
Blitzartig, schwarzen Flugs umgebet
Den eingedrungenen Hexensohn!
Unsichre schauderhafte Kreise!
Schweigsamen Fittigs, Fledermäuse!
7790Zu wohlfeil kommt er doch davon.
Mephistopheles
sich schüttlend
Viel klüger, scheint es, bin ich nicht geworden;
Absurd ist’s hier, absurd im Norden,
Gespenster hier wie dort vertrackt,
Volk und Poeten abgeschmackt.
7795Ist eben hier eine Mummenschanz
Wie überall ein Sinnentanz.
Ich griff nach holden Maskenzügen
Und faßte Wesen daß mich’s schauerte . . . .
Ich möchte gerne mich betrügen,
7800Wenn es nur länger dauerte.
sich zwischen dem Gestein verirrend
Wo bin ich denn? Wo will’s hinaus?
Das war ein Pfad, nun ist’s ein Graus.
Ich kam daher auf glatten Wegen,
Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
7805Vergebens klettr’ ich auf und nieder,
Wo find ich meine Sphinxe wieder?
So toll hätt ich mirs nicht gedacht
Ein solch Gebirg in Einer Nacht.
Das heiß ich frischen Hexenritt!7809–7810 Hexenritt! bis mit. ] 2 HHexenritt bis mit auf eingeklebtem Zettel 2 H  (VII)
7810Die bringen ihren Blocksberg mit.
Oreas
vom Naturfels
Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
Steht in ursprünglicher Gestalt.
Verehre schroffe Felsensteige,
Des Pindus letztgedehnte Zweige.
7815Schon stand ich unerschüttert so,
Als über mich Pompejus floh.
Daneben, das Gebild des Wahns,
Verschwindet schon beym Krähn des Hahns.
Dergleichen Mährchen seh’ ich oft entstehn
7820Und plötzlich wieder untergehn.
Mephistopheles
Sey Ehre dir, ehrwürdiges Haupt!
Von hoher Eichenkraft umlaubt;
Der allerklarste Mondenschein
Dringt nicht zur Finsterniß herein. –
7825Doch neben am Gebüsche zieht
Ein Licht das gar bescheiden glüht.
Wie sich das alles fügen muß!
Fürwahr! es ist Homunkulus.
Woher des Wegs, du Kleingeselle?
Homunkulus
7830Ich schwebe so von Stell’ zu Stelle
Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
Voll Ungeduld mein Glas entzwey zu schlagen;
Allein was ich bisher gesehn
Hinein da möcht’ ich mich nicht wagen.
7835Nur, um dirs im Vertraun zu sagen:
Zwey Philosophen bin ich auf der Spur,
Ich horchte zu, es hieß: Natur! Natur!
Von diesen will ich mich nicht trennen,
Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;
7840Und ich erfahre wohl am Ende
Wohin ich mich am allerklügsten wende.
Mephistopheles
Das thu’ auf deine eigne Hand.
Denn, wo Gespenster Platz genommen,
Ist auch der Philosoph willkommen.
7845Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,
Erschafft er gleich ein Dutzend neue.
Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand!
Willst du entstehn, entsteh’ auf eigne Hand!
Homunkulus
Ein guter Rath ist auch nicht zu verschmähn.
Mephistopheles
7850So fahre hin! Wir wollen’s weiter sehn.
trennen sich
Anaxagoras
zu Thales
Dein starrer Sinn will sich nicht beugen,
Bedarf es weit’res dich zu überzeugen?
Thales
Die Welle beugt sich jedem Winde gern,
Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.
Anaxagoras
7855Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu Handen.
Thales
Im Feuchten ist Lebendiges erstanden.
Homunkulus
zwischen beiden
Laßt mich an eurer Seite gehn,
Mir selbst gelüstet’s zu entstehn!
Anaxagoras
Hast du, o Thales, je, in Einer Nacht,
7860Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?
Thales
Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen;
Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.
Anaxagoras
7865Hier aber war’s! Plutonisch grimmig Feuer,
Äolischer Dünste Knallkraft ungeheuer,
Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste
Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.
Thales
Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?
7870Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.
Mit solchem Streit verliert man Zeit und Weile
Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.
Anaxagoras
Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
Die Felsenspalten zu bewohnen,
7875Pygmäen, Imsen, Däumerlinge,
Und andre thätig kleine Dinge.
zum Homunkulusvor 7877 Homunkulus ] Homunkulus 2 II H.74Homunnkulus 2 H  (I a)
Nie hast du Großem nachgestrebt,
Einsiedlerisch-beschränkt gelebt;
Kannst du zur Herrschaft dich gewöhnen,
7880So laß ich dich als König krönen.
Homunkulus
Was sagt mein Thales? –
Thales
Will’s nicht rathen;
Mit Kleinen thut man kleine Thaten,
Mit Großen wird der Kleine groß.
Sieh hin! die schwarze Kranich-Wolke!
7885Sie droht dem aufgeregten Volke
Und würde so dem König drohn.
Mit scharfen Schnäbeln, krallen Beinen,
Sie stechen nieder auf die Kleinen;
Verhängniß wetterleuchtet schon.
7890Ein Frevel tödtete die Reiher,
Umstellend ruhigen Friedensweiher.
Doch jener Mordgeschosse Regen,
Schafft grausam-blut’gen Rache-Segen,
Erregt der Nahverwandten Wuth,
7895Nach der Pygmäen frevlem Blut.
Was nützt nun Schild und Helm und Speer?
Was hilft der Reiherstrahl den Zwergen?
Wie sich Dacktyl und Imse bergen,
Schon wankt, es flieht, es stürzt das Heer.
Anaxagoras
nach einer Pause feyerlich
7900Konnt’ ich bisher die Unterirdischen loben,
So wend’ ich mich in diesem Fall nach oben . . .
Du! droben ewig unveraltete,
Dreynamig-Dreygestaltete,
Dich ruf’ ich an bey meines Volkes Weh,
7905Diana, Luna, Hekate!
Du Brust-erweiternde, im Tiefsten-sinnige,
Du ruhig-scheinende, gewaltsam-innige,
Eröffne deiner Schatten grausen Schlund,
Die alte Macht sey ohne Zauber kund!
Pause
7910Bin ich zu schnell erhört!
Hat mein Flehn
Nach jenen Höhn
Die Ordnung der Natur gestört?
Und größer, immer größer nahet schon
7915Der Göttin rundumschriebner Thron,
Dem Auge furchtbar, ungeheuer.
Ins Düstre röthet sich sein Feuer . . .
Nicht näher! drohend-mächtige Runde,
Du richtest uns und Land und Meer zu Grunde!
7920So wär’ es wahr daß dich Thessalische Frauen,
In frevlend magischem Vertrauen,
Von deinem Pfad herabgesungen?
Verderblichstes dir abgerungen? . . .
Das lichte Schild hat sich umdunkelt,
7925Auf einmal reißt’s und blitzt und funkelt,
Welch ein Geprassel! Welch ein Zischen!
Ein Donnern, Windgethüm dazwischen! –
Demüthig zu des Thrones Stufen! –
Verzeiht! Ich hab’ es hergerufen.
Wirft sich aufs Angesicht
Thales
7930Was dieser Mann nicht alles hört’ und sah!
Ich weiß nicht recht wie uns geschah;
Auch hab’ ich’s nicht mit ihm empfunden.
Gestehen wir, es sind verrückte Stunden,
Und Luna wiegt sich ganz bequem
7935An ihrem Platz so wie vordem.
Homunkulus
Schaut hin nach der Pygmäen Sitz,
Der Berg war rund, jetzt ist er spitz.
Ich spürt’ ein ungeheures Prallen,
Der Fels war aus dem Mond gefallen,
7940Gleich hat er, ohne nachzufragen,
So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
Doch muß ich solche Künste loben,
Die schöpferisch, in einer Nacht,
Zugleich von unten und von oben,
7945Dies Berggebäu zu Stand gebracht.
Thales
Sey ruhig! Es war nur gedacht.
Sie fahre hin die garstige Brut!
Daß du nicht König warst ist gut.
Nun fort zum heitern Meeresfeste,
7950Dort hofft und ehrt man Wundergäste.
entfernen sich
Mephistopheles
An der Gegenseite kletternd
Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
Auf meinem Harz der harzige Dunst
Hat was vom Pech und das hat meine Gunst;
7955Zunächst der Schwefel . . . . Hier, bey diesen Griechen
Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
Neugierig aber wär’ ich, nachzuspüren
Womit sie Höllenqual und Flamme schüren.
Dryas
In deinem Lande sey einheimisch klug,
7960Im fremden bist du nicht gewandt genug.
Du solltest nicht den Sinn zur Heimath kehren,
Der heiligen Eichen Würde hier verehren.
Mephistopheles
Man denkt an das was man verließ,
Was man gewohnt war bleibt ein Paradies.
7965Doch sagt: was in der Höhle dort,
Bey schwachem Licht, sich dreyfach hingekauert?
Dryas
Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort,
Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.
Mephistopheles
Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune.
7970So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:
Dergleichen hab’ ich nie gesehn,
Die sind ja schlimmer als Alraune . . . .
Wird man die urverworfnen Sünden
Im mindesten noch häßlich finden,
7975Wenn man dies Dreygethüm erblickt?
Wir litten sie nicht auf den Schwellen
Der grauenvollsten unsrer Höllen.
Hier wurzelt’s in der Schönheit Land,
Das wird mit Ruhm antik genannt . . . .
7980Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.
Phorkyas vor 7982 Phorkyas ] Phork. 2 H  (VII)
Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
Wer sich so nah an unsre Tempel wage.
Mephistopheles
Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen
7985Und euren Seegen dreyfach zu empfahen.
Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter
Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter.
Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt,
Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt,
7990Die Parzen selbst, des Chaos, Eure Schwestern,
Ich sah sie gestern – oder ehegestern;
Doch eures Gleichen hab’ ich nie erblickt,
Ich schweige nun und fühle mich entzückt.
Phorkyaden
Er scheint Verstand zu haben dieser Geist.
Mephistopheles
7995Nur wundert’s mich daß euch kein Dichter preist.
Und sagt! wie kam’s, wie konnte das geschehn?
Im Bilde hab’ ich nie euch Würdigste gesehn;
Versuch’s der Meißel doch euch zu erreichen,
Nicht Juno, Pallas, Venus und dergleichen.
Phorkyaden
8000Versenkt in Einsamkeit und stillste Nacht
Hat unser Drey noch nie daran gedacht!
Mephistopheles
Wie sollt’ es auch? da ihr der Welt entrückt,
Hier niemand seht und niemand euch erblickt.
Da müßtet ihr an solchen Orten wohnen
8005Wo Pracht und Kunst auf gleichem Sitze thronen,
Wo jeden Tag, behend, im Doppelschritt,
Ein Marmorblock als Held ins Leben tritt.
Wo –
Phorkyaden
Schweige still und gieb uns kein Gelüsten!
Was hülf’ es uns und wenn wir’s besser wüßten?
8010In Nacht geboren, Nächtlichem verwandt,
Beynah uns selbst, ganz allen unbekannt.
Mephistopheles
In solchem Fall hat es nicht viel zu sagen,
Man kann sich selbst auch andern übertragen.
Euch Dreyen g’nügt Ein Auge, g’nügt Ein Zahn,
8015Da ging’ es wohl auch mythologisch an
In zwey die Wesenheit der drey zu fassen,
Der dritten Bildniß mir zu überlassen,
Auf kurze Zeit.
Eine
Wie dünkt’s euch ging’ es an?
Die Andern
Versuchen wir’s! – doch ohne Aug’ und Zahn.
Mephistopheles
8020Nun habt ihr grad das Beste weggenommen;
Wie würde da das strengste Bild vollkommen?
Eine
Drück du ein Auge zu, ’s ist leicht geschehn,
Laß alsofort den Einen Raffzahn sehn,
Und, im Profil, wirst du sogleich erreichen
8025Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.
Mephistopheles
Viel Ehr’! Es sey!
Phorkyaden
Es sey!
Mephistopheles
als Phorkyas im Profil
Da steh’ ich schon,
Des Chaos vielgeliebter Sohn!
Phorkyaden
Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.
Mephistopheles
Man schilt mich nun, o Schmach! Hermaphroditen.
Phorkyaden
8030Im neuen Drey der Schwestern welche Schöne!
Wir haben zwey der Augen, zwey der Zähne.
Mephistopheles
Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
8033Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken.
ab
Felsbuchten des Ägäischen Meers
Mond im Zenith verharrend
Sirenen
auf den Klippen umher gelagert, flötend und singend
8034Haben sonst bey nächtigem Grauen
8035Dich thessalische Zauberfrauen
Frevelhaft herabgezogen,
Blicke ruhig von dem Bogen
Deiner Nacht auf Zitterwogen
Mildeblitzend Glanzgewimmel,
8040Und erleuchte das Getümmel
Das sich aus den Wogen hebt.
Dir zu jedem Dienst erbötig,
Schöne Luna, sey uns gnädig!
Nereiden und Tritonen
als Meerwunder
Tönet laut in schärfern Tönen,
8045Die das breite Meer durchdröhnen,
Volk der Tiefe ruft fortan!
Vor des Sturmes grausen Schlünden
Wichen wir zu stillsten Gründen,
Holder Sang zieht uns heran.
8050Seht! Wie wir im Hochentzücken
Uns mit goldenen Ketten schmücken,
Auch zu Kron’ und Edelsteinen
Spang- und Gürtelschmuck vereinen.
Alles das ist eure Frucht.
8055Schätze, scheiternd hier verschlungen,
Habt ihr uns herangesungen,
Ihr Dämonen unsrer Bucht.
Sirenen
Wissen’s wohl, in Meeresfrische
Glatt behagen sich die Fische,
8060Schwanken Lebens ohne Leid;
Doch! Ihr festlich regen Schaaren,
Heute möchten wir erfahren
Daß ihr mehr als Fische seyd.
Nereiden und Tritonen
Ehe wir hieher gekommen
8065Haben wir’s zu Sinn genommen,
Schwestern, Brüder, jetzt geschwind!
Heut bedarf’s der kleinsten Reise,
Zum vollgültigsten Beweise:
Daß wir mehr als Fische sind.
entfernen sich
Sirenen
8070 Fort sind sie im Nu!
Nach Samothrace grade zu,
Verschwunden mit günstigem Wind.
Was denken sie zu vollführen
Im Reiche der hohen Kabiren?
8075Sind Götter! Wundersam eigen,
Die sich immerfort selbst erzeugen,
Und niemals wissen was sie sind.
Bleibe auf deinen Höhn,
Holde Luna, gnädig stehn;
8080Daß es nächtig verbleibe,
Uns der Tag nicht vertreibe.
Thales
am Ufer zu Homunkulus
Ich führte dich zum alten Nereus gern;
Zwar sind wir nicht von seiner Höhle fern,
Doch hat er einen harten Kopf,
8085Der widerwärtige Sauertopf.
Das ganze menschliche Geschlecht
Macht’s ihm, dem Griesgram, nimmer recht.
Doch ist die Zukunft ihm entdeckt,
Dafür hat jedermann Respect,
8090Und ehret ihn auf seinem Posten;
Auch hat er manchem wohlgethan.
Homunkulus
Probiren wir’s und klopfen an!
Nicht gleich wird’s Glas und Flamme kosten.
Nereus
Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt?
8095Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!
Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,
Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.
Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,
Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun;
8100Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten,
So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen.
Thales
Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir,
Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier!
Schau diese Flamme, menschenähnlich zwar,
8105Sie deinem Rath ergiebt sich ganz und gar.
Nereus
Was Rath! Hat Rath bey Menschen je gegolten?
Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,
Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.
8110Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,
Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:
Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,
8115Gebälke glühend, unten Mord und Tod:
Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,
Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –
8120Ein Riesenleichnam, starr nach langer Quaal,
Des Pindus Adlern gar willkommnes Mahl.
Ulyssen auch! sagt’ ich ihm nicht voraus
Der Circe Listen, des Cyclopen Graus?
Das Zaudern sein, der Seinen leichten Sinn,
8125Und was nicht alles! bracht ihm das Gewinn?
Bis vielgeschaukelt ihn, doch spät genug,
Der Woge Gunst an gastlich Ufer trug.
Thales
Dem weisen Mann giebt solch Betragen Quaal,
Der gute doch versucht es noch einmal.
8130Ein Quentchen Danks wird, hoch ihn zu vergnügen,
Die Centner Undanks völlig überwiegen.
Denn nichts Geringes haben wir zu flehn:
Der Knabe da wünscht weislich zu entstehn.
Nereus
Verderbt mir nicht den seltensten Humor!
8135Ganz andres steht mir heute noch bevor.
Die Töchter hab’ ich alle herbeschieden,
Die Grazien des Meeres, die Doriden.
Nicht der Olymp, nicht euer Boden trägt
Ein schön Gebild das sich so zierlich regt.
8140Sie werfen sich, anmuthigster Gebärde,
Vom Wasserdrachen auf Neptunus Pferde,
Dem Element aufs zarteste vereint,
Daß selbst der Schaum sie noch zu heben scheint.
Im Farbenspiel von Venus Muschelwagen
8145Kommt Galatee, die schönste nun, getragen,
Die, seit sich Kypris von uns abgekehrt,
In Paphos wird als Göttin selbst verehrt.
Und so besitzt die Holde, lange schon,
Als Erbin, Tempelstadt und Wagenthron.
8150Hinweg! Es ziemt, in Vaterfreudenstunde,
Nicht Haß dem Herzen, Scheltwort nicht dem Munde.
Hinweg zu Proteus! Fragt den Wundermann:
Wie man entstehn und sich verwandlen kann.
entfernt sich gegen das Meer
Thales
Wir haben nichts durch diesen Schritt gewonnen,
8155Trifft man auch Proteus, gleich ist er zerronnen;
Und steht er euch, so sagt er nur zuletzt
Was Staunen macht und in Verwirrung setzt.
Du bist einmal bedürftig solchen Raths,
Versuchen wirs und wandlen unsres Pfads!
entfernen sich
Sirenen
oben auf den Felsen
8160Was sehen wir von Weiten
Das Wellenreich durchgleiten?
Als wie nach Windes Regel
Anzögen weiße Segel,
So hell sind sie zu schauen,
8165Verklärte Meeresfrauen . . .
Laßt uns herunterklimmen,
Vernehmt ihr doch die Stimmen.
Nereiden und Tritonen
Was wir auf Händen tragen
Soll allen euch behagen.
8170Chelonen’s Riesen-Schilde
Entglänzt ein streng Gebilde,
Sind Götter die wir bringen;
Müßt hohe Lieder singen.
Sirenen
Klein von Gestalt
8175Groß von Gewalt,
Der Scheiternden Retter,
Uralt verehrte Götter.
Nereiden und Tritonen
Wir bringen die Kabiren,
Ein friedlich Fest zu führen;
8180Denn wo sie heilig walten,
Neptun wird freundlich schalten.
Sirenen
Wir stehen euch nach,
Wenn ein Schiff zerbrach,
Unwiderstehbar an Kraft
8185Schützt ihr die Mannschaft.
Nereiden und Tritonen
Drey haben wir mitgenommen,
Der Vierte wollte nicht kommen,
Er sagte, er sey der Rechte
Der für sie alle dächte.
Sirenen
8190Ein Gott den andern Gott
Macht wohl zu Spott.
Ehrt ihr alle Gnaden,
Fürchtet jeden Schaden.
Nereiden und Tritonen
Sind eigentlich ihrer Sieben.
Sirenen
8195Wo sind die drey geblieben?
Nereiden und Tritonen
Wir wüßtens nicht zu sagen,
Sind im Olymp zu erfragen;
Dort wes’t auch wohl der Achte,
An den noch niemand dachte.
8200In Gnaden uns gewärtig,
Doch alle noch nicht fertig.
Diese Unvergleichlichen
Wollen immer weiter,
Sehnsuchtsvolle Hungerleider
8205Nach dem Unerreichlichen.
Sirenen
Wir sind gewohnt,
Wo es auch thront,
In Sonn’ und Mond
Hinzubeten, es lohnt.
Nereiden und Tritonen
8210Wie unser Ruhm zum höchsten prangt
Dieses Fest anzuführen!
Sirenen
Die Helden des Alterthums
Ermangeln des Ruhms,
Wo und wie er auch prangt;
8215Wenn sie das goldne Vließ erlangt,
Ihr die Kabiren.
wiederholt als Allgesang
Wenn sie das goldene Vließ erlangt,
Wir! ihr! die Kabiren.
Nereiden und Tritonen ziehen vorüber
Homunkulus
Die Ungestalten seh ich an
8220Als irden-schlechte Töpfe,
Nun stoßen sich die Weisen dran
Und brechen harte Köpfe.
Thales
Das ist es ja was man begehrt,
Der Rost macht erst die Münze werth.
Proteus
unbemerkt
8225So etwas freut mich alten Fabler!
Je wunderlicher desto respectabler.
Thales
Wo bist du Proteus?
Proteus
Bauchrednerisch, bald nah, bald fern
Hier! und hier!
Thales
Den alten Scherz verzeih’ ich dir;
Doch, einem Freund nicht eitle Worte!
8230Ich weiß du sprichst vom falschen Orte.
Proteus
als aus der Ferne
Leb wohl!
Thales
leise zu Homunkulus
Er ist ganz nah. Nun leuchte frisch,
Er ist neugierig wie ein Fisch;
Und wo er auch gestaltet stockt,
Durch Flammen wird er hergelockt.
Homunkulus
8235Ergieß’ ich gleich des Lichtes Menge,
Bescheiden doch, daß ich das Glas nicht sprenge.
Proteus
in Gestalt einer Riesen-Schildkröte
Was leuchtet so anmuthig schön?
Thales
den Homunkulus verhüllend
Gut! Wenn du Lust hast kannst dus näher sehn.
Die kleine Mühe laß dich nicht verdrießen,
8240Und zeige dich auf menschlich beiden Füßen.
Mit unsern Gunsten seys, mit unserm Willen!
Wer schauen will was wir verhüllen.
Proteus
edel gestaltet
Weltweise Kniffe sind dir noch bewußt.
Thales
Gestalt zu wechseln bleibt noch deine Lust.
hat den Homunkulus enthüllt
Proteus
erstauntvor 8245 erstaunt ] 2 H(erstaunt ohne schließende Klammer 2 H  (VIII)
8245Ein leuchtend Zwerglein! Niemals noch gesehn!
Thales
Es fragt um Rath, und möchte gern entstehn.
Er ist, wie ich von ihm vernommen,
Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,
8250Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.
Bis jetzt giebt ihm das Glas allein Gewicht,
Doch wär’ er gern zunächst verkörperlicht.
Proteus
Du bist ein wahrer Jungfern-Sohn,
Eh du seyn solltest bist du schon!
Thales
leise
8255Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch,
Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.
Proteus
Da muß es desto eher glücken,
So wie er anlangt wird sichs schicken.
Doch gilt es hier nicht viel Besinnen,
8260Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
Da fängt man erst im Kleinen an
Und freut sich Kleinste zu verschlingen,
Man wächst so nach und nach heran,
Und bildet sich zu höherem Vollbringen.
Homunkulus
8265Hier weht gar eine weiche Luft,
Es grunelt so und mir behagt der Duft!
Proteus
Das glaub ich, allerliebster Junge!
Und weiter hin wirds viel behäglicher,
Auf dieser schmalen Strandeszunge
8270Der Dunstkreis noch unsäglicher;
Da vorne sehen wir den Zug,
Der eben herschwebt, nah genug.
Kommt mit dahin!
Thales
Ich gehe mit.
Homunkulus
8274Dreyfach merkwürdiger Geisterschritt!
Telchinen von Rhodus auf Hippokampen und Meerdrachen, Neptunens Dreyzack handhabend
Chor
8275Wir haben den Dreyzack Neptunen geschmiedet
Womit er die regesten Wellen begütet.
Entfaltet der Donnrer die Wolken die vollen,
Entgegnet Neptunus dem gräulichen Rollen;
Und wie auch von oben es zackig erblitzt,
8280Wird Woge nach Woge von unten gespritzt;
Und was auch dazwischen in Ängsten gerungen
Wird, lange geschleudert, vom Tiefsten verschlungen;
Weshalb er uns heute den Scepter gereicht,
Nun schweben wir festlich, beruhigt und leicht.
Sirenen
8285Euch dem Helios Geweihten,
Heiteren Tags Gebenedeyten,
Gruß zur Stunde, die bewegt
Lunas Hochverehrung regt!
Telchinen
Alllieblichste Göttin am Bogen da droben
8290Du hörst mit Entzücken den Bruder beloben.
Der seligen Rhodus verleihst du ein Ohr,
Dort steigt ihm ein ewiger Päan hervor.
Beginnt er den Tagslauf und ist es gethan,
Er blickt uns mit feurigem Strahlenblick an.
8295Die Berge, die Städte, die Ufer, die Welle,
Gefallen dem Gotte, sind lieblich und helle.
Kein Nebel umschwebt uns, und schleicht er sich ein,
Ein Strahl und ein Lüftchen, die Insel ist rein! 8298 Lüftchen, die ] 2 II H.74Lüftchen und die 2 H  (II aa)
Da schaut sich der Hohe in hundert Gebilden,
8300Als Jüngling, als Riesen, den großen, den milden.
Wir ersten wir waren’s, die Göttergewalt
Aufstellten in würdiger Menschengestalt.
Proteus
Laß du sie singen, laß sie prahlen!
Der Sonne heiligen Lebestrahlen
8305Sind todte Werke nur ein Spaß.
Das bildet, schmelzend, unverdrossen;
Und haben sie’s in Erz gegossen
Dann denken sie es wäre was.
Was ist’s zuletzt mit diesen Stolzen?
8310Die Götterbilder standen groß, –
Zerstörte sie ein Erdestoß;
Längst sind sie wieder eingeschmolzen.
Das Erdetreiben, wie’s auch sey,
Ist immer doch nur Plackerey;
8315Dem Leben frommt die Welle besser;
Dich trägt ins ewige Gewässer
Proteus-Delphin.
er verwandelt sich.
Schon ists gethan!
Da soll es dir zum schönsten glücken,
Ich nehme dich auf meinen Rücken
8320Vermähle dich dem Ocean.
Thales
Gieb nach dem löblichen Verlangen
Von vorn die Schöpfung anzufangen,
Zu raschem Wirken sey bereit!
Da regst du dich nach ewigen Normen,
8325Durch tausend abertausend Formen,
Und bis zum Menschen hast du Zeit.
Homunkulus besteigt den Proteus-Delphin
Proteus
Komm geistig mit in feuchte Weite,
Da lebst du gleich in Läng’ und Breite,
Beliebig regest du dich hier;
8330Nur strebe nicht nach höheren Orden,
Bist du einmal ein Mensch geworden, 8331 Bist du einmal ] 2 HDenn bist du erst Ec 2 H  (VI)
Dann ist es völlig aus mit dir.
Thales
Nachdem es kommt; s’ist auch wohl fein
Ein wackrer Mann zu seiner Zeit zu seyn.
Proteus
zu Thales
8335So einer wohl von deinem Schlag!
Das hält noch eine Weile nach;
Denn unter bleichen Geisterschaaren
Seh’ ich dich schon seit vielen hundert Jahren.
Sirenen
auf den Felsen
Welch ein Ring von Wölkchen ründet
8340Um den Mond so reichen Kreis?
Tauben sind es, liebentzündet,
Fittige wie Licht so weiß.
Paphos hat sie hergesendet,
Ihre brünstige Vogelschaar;
8345Unser Fest, es ist vollendet,
Heitre Wonne voll und klar!
Nereus
zu Thales tretend
Nennte wohl ein nächtiger Wanderer
Diesen Mondhof Lufterscheinung;
Doch wir Geister sind ganz anderer
8350Und der einzig richtigen Meynung.
Tauben sind es, die begleiten
Meiner Tochter Muschelfahrt,8352 Muschelfahrt ] 2 II H.69Muschelpfad 2 II H.70 2 H  (II b)
Wunderflugs besondrer Art,
Angelernt vor alten Zeiten.
Thales
8355Auch ich halte das fürs Beste
Was dem wackern Mann gefällt,
Wenn im stillen warmen Neste
Sich ein Heiliges lebend hält.
Psyllen und Marsenvor 8359 Psyllen ] Psellen 2 II H.70 2 H  (I a)
auf Meerstieren, Meerkälbern und Widdern
In Cyperns rauhen Höhle-Grüften,
8360Vom Meergott nicht verschüttet,
Vom Seismos nicht zerrüttet,
Umweht von ewigen Lüften,
Und, wie in den ältesten Tagen,
In still-bewußtem Behagen,
8365Bewahren wir Cypriens Wagen,
Und führen, beym Säuseln der Nächte,
Durch liebliches Wellengeflechte,
Unsichtbar dem neuen Geschlechte,
Die lieblichste Tochter heran.
8370Wir leise Geschäftigen scheuen
Weder Adler noch geflügelten Leuen,
Weder Kreuz noch Mond,
Wie es oben wohnt und trohnt,
Sich wechselnd wägt und regt,8374 wägt und regt ] 2 Hregt 2 II H.71regt und wagt G 2 II H.69 wägt und trägt (Hörfehler) : wägt und regt G 2 II H.70   (VII)
8375Sich vertreibt und todtschlägt,
Saaten und Städte niederlegt.
Wir, so fortan,
Bringen die lieblichste Herrin heran.
Sirenen
Leicht bewegt, in mäßiger Eile,
8380Um den Wagen, Kreis um Kreis,
Bald verschlungen Zeil’ an Zeile
Schlangenartig reihenweis,
Naht euch rüstige Nereiden,
Derbe Frau’n, gefällig wild,
8385Bringet, zärtliche Doriden,
Galatee der Mutter Bild:
Ernst, den Göttern gleich zu schauen,
Würdiger Unsterblichkeit,
Doch wie holde Menschenfrauen
8390Lockender Anmuthigkeit.
Doriden
im Chor an Nereus vorbeyziehend sämmtlich auf Delphinenvor 8391 an ] 2 II H.70am 2 H  (II aa)
Leih uns Luna Licht und Schatten,
Klarheit diesem Jugendflor;
Denn wir zeigen liebe Gatten
Unserm Vater bittend vor.
zu Nereus
8395Knaben sinds die wir gerettet,
Aus der Brandung grimmem Zahn,
Sie, auf Schilf und Moos gebettet,
Aufgewärmt zum Licht heran,
Die es nun mit heißen Küssen
8400Treulich uns verdanken müssen;
Schau’ die Holden günstig an!
Nereus
Hoch ist der Doppelgewinn zu schätzen:
Barmherzig seyn, und sich zugleich ergötzen.
Doriden
Lobst du Vater unser Walten,
8405Gönnst uns wohl erworbene Lust,8405 wohl erworbene ] 2 Hwohlerworbene vorschl zS 2 H  (VII)
Laß uns fest, unsterblich halten
Sie an ewiger Jugendbrust.
Nereus
Mög’t euch des schönen Fanges freuen,
Den Jüngling bildet euch als Mann;
8410Allein ich könnte nicht verleihen
Was Zeus allein gewähren kann.
Die Welle, die euch wogt und schaukelt,
Läßt auch der Liebe nicht Bestand,
Und hat die Neigung ausgegaukelt
8415So setzt gemächlich sie ans Land.
Doriden
Ihr holde Knaben seyd uns werth,
Doch müssen wir traurig scheiden;
Wir haben ewige Treue begehrt,
Die Götter wollens nicht leiden.
Die Jünglinge
8420Wenn ihr uns nur so ferner labt,
Uns wackre Schiffer-Knaben;
Wir haben’s nie so gut gehabt
Und wollen’s nicht besser haben.
Galatee auf dem Muschelwagen nähert sich
Nereus
Du bist es mein Liebchen!
Galatee
O Vater! das Glück!
8425Delphine verweilet! mich fesselt der Blick.
Nereus
Vorüber schon, sie ziehen vorüber
In kreisenden Schwunges Bewegung;
Was kümmert sie die innre herzliche Regung!
Ach! nähmen sie mich mit hinüber!
8430Doch ein einziger Blick ergötzt
Daß er das ganze Jahr ersetzt.
Thales
Heil! Heil! aufs neue!
Wie ich mich blühend freue,
Vom Schönen, Wahren durchdrungen . . .
8435Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ocean gönn’ uns dein ewiges Walten.
Wenn du nicht Wolken sendetest,
Nicht reiche Bäche spendetest,
8440Hin und her nicht Flüsse wendetest,
Die Ströme nicht vollendetest;
Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?
Du bist’s der das frischeste Leben erhält.
Echo
Chorus der sämmtlichen Kreise
Du bists dem das frischeste Leben entquellt.
Nereus
8445Sie kehren schwankend fern zurück,
Bringen nicht mehr Blick zu Blick;
In gedehnten Kettenkreisen
Sich festgemäß zu erweisen,
Windet sich die unzählige Schaar.
8450Aber Galatees Muschelthron8450 Galatees ] 2 HGalatee’ns vorschl Ri verw zSGalateas zS 2 H  (VII)
Seh’ ich schon und aber schon.
Er glänzt wie ein Stern
Durch die Menge;
Geliebtes leuchtet durch’s Gedränge,
8455Auch noch so fern
Schimmert’s hell und klar,
Immer nah und wahr.
Homunkulus
In dieser holden Feuchte
Was ich auch hier beleuchte,
8460Ist alles reizend schön.
Proteus
In dieser Lebensfeuchte
Erglänzt erst deine Leuchte
Mit herrlichem Getön.
Nereus
Welch neues Geheimniß in Mitte der Schaaren
8465Will unseren Augen sich offengebahren?
Was flammt um die Muschel um Galatees Füße?
Bald lodert es mächtig, bald lieblich und süße,8467 und ] 2 II H.73und G 2 II H.72 2 II H.73bald 2 H  (II aa)
Als wär’ es von Pulsen der Liebe gerührt?
Thales
Homunkulus ist es, von Proteus verführt . . .
8470Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,
Mir ahnet das Ächzen beängsteten Dröhnens;
Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron;
Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.
Sirenen
Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,
8475Die gegen einander sich funkelnd zerschellen?
So leuchtet’s und schwanket und hellet hinan:
Die Körper sie glühen auf nächtlicher Bahn,
Und ringsum ist alles vom Feuer umronnen; 8478 ringsum ] 2 II H.73rings um G 2 II H.69ringsum 2 II H.73rings 2 H  (II aa)
So herrsche denn Eros der alles begonnen!
8480Heil dem Meere! Heil den Wogen!
Von dem heiligen Feuer umzogen;
Heil dem Wasser! Heil dem Feuer!
Heil dem seltnen Abenteuer!
All Alle!
Heil den mildgewogenen Lüften!
8485Heil geheimnißreichen Grüften!
Hochgefeyert seyd alhier
8487Element’ ihr alle vier!
Dritter Act

Vor dem Pallaste des Menelas zu Sparta

Helena tritt auf und Chor gefangener Trojanerinnen. Panthalis Chorführerin
Helena
8488Bewundert viel und viel gescholten Helena
Vom Strande komm’ ich wo wir erst gelandet sind,
8490Noch immer trunken von des Gewoges regsamem
Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her
Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst
Und Euros Kraft in vaterländische Buchten trug.
Dort unten freuet nun der König Menelas
8495Der Rückkehr sammt den tapfersten seiner Krieger sich.
Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,
Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich
Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut,
Und als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,
8500Mit Castor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,
Vor allen Häusern Spartas, herrlich ausgeschmückt.
Gegrüßet seyd mir der eh’rnen Pforte Flügel ihr,
Durch euer gastlich ladendes Weiteröffnen einst
Geschah’s daß mir, erwählt aus vielen, Menelas
8505In Bräutigams-Gestalt entgegen leuchtete.
Eröffnet mir sie wieder, daß ich ein Eilgebot8506 Eröffnet ] C.1 4 Eröffnet : Eröffenet Ri 2 III H.3Eröffenet 2 III H.3a:1Eröffnet 2 H  (II b*)
Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.
Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir,
Was mich umstürmte bis hieher, verhängnißvoll.
8510Denn seit ich diese Schwelle sorgenlos verließ,8510 Schwelle ] 2 III H.2:1Stelle 2 III H.3 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,
Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,
Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit
So gern erzählen, aber der nicht gerne hört
8515Von dem die Sage wachsend sich zum Mährchen spann.
Chor
Verschmähe nicht, o herrliche Frau,
Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!
Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,
Der Schönheit Ruhm der vor allen sich hebt.
8520Dem Helden tönt sein Name voran,
Drum schreitet er stolz,
Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann
Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.
Helena
Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft
8525Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;
Doch welchen Sinn er hegen mag errath’ ich nicht.
Komm’ ich als Gattin? komm’ ich eine Königin?
Komm’ ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz
Und für der Griechen lang’erduldetes Mißgeschick?
8530Erobert bin ich, ob gefangen weiß ich nicht!
Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen
Zweydeutig mir, der Schöngestalt bedenkliche
Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar
Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.
8535Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl
Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.
Als wenn er Unheil sänne saß er gegen mir.
Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad
Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum
8540Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:
Hier steigen meine Krieger, nach der Ordnung, aus,
Ich mustere sie am Strand des Meeres hingereiht,8542 mustere ] 2 III H.3a:1 mustre : mustere Ri G 2 III H.3 mustere 2 III H.3a:1mustre 2 H C.1 4  (II b)
Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen
Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,
8545Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,
Bis daß zur schönen Ebene du gelangen magst,
Wo Lakedämon einst ein fruchtbar weites Feld,
Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.
Betrete dann das hochgethürmte Fürstenhaus
8550Und mustere mir die Mägde, die ich dort zurück
Gelassen, sammt der klugen alten Schaffnerin.
Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,
Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst
In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.
8555Du findest alles nach der Ordnung stehen: denn
Das ist des Fürsten Vorrecht daß er alles treu
In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch
An seinem Platze jedes wie er’s dort verließ.
Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.
Chor
8560Erquicke nun am herrlichen Schatz,
Dem stets vermehrten, Augen und Brust;
Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck
Da ruhn sie stolz und sie dünken sich was;
Doch tritt nur ein und fordre sie auf,
8565Sie rüsten sich schnell.
Mich freuet zu sehn Schönheit in dem Kampf
Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.
Helena
Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort:
Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,
8570Dann nimm so manchen Dreyfuß als du nöthig glaubst
Und mancherlei Gefäße die der Opfrer sich
Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.
Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund,
Das reinste Wasser aus der heilgen Quelle sey8574 heilgen ] 2 Hheiligen C.1 4  (II aa)
8575In hohen Krügen, ferner auch das trockne Holz,
Der Flammen schnell empfänglich, halte da bereit,
Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;
Doch alles andre geb’ ich deiner Sorge heim.8578 heim ] 2 III H.2:1hin 2 III H.3 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts
8580Lebendigen Athems zeichnet mir der Ordnende
Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.
Bedenklich ist es, doch ich sorge weiter nicht
Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,
Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie däucht,
8585Es möge gut von Menschen, oder möge bös
Geachtet seyn, die Sterblichen wir ertragen das.
Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde
Zu des erdgebeugten Thieres Nacken weihend auf,
Und konnt’ es nicht vollbringen, denn ihn hinderte
8590Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.
Chor
Was geschehen werde sinnst du nicht aus,
Königin schreite dahin
Guten Muths.
Gutes und Böses kommt
8595Unerwartet dem Menschen;
Auch verkündet glauben wir’s nicht.
Brannte doch Troja, sahen wir doch
Tod vor Augen, schmählichen Tod;
Und sind wir nicht hier
8600Dir gesellt, dienstbar freudig,
Schauen des Himmels blendende Sonne
Und das schönste der Erde
Huldvoll, dich, uns Glücklichen.
Helena
Sey’s wie es sey! Was auch bevorsteht, mir geziemt
8605Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,
Das lang entbehrt, und viel ersehnt, und fast verscherzt,
Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.
Die Füße tragen mich so muthig nicht empor
Die hohen Stufen die ich kindisch übersprang.
Chor
8610Werfet o Schwestern, ihr
Traurig gefangenen,
Alle Schmerzen ins Weite;
Theilet der Herrin Glück,
Theilet Helenens Glück,
8615Welche zu Vaterhauses Herd,
Zwar mit spätzurückkehrendem
Aber mit desto festerem
Fuße freudig herannaht.
Preiset die heiligen,
8620Glücklich herstellenden
Und heimführenden Götter!
Schwebt der Entbundene
Doch wie auf Fittigen
Über das Rauhste, wenn umsonst
8625Der Gefangene sehnsuchtsvoll
Über die Zinne des Kerkers hin
Armausbreitend sich abhärmt.
Aber sie ergriff ein Gott
Die Entfernte;
8630Und aus Ilios Schutt
Trug er hierher sie zurück,
In das alte das neugeschmückte
Vaterhaus,
Nach unsäglichen
8635Freuden und Qualen,
Früher Jugendzeit
Angefrischt zu gedenken.
Panthalis
als Chorführerin
Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad
Und wendet nach der Thüre Flügeln euren Blick.
8640Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin,
Mit heftigen Schrittes Regung, wieder zu uns her?
Was ist es, große Königin, was konnte dir
In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,
Erschütterendes begegnen? Du verbirgst es nicht;
8645Denn Widerwillen seh ich an der Stirne dir8645 seh ] C.1 4seh’ C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Ein edles Zürnen das mit Überraschung kämpft.
Helena
welche die Thürflügel offen gelassen hat, bewegt
Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht
Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;
Doch das Entsetzen, das dem Schoos der alten Nacht,
8650Von Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch8650 Von ] 2 III H.2:1Vom 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Wie glühende Wolken, aus des Berges Feuerschlund,
Herauf sich wälzt erschüttert auch des Helden Brust.
So haben heute grauenvoll die Stygischen
In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern
8655Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,
Entlaßnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.8656 Entlaßnem ] C.1 4Entlass’nem C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt
Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd.
Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag
8660Des Herdes Gluth die Frau begrüßen wie den Herrn.
Chorführerin
Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,
Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.
Helena
Was ich gesehen sollt ihr selbst mit Augen sehn,
Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich
8665Zurück geschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoos.
Doch daß ihr’s wisset, sag’ ich’s euch mit Worten an:
Als ich des Königs-Hauses ernsten Binnenraum,
Der nächsten Pflicht gedenkend, feyerlich betrat,
Erstaunt’ ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit.
8670Nicht Schall der emsig wandelenden begegnete8670 wandelenden ] 2 Hwandelnden 2 III H.1 wandelnden : wandelenden Ri G 2 III H.2:1 wandelnden : wandelenden Jo 2 III H.3a:1 wandelenden 2 Hwandelnden C.1 4  (II aa)
Dem Ohr, nicht raschgeschäftges Eiligthun dem Blick,8671 raschgeschäftges ] 2 III H.3a:1raschgeschäftiges 2 H C.1 4  (II b)
Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin
Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.
Als aber ich dem Schooße des Herdes mich genaht,
8675Da sah’ ich, bei verglommner Asche lauem Rest,
Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,
Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.
Mit Herrscherworten ruf’ ich sie zur Arbeit auf,
Die Schaffnerin mir vermuthend, die indeß vielleicht
8680Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;
Doch eingefaltet sitzt die unbewegliche;
Nur endlich rührt sie, auf mein Dräun, den rechten Arm,
Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg.
Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich
8685Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos
Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;
Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,
Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich
In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,
8690Seltsamer Bildung, wie sie Aug und Geist verwirrt.
Doch red’ ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht
Sich nur umsonst Gestalten schöpferisch aufzubaun.
Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich an’s Licht hervor!
Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.
8695Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund,
Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.
Phorkyas auf der Schwelle zwischen den Thürpfosten auftretend
Chor
Vieles erlebt’ ich, obgleich die Locke
Jugendlich wallet mir um die Schläfe!
Schreckliches hab’ ich vieles gesehen,
8700Kriegrischen Jammer, Ilios Nacht,
Als es fiel.
Durch das umwölkte, staubende Tosen,
Drängender Krieger hört’ ich die Götter
Fürchterlich rufen, hört’ ich der Zwietracht
8705Eherne Stimme schallen durch’s Feld,
Mauerwärts.
Ach, sie standen noch, Ilios
Mauern, aber die Flammengluth
Zog vom Nachbar zum Nachbar schon
8710Sich verbreitend von hier und dort
Mit des eignen Sturmes Wehn
Über die nächtliche Stadt hin.
Flüchtend sah ich, durch Rauch und Gluth
Und der züngelnden Flamme Lohn8714 Lohn ] 2 HLohe C.1 4  (II aa)
8715Gräßlich zürnender Götter Nahn,
Schreitend Wundergestalten
Riesengroß durch düsteren
Feuerumleuchteten Qualm hin.
Sah’ ich’s, oder bildete
8720Mir der angstumschlungne Geist8720 angstumschlungne ] 2 III H.3a:1angstumschlungene 2 H C.1 4  (II b)
Solches Verworrene? sagen kann
Nimmer ich’s, doch daß ich dieß
Gräßliche hier mit Augen schau
Solches gewiß ja weiß ich;
8725Könnt’ es mit Händen fassen gar
Hielte von dem Gefährlichen
Nicht zurücke die Furcht mich.8727 mich. ] mich. 2 Hmich C.1 4  (II aa)
Welche von Phorkys
Töchtern nur bist du?
8730Denn ich vergleiche dich
Diesem Geschlechte.
Bist du vielleicht der graugebornen,
Eines Auges und Eines Zahns
Wechselsweis theilhaftigen,
8735Graien eine gekommen?
Wagest du Scheusal
Neben der Schönheit
Dich vor dem Kennerblick
Phöbus zu zeigen?
8740Tritt du dennoch hervor nur immer
Denn das Häßliche schaut Er nicht,8741 nicht, ] 2 H C.2α 4 C.3 4nicht. C.1 4  (II aa, IV b)
Wie sein heilig Auge noch
Nie erblickte den Schatten.
Doch uns Sterbliche nöthigt, ach,
8745Leider trauriges Mißgeschick
Zu dem unsäglichen Augenschmerz,
Den das Verwerfliche ewig-unselige
Schönheitliebenden rege macht.
Ja so höre denn, wenn du frech
8750Uns entgegenest, höre Fluch,
Höre jeglicher Schelte Drohn,
Aus dem verwünschenden Munde der Glücklichen
Die von Göttern gebildet sind.
Phorkyas
Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn,
8755Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,
Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
Daß wo sie immer irgend auch des Weges sich
Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.
8760Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,
Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,
Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,
Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.
Euch find’ ich nun, ihr frechen, aus der Fremde her
8765Mit Übermuth ergossen, gleich der Kraniche
Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,
In langer Wolke, krächzend sein Getön herab
Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf
Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,
8770Er geht den seinen, also wird’s mit uns geschehn.
Wer seyd denn ihr? daß ihr des Königes Hochpallast
Mänadisch wild, Betrunknen gleich umtoben dürft?
Wer seyd ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin
Entgegen heulet, wie dem Mond der Hunde Schaar?
8775Wähnt ihr, verborgen sey mir welch Geschlecht ihr seyd,
Du kriegerzeugte, schlechterzogne, junge Brut?8776 schlechterzogne ] 2 III H.3a:1schlachterzogne 2 H C.1 4  (II b)
Mannlustige du, so wie verführt verführende,
Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft.
Zu Hauf euch sehend scheint mir ein Cicaden-Schwarm
8780Herabzustürzen, deckend grüne Feldersaat.
Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende
Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr,
Erobert, marktverkauft, vertauschte Waare du!
Helena
Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,
8785Der Gebiet’rin Hausrecht tastet er vermessen an;
Denn ihr gebührt allein das Lobenswürdige
Zu rühmen, wie zu strafen was verwerflich ist.
Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir
Geleistet als die hohe Kraft von Ilios
8790Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger
Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnoth
Ertrugen, wo sonst jeder sich der nächste bleibt.
Auch hier erwart’ ich gleiches von der muntern Schaar;
Nicht was der Knecht sey, fragt der Herr, nur wie er dient,
8795Drum schweige du und grinse nicht sie länger an.8795 nicht sie ] 2 III H.2:1 sie nicht : nicht sie umst G 2 III H.2:1 sie nicht 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher,
Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;
Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,
Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.
Phorkyas
8800Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,
Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich
Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.
Da du, nun Anerkannte! neu den alten Platz8803 Anerkannte! neu ] 2 III H.1Anerkannte! nun 2 III H.2:1 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,
8805So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,
Nimm in Besitz den Schatz und sämmtlich uns dazu.
Vor allem aber schütze mich die ältere
Vor dieser Schaar, die, neben deiner Schönheit Schwan,
Nur schlecht befittigt schnatterhafte Gänse sind.
Chorführerin
8810Wie häßlich neben Schönheit zeigt sich Häßlichkeit.
Phorkyas
Wie unverständig neben Klugheit Unverstand.
Von hier an erwiedern die Choretiden, einzeln aus dem Chor heraustretend.
Choretide 1
Von Vater Erebus melde, melde von Mutter Nacht.
Phorkyas
So sprich von Scylla, leiblich dir Geschwisterkind.
Choretide 2
An deinem Stammbaum steigt manch Ungeheu’r empor.
Phorkyas
8815Zum Orkus hin! da suche deine Sippschaft auf.
Choretide 3
Die dorten wohnen sind dir alle viel zu jung.
Phorkyas
Tiresias den Alten gehe buhlend an.
Choretide 4
Orions Amme war dir Ur-Urenkelin.
Phorkyas
Harpyen wähn’ ich fütterten dich im Unflat auf.
Choretide 5
8820Mit was ernährst du so gepflegte Magerkeit?
Phorkyas
Mit Blute nicht, wonach du allzulüstern bist.
Choretide 6
Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!
Phorkyas
Vampyren-Zähne glänzen dir im frechen Maul.
Chorführerin
Das deine stopf’ ich wenn ich sage wer du seyst.
Phorkyas
8825So nenne dich zuerst, das Räthsel hebt sich auf.
Helena
Nicht zürnend, aber traurend schreit’ ich zwischen euch,
Verbietend solches Wechselstreites Ungestüm!
Denn schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn
Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.
8830Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr
In schnell vollbrachter That, wohlstimmig ihm zurück,
Nein, eigenwillig brausend tos’t es um ihn her,
Den selbstverirrten, in’s Vergeb’ne scheltenden.
Dieß nicht allein. Ihr habt in sittenlosem Zorn,8834 sittenlosem ] 2 III H.2:1sittelosem 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
8835Unsel’ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,
Die mich umdrängen, daß ich selbst zum Orkus mich
Gerissen fühle, vaterländ’scher Flur zum Trutz.
Ist’s wohl Gedächtniß? war es Wahn, der mich ergreift?
War ich das alles? Bin ich’s? Werd ich’s künftig seyn,
8840Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?
Die Mädchen schaudern, aber du die älteste
Du stehst gelassen, rede mir verständiges Wort.8842 verständiges ] 2 III H.2:1verständig 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Phorkyas
Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,
Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.
8845Du aber hochbegünstigt, sonder Maaß und Ziel,
In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,
Entzündet rasch zum kühnsten Wagstück jeder Art.
Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,
Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.
Helena
8850Entführte mich, ein siebenjährig schlankes Reh,8850 siebenjährig ] C.1 4zehenjährig 2 Hmon 2 III H.3bsiebenjährig G 2 H C.1 4 zehenjährig Ec 2 H C1 41 C3 41 Qdreyzehnjährig Ri 2 H  (VI)
Und mich umschloß Aphidnus Burg in Attika.
Phorkyas
Durch Castor und durch Pollux aber bald befreit,
Umworben standst du ausgesuchter Helden-Schaar.
Helena
Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh’,
8855Gewann Patroklus, er des Peliden Ebenbild.
Phorkyas
Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.
Helena
Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.
Aus ehlichem Beiseyn sproßte dann Hermione.
Phorkyas
8860Doch als er fern sich Creta’s Erbe kühn erstritt,
Dir Einsamen da erschien ein allzuschöner Gast.
Helena
Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft?
Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs?
Phorkyas
Auch jene Fahrt mir freigebornen Creterin
8865Gefangenschaft erschuf sie, lange Sclaverey.
Helena
Als Schaffnerin bestellt’ er dich sogleich hieher
Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.
Phorkyas
Die du verließest, Ilios umthürmter Stadt
Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.
Helena
8870Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s
Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.
Phorkyas
Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
In Ilios gesehen und in Ägypten auch.
Helena
Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.
8875Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht.
Phorkyas
Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!
Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.
Helena
Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
8880Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.
Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.
Sinkt dem Halbchor in die Armenach 8881 Arme ] Arme). C.1 4Arme.) C.2α 4 C.3 4  (VIII)
Chor
Schweige, schweige!
Mißblickende, mißredende du!
Aus so gräßlichen einzahnigen
8885Lippen was enthaucht wohl
Solchem furchtbaren Greuelschlund.
Denn der bösartige wohlthätig erscheinend,
Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ,
Mir ist er weit schrecklicher als des drey-
8890köpfigen Hundes Rachen.
Ängstlich lauschend stehn wir da,
Wann? wie? wo nur bricht’s hervor
Solcher Tücke
Tiefauflauerndes Ungethüm?
8895Nun denn, statt freundlich mit Trost reich begabten
Letheschenkenden holdmildesten Worts,
Regest du auf aller Vergangenheit
Bösestes mehr denn Gutes,
Und verdüsterst allzugleich
8900Mit dem Glanz der Gegenwart8900 Glanz ] C.1 4 Glanz : Glanze zS 2 H   (VII)
Auch der Zukunft
Mild aufschimmerndes Hoffnungslicht.
Schweige, schweige!
Daß der Königin Seele,
8905Schon zu entfliehen bereit,
Sich noch halte, festhalte
Die Gestalt aller Gestalten
Welche die Sonne jemals beschien.
Helena hat sich erholt und steht wieder in der Mitte.
Phorkyas
Tritt hervor aus flüchtigen Wolken hohe Sonne dieses Tags
8910Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im Glanze herrscht.
Wie die Welt sich dir entfaltet schaust du selbst mit holdem Blick.
Schelten sie mich auch für häßlich kenn’ ich doch das Schöne wohl.
Helena
Tret’ ich schwankend aus der Öde die im Schwindel mich umgab,
Pflegt’ ich gern der Ruhe wieder, denn so müd’ ist mein Gebein:
8915Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt es wohl
Sich zu fassen, zu ermannen was auch drohend überrascht.
Phorkyas
Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns da,
Sagt dein Blick, daß du befiehlest, was befiehlst du? sprich es aus.
Helena
Eures Haders frech Versäumniß auszugleichen seyd bereit,
8920Eilt ein Opfer zu bestellen wie der König mir gebot.
Phorkyas
Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreyfuß, scharfes Beil,
Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig’ an.
Helena
Nicht bezeichnet’ es der König.
Phorkyas
Sprach’s nicht aus? O Jammerwort!
Helena
Welch ein Jammer überfällt dich?
Phorkyasvor 8924 Phorkyas ] Phorkyas C.1 4Phorkyas. C.2α 4 C.3 4  (VIII)
Königin, du bist gemeint!
Helena
8925Ich?
Phorkyas
8925Und diese.
Chor
8925Weh und Jammer!
Phorkyas
8925Fallen wirst du durch das Beil.
Helena
Gräßlich! doch geahnt, ich Arme!
Phorkyas
Unvermeidlich scheint es mir.
Chor
Ach! Und uns? was wird begegnen?
Phorkyas
Sie stirbt einen edlen Tod;
Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches Giebel trägt,
Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der Reihe nach.
Helena und Chor stehen erstaunt und erschreckt, in bedeutender, wohl vorbereiteter Gruppe
Phorkyas
8930Gespenster! – – – Gleich erstarrten Bildern steht ihr da,
Geschreckt vom Tag zu scheiden der euch nicht gehört.
Die Menschen, die Gespenster sämmtlich gleich wie ihr,
Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein;
Doch bittet, oder rettet niemand sie vom Schluß;
8935Sie wissen’s alle, wenigen doch gefällt es nur.
Genug ihr seyd verloren! Also frisch an’s Werk.
klatscht in die Hände, darauf erscheinen an der Pforte vermummte Zwerggestalten, welche die ausgesprochenen Befehle alsobald mit Behendigkeit ausführen.
Herbei du düstres, kugelrundes Ungethüm,
Wälzt euch hieher, zu schaden gibt es hier nach Lust.
Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz,
8940Das Beil, es liege blinkend über dem Silberrand,
Die Wasserkrüge füllet, abzuwaschen gibt’s
Des schwarzen Blutes greuelvolle Besudelung.
Den Teppich breitet köstlich hier am Staube hin,
Damit das Opfer niederkniee königlich,
8945Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts, sogleich
Anständig würdig, aber doch bestattet sey.
Chorführerin
Die Königin stehet sinnend an der Seite hier,
Die Mädchen welken gleich gemähtem Wiesengras;
Mir aber däucht, der Ältesten, heiliger Pflicht gemäß
8950Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Urälteste.
Du bist erfahren, weise, scheinst uns gut gesinnt,
Ob schon verkennend hirnlos diese Schaar dich traf.
Drum sage, was du möglich noch von Rettung weißt.
Phorkyas
Ist leicht gesagt: Von der Königin hängt allein es ab
8955Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.
Entschlossenheit ist nöthig und die behendeste.
Chor
Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle du,
Halte gesperrt die goldne Schere, dann verkünd’ uns Tag und Heil;
Denn wir fühlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln unergetzlich
8960Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich ergetzten,
Ruh’ten drauf an Liebchens Brust.
Helena
Laß diese bangen! Schmerz empfind’ ich, keine Furcht;
Doch kennst du Rettung, dankbar sey sie anerkannt.
Dem Klugen, Weitumsichtigen zeigt fürwahr sich oft
8965Unmögliches noch als möglich. Sprich und sag es an.
Chor
Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir den grausen,
Garstigen Schlingen? die bedrohlich, als die schlechtesten Geschmeide,
Sich um unsre Hälse ziehen. Vorempfinden wir’s, die Armen,
Zum entathmen, zum ersticken, wenn du Rhea, aller Götter
8970Hohe Mutter, dich nicht erbarmst.
Phorkyas
Habt ihr Geduld des Vortrags langgedehnten Zug
Still anzuhören? Mancherlei Geschichten sind’s.
Chor
Geduld genug! Zuhörend leben wir indeß.
Phorkyas
Dem der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt,
8975Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,
Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang,
Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch:
Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht
Mit flüchtigen Sohlen überschreitet freventlich,
8980Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz,
Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerstört.
Helena
Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier.
Du willst erzählen, rege nicht an Verdrießliches.
Phorkyas
Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs.
8985Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht,
Gestad’ und Inseln, alles streift er feindlich an,
Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt.
Vor Ilios verbracht’ er langer Jahre zehn,
Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.
8990Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos
Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?
Helena
Ist dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt,
Daß ohne Tadeln keine Lippe du regen kannst?8993 keine Lippe du ] 2 III H.2:1du keine Lippe 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Phorkyas
So viele Jahre stand verlassen das Thal-Gebirg,
8995Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,
Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
Herab Eurotas rollt und dann durch unser Thal
An Rohren breit hinfließend eure Schwäne nährt.
Dort hinten still im Gebirgthal hat ein kühn Geschlecht,
9000Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,
Und unersteiglich feste Burg sich aufgethürmt,
Von da sie Land und Leute placken wie’s behagt.
Helena
Das konnten sie vollführen? Ganz unmöglich scheint’s.
Phorkyas
Sie hatten Zeit, vielleicht an zwanzig Jahre sind’s.
Helena
9005Ist Einer Herr? sind’s Räuber viel, Verbündete?
Phorkyas
Nicht Räuber sind es, Einer aber ist der Herr.
Ich schelt’ ihn nicht und wenn er schon mich heimgesucht.
Wohl konnt’ er alles nehmen, doch begnügt er sich
Mit wenigen Freigeschenken, nannt er’s, nicht Tribut.9009 nannt ] C.1 4nannt’ C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Helena
9010Wie sieht er aus?
Phorkyas
9010Nicht übel! mir gefällt er schon.
Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
Wie unter Griechen wenig ein verständger Mann,9012 verständger ] C.1 4verständ’ger C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht
Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios
9015Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies.
Ich acht’ auf seine Großheit, Ihm vertraut’ ich mich.9016 Ihm ] 2 Hihm C.1 4  (II aa)
Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn,
Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk
Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,
9020Cyklopisch wie Cyklopen, rohen Stein sogleich
Auf rohe Steine stürzend; dort hingegen, dort
Ist alles senk- und wagerecht und regelhaft.
Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,
So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.
9025Zu klettern hier – ja selbst der Gedanke gleitet ab.
Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings
Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.
Da seht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,
Altane, Galerie’n zu schauen aus und ein,9029 ein, ] C.1 4ein. C.2α 4 C.3 4  (IV a)
9030Und Wappen.
Chor
9030Was sind Wappen?
Phorkyas
9030Ajax führte ja
Geschlungene Schlang’ im Schilde, wie ihr selbst gesehn.9031 Geschlungene ] 2 III H.2:1Geschlungene (letztes e undeutlich) G 2 III H.33 2 III H.1 Geschlungne : Geschlungene (undeutlich) G 2 III H.2:1 Geschlungne Jo auf eingeklebtem Zettel 2 III H.2:1 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerey’n
Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll.
Da sah man Mond und Stern’ am nächtigen Himmelsraum,
9035Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,
Und was bedrängliches guten Städten grimmig droht.
Ein solch Gebilde führt auch unsre Heldenschaar
Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.
Da seht ihr Löwen, Adler, Klau’ und Schnabel auch,
9040Dann Büffelhörner, Flügel, Rosen, Pfauenschweif,
Auch Streifen, Gold und Schwarz, und Silber Blau und Roth.9041 Gold bis Roth ] 2 III H.2:1Gold und Schwarze, silbern blau und roth : Gold und Schwarz, und Silber Blau und Roth Ri 2 III H.2:1Gold und Schwarz, und silbern, blau und roth 2 III H.3a:1gold und schwarz, und silbern, blau und roth 2 Hgold und schwarz und silbern, blau und roth C.1 4  (II b)
Dergleichen hängt in Sälen Reih an Reihe fort,
In Sälen, gränzenlosen, wie die Welt so weit;
Da könnt ihr tanzen!
Chor
Sage, gibt’s auch Tänzer da?
Phorkyas
9045Die besten! goldgelockte, frische Bubenschaar.
Die duften Jugend, Paris duftete einzig so,
Als er der Königin zu nahe kam.
Helena
Du fällst
Ganz aus der Rolle, sage mir das letzte Wort!
Phorkyas
Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich ja!
9050Sogleich umgeb’ ich dich mit jener Burg.
Chor
9050O sprich
Das kurze Wort! und rette dich und uns zugleich.
Helena
Wie? sollt’ ich fürchten, daß der König Menelas
So grausam sich verginge mich zu schädigen?
Phorkyas
Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus,
9055Des todtgekämpften Paris Bruder, unerhört
Verstümmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt
Und glücklich kebste; Nas’ und Ohren schnitt er ab
Und stümmelte mehr so; Greuel war es anzuschaun.
Helena
Das that er jenem, meinetwegen that er das.
Phorkyas
9060Um jeneswillen wird er dir das Gleiche thun.
Untheilbar ist die Schönheit; der sie ganz besaß9061 die ] 2 Hdeine C.1 4  (II aa)
Zerstört sie lieber, fluchend jedem Theilbesitz.
Trompeten in der Ferne; der Chor fährt zusammen.
Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid
Zerreißend anfaßt, also krallt sich Eifersucht
9065Im Busen fest des Mannes, der das nie vergißt
Was einst er besaß und nun verlor, nicht mehr besitzt.
Chor
Hörst du nicht die Hörner schallen? siehst der Waffen Blitze nicht?
Phorkyas
Sey willkommen Herr und König, gerne geb’ ich Rechenschaft.
Chor
Aber wir?
Phorkyas
Ihr wißt es deutlich, seht vor Augen ihren Tod,
9070Merkt den eurigen da drinne; nein zu helfen ist euch nicht.
Pause
Helena
Ich sann mir aus das Nächste das ich wagen darf.9071 das ich ] 2 III H.2:1was ich 2 III H.3a:1 2 H C.1 4  (II b)
Ein Widerdämon bist du, das empfind’ ich wohl,
Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.
Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
9075Das andre weiß ich; was die Königin dabei
In tiefem Busen geheimnißvoll verbergen mag,9076 In tiefem ] C.1 4Im tiefen 2 III H.2:1In tiefen 2 III H.3a:1In tiefen : In tiefem G 2 H  (II d*)
Sey jedem unzugänglich. Alte! geh voran.
Chor
O wie gern gehen wir hin,
Eilenden Fußes;
9080Hinter uns Tod,
Vor uns abermals
Ragender Veste
Unzugängliche Mauer.
Schütze sie eben so gut
9085Eben wie Ilios Burg,
Die doch endlich nur
Niederträchtiger List erlag.
Nebel verbreiten sich, umhüllen den Hintergrund, auch die Nähe, nach Belieben.
Wie? aber wie?
Schwestern schaut euch um!
9090War es nicht heiterer Tag?
Nebel schwanken streifig empor
Aus Eurotas heil’ger Fluth;
Schon entschwand das liebliche
Schilfumkränzte Gestade dem Blick,
9095Auch die frei, zierlich-stolz
Sanfthingleitenden Schwäne
In gesell’ger Schwimmlust
Seh’ ich, ach, nicht mehr!
Doch, aber doch
9100Tönen hör’ ich sie,
Tönen fern heiseren Ton!
Tod verkündenden sagen sie;
Ach daß uns er nur nicht auch,
Statt verheissener Rettung Heil,9104 verheissener ] C.1 4verheißener C.2α 4 C.3 4  (IV a)
9105Untergang verkünde zuletzt;
Uns den schwangleichen, lang-
Schön weißhalsigen; und ach!
Uns’rer Schwanerzeugten.
Weh uns, weh, weh!
9110Alles deckte sich schon
Rings mit Nebel umher.
Sehen wir doch einander nicht!
Was geschieht? gehen wir?
Schweben wir nur
9115Trippelnden Schritts am Boden hin?9115 Schritts ] 2 HSchrittes C.1 4  (II aa)
Siehst du nichts? schwebt nicht etwa gar
Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab
Heischend, gebietend uns wieder zurück
Zu dem unerfreulichen, grautagenden,
9120Ungreifbarer Gebilde vollen,
Überfüllten, ewig leeren Hades.
Ja auf einmal wird es düster, ohne Glanz entschwebt der Nebel
Dunkelgräulich, mauerbräunlich. Mauern stellen sich dem Blicke
Freiem Blicke starr entgegen. Ist’s ein Hof? ist’s tiefe Grube?
9125Schauerlich in jedem Falle! Schwestern ach! wir sind gefangen,
9126So gefangen wie nur je.
Innerer Burghof, umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des Mittelalters
Chorführerin
9127Vorschnell und thöricht, ächt wahrhaftes Weibsgebild!
Vom Augenblick abhängig, Spiel der Witterung,9128 Witterung, ] 2 HWitterung C.1 4  (II aa)
Des Glücks und Unglücks, keins von beiden wißt ihr je
9130Zu bestehn mit Gleichmuth. Eine widerspricht ja stets
Der andern heftig, überquer die andern ihr;
In Freud’ und Schmerz nur heult und lacht ihr gleichen Ton’s.
Nun schweigt! und wartet horchend was die Herrscherin
Hochsinnig hier beschließen mag für sich und uns.
Helena
9135Wo bist du Pythonissa? heiße wie du magst,
Aus diesen Gewölben tritt hervor der düstern Burg.
Gingst etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn
Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,
So habe Dank und führe schnell mich ein zu ihm;
9140Beschluß der Irrfahrt wünsch’ ich, Ruhe wünsch’ ich nur.9140 ich, ] C.1 4ich. C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Chorführerin
Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her;
Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht
Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher,
Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder Schritt.
9145Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth
Der wundersam aus vielen einsgewordnen Burg,
Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb.
Doch sieh, dort oben regt in Menge sich allbereits
In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch
9150Sich hin und her bewegend viele Dienerschaft;9150 Dienerschaft; ] 2 HDienerschaft, C.1 4  (II aa)
Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es.
Chor
Auf geht mir das Herz! o, seht nur dahin9152 Auf geht ] 2 HAufgeht C.1 4  (II aa)
Wie so sittig herab mit verweilendem Tritt
Jungholdeste Schaar anständig bewegt
9155Den geregelten Zug. Wie? auf wessen Befehl
Nur erscheinen gereiht und gebildet so früh,
Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?
Was bewundr’ ich zumeist! Ist es zierlicher Gang,
Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,
9160Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirsiche roth
Und eben auch so weichwollig beflaumt?
Gern biß ich hinein, doch ich schaudre davor,
Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund
Sich, gräßlich zu sagen! mit Asche.
9165Aber die schönsten
Sie kommen daher;
Was tragen sie nur?
Stufen zum Thron,
Teppich und Sitz,
9170Umhang und zelt-
artigen Schmuck,
Über überwallt er,
Wolkenkränze bildend,
Unsrer Königin Haupt,
9175Denn schon bestieg sie
Eingeladen herrlichen Pfühl.
Tretet heran
Stufe für Stufe
Reihet euch ernst.
9180Würdig, o würdig, dreyfach würdig
Sey gesegnet ein solcher Empfang!
Alles vom Chor ausgesprochene geschieht nach und nach.
Faust Nachdem Knaben und Knappen in langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an der Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt langsam würdig herunter.
Chorführerin
ihn aufmerksam beschauend
Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter thun,
Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,
Erhabnen Anstand, liebenswerthe Gegenwart
9185Vorübergänglich liehen; wird ihm jedesmal
Was er beginnt gelingen, sey’s in Männerschlacht,
So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Frau’n.
Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,
Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.
9190Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt
Seh ich den Fürsten; wende dich o Königin!
Faust
herantretend, einen Gefesselten zur Seite
Statt feyerlichsten Grußes, wie sich ziemte,
Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring ich dir9193 ehrfurchtsvollem ] ehrfurchtsvollem 2 Herfurchtsvollem C.1 4ehrfurchtsvollem C.2α 4 C.3 4  (I a)
In Ketten hartgeschlossen solchen Knecht,
9195Der Pflicht verfehlend mir die Pflicht entwand.
Hier kniee nieder! dieser höchsten Frau
Bekenntniß abzulegen deiner Schuld.
Dieß ist, erhabne Herrscherin, der Mann
Mit seltnem Augenblitz vom hohen Thurm
9200Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum
Und Erdenbreite scharf zu überspähn,
Was etwa da und dort sich melden mag,
Vom Hügelkreis in’s Thal zur festen Burg
Sich regen mag, der Heerden Woge sey’s,
9205Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,
Begegnen diesem. Heute, welch Versäumniß!9206 welch ] welch 2 III H.2:1welch’ 2 III H.3a:2 2 H C.1 4  (I b)
Du kommst heran, er meldet’s nicht, verfehlt
Ist ehrenvoller schuldigster Empfang
So hohen Gastes. Freventlich verwirkt
9210Das Leben hat er, läge schon im Blut
Verdienten Todes; doch nur du allein
Bestrafst, begnadigst, wie dir’s wohl gefällt.
Helena
So hohe Würde wie du sie vergönnst,
Als Richterin, als Herrscherin, und wär’s
9215Versuchend nur, wie ich vermuthen darf;
So üb’ ich nun des Richters erste Pflicht
Beschuldigte zu hören. Rede denn.
Thurmwärter Lynceusvor 9218 Thurmwärter ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Thurmwärter, C.1 4  (IV b)
Laß mich knieen, laß mich schauen,
Laß mich sterben, laß mich leben,
9220Denn schon bin ich hingegeben
Dieser gottgegebnen Frauen.
Harrend auf des Morgens Wonne,
Östlich spähend ihren Lauf,
Ging auf einmal mir die Sonne
9225Wunderbar im Süden auf.
Zog den Blick nach jener Seite,
Statt der Schluchten, statt der Höh’n9227 Höh’n ] C.1 4Höh’n, C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Statt der Erd- und Himmelsweite,
Sie die Einzige zu spähn.
9230Augenstrahl ist mir verliehen
Wie dem Luchs auf höchstem Baum,
Doch nun mußt’ ich mich bemühen
Wie aus tiefem düsterm Traum.
Wüßt’ ich irgend mich zu finden?
9235Zinne? Thurm? geschloßnes Thor?9235 geschloßnes ] C.1 4geschloss’nes C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Nebel schwanken, Nebel schwinden
Solche Göttin tritt hervor!
Aug’ und Brust ihr zugewendet
Sog ich an den milden Glanz,
9240Diese Schönheit wie sie blendet
Blendete mich Armen ganz.
Ich vergaß des Wächters Pflichten,
Völlig das beschworne Horn,
Drohe nur mich zu vernichten,
9245Schönheit bändigt allen Zorn.
Helena
Das Übel das ich brachte darf ich nicht
Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick9247 Welch ] Welch 2 HWelch’ C.1 4  (I b)
Verfolgt mich, überall der Männer Busen
So zu bethören, daß sie weder sich
9250Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,
Verführend, fechtend, hin und her entrückend;
Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,
Sie führten mich im Irren her und hin.
Einfach die Welt verwirrt’ ich, doppelt mehr,
9255Nun dreyfach, vierfach bring’ ich Noth auf Noth.
Entferne diesen Guten, laß ihn frei;
Den Gottbethörten treffe keine Schmach.
Faust
Erstaunt o Königin, seh’ ich zugleich
Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;
9260Ich seh’ den Bogen, der den Pfeil entsandt,
Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen
Mich treffend. Allwärts ahn’ ich überquer
Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.
Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir
9265Rebellisch die Getreusten, meine Mauern
Unsicher. Also fürcht’ ich schon, mein Heer
Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.
Was bleibt mir übrig? als mich selbst und alles,
Im Wahn das Meine, dir anheim zu geben.
9270Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,
Dich Herrin anerkennen, die sogleich
Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.
Lynceus
mit einer Kiste und Männer die ihm andere nachtragen
Du siehst mich, Königin, zurück!
Der Reiche bettelt einen Blick,
9275Er sieht dich an und fühlt sogleich
Sich bettelarm und fürstenreich.
Was war ich erst? was bin ich nun?
Was ist zu wollen? was zu thun?
Was hilft der Augen schärfster Blitz!
9280Er prallt zurück an deinem Sitz.
Von Osten kamen wir heran
Und um den Westen war’s gethan;
Ein lang und breites Volksgewicht,
Der erste wußte vom letzten nicht.
9285Der erste fiel, der zweyte stand,
Des dritten Lanze war zur Hand;
Ein jeder hundertfach gestärkt,
Erschlagne Tausend unbemerkt.
Wir drängten fort, wir stürmten fort,
9290Wir waren Herrn von Ort zu Ort;
Und wo ich herrisch heut befahl
Ein andrer morgen raubt’ und stahl.
Wir schauten, – eilig war die Schau;
Der griff die allerschönste Frau,
9295Der griff den Stier von festem Tritt,
Die Pferde mußten alle mit.
Ich aber liebte zu erspähn
Das Seltenste was man gesehn,
Und was ein andrer auch besaß,
9300Das war für mich gedörrtes Gras.
Den Schätzen war ich auf der Spur,
Den scharfen Blicken folgt’ ich nur,
In alle Taschen blickt’ ich ein,
Durchsichtig war mir jeder Schrein.
9305Und Haufen Goldes waren mein,
Am herrlichsten der Edelstein:
Nun der Smaragd allein verdient
Daß er an deinem Herzen grünt.
Nun schwanke zwischen Ohr und Mund
9310Das Tropfeney aus Meeresgrund;
Rubinen werden gar verscheucht,
Das Wangenroth sie niederbleicht.
Und so den allergrößten Schatz
Versetz’ ich hier auf deinen Platz,
9315Zu deinen Füßen sey gebracht
Die Erndte mancher blut’gen Schlacht.
So viele Kisten schlepp’ ich her,
Der Eisenkisten hab’ ich mehr;
Erlaube mich auf deiner Bahn
9320Und Schatzgewölbe füll’ ich an.
Denn du bestiegest kaum den Thron,
So neigen schon, so beugen schon
Verstand und Reichthum und Gewalt
Sich vor der einzigen Gestalt.
9325Das alles hielt ich fest und mein,
Nun aber lose, wird es dein,
Ich glaubt’ es würdig, hoch und baar,
Nun seh’ ich, daß es nichtig war.
Verschwunden ist was ich besaß,
9330Ein abgemähtes welkes Gras:
O gib mit einem heitern Blick
Ihm seinen ganzen Werth zurück!
Faust
Entferne schnell die kühn erworbne Last,
Zwar nicht getadelt aber unbelohnt.
9335Schon ist Ihr alles eigen was die Burg
Im Schoos verbirgt, Besondres Ihr zu bieten
Ist unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz
Geordnet an. Der ungeseh’nen Pracht
Erhabnes Bild stell’ auf! Laß die Gewölbe
9340Wie frische Himmel blinken, Paradiese
Von lebelosem Leben richte zu.
Voreilend ihren Tritten laß beblümt
An Teppich Teppiche sich wälzen, ihrem Tritt
Begegne sanfter Boden, ihrem Blick,
9345Nur göttliche nicht blendend, höchster Glanz.
Lynceus
Schwach ist was der Herr befiehlt,
Thut’s der Diener, es ist gespielt:
Herrscht doch über Gut und Blut
Dieser Schönheit Übermuth.
9350Schon das ganze Heer ist zahm
Alle Schwerter stumpf und lahm,
Vor der herrlichen Gestalt
Selbst die Sonne matt und kalt,
Vor dem Reichthum des Gesichts
9355Alles leer und alles nichts.
ab
Helena
zu Faust
Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf
An meine Seite komm! der leere Platz
Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.
Faust
Erst knieend laß die treue Widmung dir
9360Gefallen, hohe Frau; die Hand die mich
An deine Seite hebt laß mich sie küssen.
Bestärke mich als Mitregenten deines
Gränzunbewußten Reichs, gewinne dir
Verehrer, Diener, Wächter all’ in Einem.
Helena
9365Vielfache Wunder seh’ ich, hör’ ich an,
Erstaunen trifft mich, fragen möcht’ ich viel.
Doch wünscht’ ich Unterricht, warum die Rede
Des Mann’s mir seltsam klang, seltsam und freundlich.
Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,
9370Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,
Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.
Faust
Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker
O so gewiß entzückt auch der Gesang,9373 auch ] 2 Heuch C.1 4  (II aa)
Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.
9375Doch ist am sichersten wir üben’s gleich,
Die Wechselrede lockt es, ruft’s hervor.
Helena
So sage denn, wie sprech’ ich auch so schön?
Faust
Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.9378 von ] 2 III H.3a:2von 2 III H.48vom 2 H C.1 4  (II b)
Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,
9380Man sieht sich um und fragt –
Helena
9380Wer mit genießt.
Faust
Nun schaut der Geist nicht vorwärts nicht zurück,
Die Gegenwart allein –
Helena
Ist unser Glück.
Faust
Schatz ist sie, Hochgewinn, Besitz und Pfand;
Bestätigung wer gibt sie?
Helena
Meine Hand.
Chor
9385Wer verdächt’ es unsrer Fürstin
Gönnet sie dem Herrn der Burg
Freundliches Erzeigen.
Denn gesteht, sämmtliche sind wir
Ja Gefangene, wie schon öfter,
9390Seit dem schmählichen Untergang
Ilios und der ängstlich-
Labyrinthischen Kummerfahrt.
vor 9393 Spatium 2 H Spatium fehlt C.1 4  (II aa)Fraun, gewöhnt an Männerliebe,
Wählerinnen sind sie nicht,
9395Aber Kennerinnen.
Und wie goldlockigen Hirten,
Vielleicht schwarzborstigen Faunen,
Wie es bringt die Gelegenheit,
Über die schwellenden Glieder
9400Vollertheilen sie gleiches Recht.
vor 9401 Spatium 2 H Spatium fehlt C.1 4  (II aa)Nah und näher sitzen sie schon
An einander gelehnet,
Schulter an Schulter, Knie an Knie,
Hand in Hand wiegen sie sich
9405Über des Throns
Aufgepolsterter Herrlichkeit.
Nicht versagt sich die Majestät
Heimlicher Freuden
Vor den Augen des Volkes
9410Übermüthiges Offenbarseyn.
Helena
Ich fühle mich so fern und doch so nah
Und sage nur zu gern: da bin ich! da!
Faust
Ich athme kaum, mir zittert, stockt das Wort,
Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.
Helena
9415Ich scheine mir verlebt und doch so neu,
In dich verwebt, dem Unbekannten treu.
Faust
Durchgrüble nicht das einzigste Geschick
Daseyn ist Pflicht und wär’s ein Augenblick.
Phorkyas
heftig eintretend
Buchstabirt in Liebes-Fibeln,
9420Tändelnd grübelt nur am Liebeln,
Müßig liebelt fort im Grübeln,
Doch dazu ist keine Zeit.
Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?
Hört nur die Trompete schmettern,
9425Das Verderben ist nicht weit.
Menelas mit Volkes-Wogen
Kommt auf euch herangezogen;
Rüstet euch zu herbem Streit!
Von der Sieger-Schaar umwimmelt,
9430Wie Deiphobus verstümmelt
Büßest du das Fraun-Geleit.
Bammelt erst die leichte Waare,
Dieser gleich ist am Altare
Neugeschliffnes Beil bereit.
Faust
9435Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein,
Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüm.
Den schönsten Boten Unglücksbotschaft häßlicht ihn;
Du Häßlichste gar nur schlimme Botschaft bringst du gern.
Doch dießmal soll dir’s nicht gerathen, leeres Hauchs
9440Erschüttere du die Lüfte. Hier ist nicht Gefahr,
Und selbst Gefahr erschiene nur als eitles Dräun.
Signale, Explosionen von den Thürmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch gewaltiger Heereskraft
Faust
Nein gleich sollst du versammelt schauen
Der Helden ungetrennten Kreis:
Nur der verdient die Gunst der Frauen,
9445Der kräftigst sie zu schützen weiß.
Zu den Heerführern, die sich von den Colonnen absondern und herantreten:
Mit angehaltnem stillem Wüthen,9446 stillem ] 2 III H.45a C.2α 4stillen C.1 4 C.3 4  (IV b)
Das euch gewiß den Sieg verschafft,
Ihr Nordens jugendliche Blüthen,
Ihr Ostens blumenreiche Kraft.
9450In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,
Die Schaar die Reich um Reich zerbrach,
Sie treten auf, die Erde schüttert,
Sie schreiten fort, es donnert nach.
An Pylos traten wir zu Lande,
9455Der alte Nestor ist nicht mehr,
Und alle kleine Königsbande
Zersprengt das ungebundne Heer.
Drängt ungesäumt von diesen Mauern
Jetzt Menelas dem Meer zurück;
9460Dort irren mag er, rauben, lauern,
Ihm war es Neigung und Geschick.
Herzoge soll ich euch begrüßen
Gebietet Sparta’s Königin,
Nun legt ihr Berg und Thal zu Füßen,
9465Und euer sey des Reichs Gewinn.
Germane du! Corinthus Buchten
Vertheidige mit Wall und Schutz,
Achaia dann mit hundert Schluchten,
Empfehl’ ich Gothe deinem Trutz.
9470Nach Elis ziehn der Franken Heere,
Messene sey der Sachsen Loos,
Normanne reinige die Meere
Und Argolis erschaff er groß.
Dann wird ein jeder häuslich wohnen,
9475Nach außen richten Kraft und Blitz;
Doch Sparta soll euch überthronen
Der Königin verjährter Sitz.
All-Einzeln sieht sie euch genießen
Des Landes dem kein Wohl gebricht;
9480Ihr sucht getrost zu ihren Füßen
Bestätigung und Recht und Licht.
Faust steigt herab, die Fürsten schließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu vernehmen.
Chor
Wer die Schönste für sich begehrt,
Tüchtig vor allen Dingen
Seh er nach Waffen weise sich um;
9485Schmeichelnd wohl gewann er sich
Was auf Erden das Höchste;
Aber ruhig besitzt er’s nicht:
Schleicher listig entschmeicheln sie ihm,
Räuber kühnlich entreißen sie ihm,
9490Dieses zu hinderen sey er bedacht.
Unsern Fürsten lob’ ich drum,
Schätz’ ihn höher vor andern,
Wie er so tapfer klug sich verband
Daß die Starken gehorchend stehn
9495Jedes Winkes gewärtig.
Seinen Befehl vollziehn sie treu,
Jeder sich selbst zu eignem Nutz
Wie dem Herrscher zu lohnendem Dank,
Beiden zu höchlichem Ruhmes-Gewinn.
9500Denn wer entreißet sie jetzt
Dem gewalt’gen Besitzer?
Ihm gehört sie, ihm sey sie gegönnt,
Doppelt von uns gegönnt, die er
Sammt ihr zugleich innen mit sicherster Mauer
9505Außen mit mächtigstem Heer umgab.
Faust
Die Gaben, diesen hier verliehen –
An jeglichen ein reiches Land –
Sind groß und herrlich, laß sie ziehen!
Wir halten in der Mitte Stand.
9510Und sie beschützen um die Wette
Rings um von Wellen angehüpft,
Nichtinsel dich, mit leichter Hügelkette
Europens letztem Bergast angeknüpft.
Das Land, vor aller Länder Sonnen
9515Sey ewig jedem Stamm beglückt,
Nun meiner Königin gewonnen,
Das früh an ihr hinauf geblickt,9517 hinauf geblickt, ] hinaufgeblickt, 2 III H.58ahinauf geblickt. 2 III H.2:1hinaufgeblickt. 2 III H.3a:2hinauf geblickt. 2 H C.1 4  (II b)
Als, mit Eurotas Schilfgeflüster,
Sie leuchtend aus der Schale brach,
9520Der hohen Mutter, dem Geschwister
Das Licht der Augen überstach.
Dieß Land, allein zu dir gekehret,9522 Land, ] 2 HLand C.1 4  (II aa)
Entbietet seinen höchsten Flor;
Dem Erdkreis, der dir angehöret,
9525Dein Vaterland o! zieh es vor.
Und duldet auch auf seiner Berge Rücken
Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,
Läßt nun der Fels sich angegrünt erblicken,
Die Ziege nimmt genäschig kargen Theil.
9530Die Quelle springt, vereinigt stürzen Bäche,
Und schon sind Schluchten, Hänge, Matten grün.
Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche
Siehst Wollenheerden ausgebreitet ziehn.
Vertheilt, vorsichtig, abgemessen schreitet9534 vorsichtig, ] 2 Hvorsichtig mit ungewöhnlich großem Spatium C.1 4  (II aa)
9535Gehörntes Rind hinan zum gähen Rand,9535 gähen ] 2 Hjähen C.1 4  (II aa)
Doch Obdach ist den sämmtlichen bereitet,
Zu hundert Höhlen wölbt sich Felsenwand.
Pan schützt sie dort und Lebensnymphen wohnen
In buschiger Klüfte feucht erfrischtem Raum,
9540Und, sehnsuchtsvoll nach höhern Regionen,
Erhebt sich zweighaft Baum gedrängt an Baum.
Alt-Wälder sind’s! Die Eiche starret mächtig9542 Alt-Wälder ] Alt-Wälder 2 HAlt- Wälder C.1 4  (I c)
Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast;
Der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig,
9545Steigt rein empor und spielt mit seiner Last.
Und mütterlich im stillen Schattenkreise
Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;
Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,
Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.
9550Hier ist das Wohlbehagen erblich,
Die Wange heitert wie der Mund,
Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich:
Sie sind zufrieden und gesund.
Und so entwickelt sich am reinen Tage
9555Zu Vaterkraft das holde Kind.
Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:
Ob’s Götter, ob es Menschen sind?
So war Apoll den Hirten zugestaltet
Daß ihm der schönsten einer glich;
9560Denn wo Natur im reinen Kreise waltet
Ergreifen alle Welten sich.
Neben ihr sitzendvor 9562 sitzend ] sitzend) C.1 4sitzend.) C.2α 4 C.3 4  (VIII)
So ist es mir, so ist es dir gelungen,
Vergangenheit sey hinter uns gethan;
O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,
9565Der ersten Welt gehörst du einzig an.
Nicht feste Burg soll dich umschreiben!
Noch zirkt, in ewiger Jugendkraft
Für uns, zu wonnevollem Bleiben,
Arkadien in Sparta’s Nachbarschaft.
9570Gelockt auf sel’gem Grund zu wohnen,
Du flüchtetest in’s heiterste Geschick!
Zur Laube wandeln sich die Thronen,
9573Arkadisch frei sey unser Glück!
Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschloßne Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend vertheilt umher.
Phorkyas
9574Wie lange Zeit die Mädchen schlafen weiß ich nicht,
9575Ob sie sich träumen ließen was ich hell und klar
Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
Drum weck’ ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;
Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,
Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun –9579 anzuschaun – ] 2 Hanzuschaun. C.1 4  (II aa)
9580Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch;
Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so, und hört mich an!
Chor
Rede nur, erzähl’ erzähle was sich Wunderlichs begeben,
Hören möchten wir am liebsten was wir gar nicht glauben können,
Denn wir haben lange Weile diese Felsen anzusehn.
Phorkyas
9585Kaum die Augen ausgerieben Kinder langeweilt ihr schon!9585 schon! ] 2 Hschon? C.1 4  (II aa)
So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben
Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,
Unserm Herrn und unsrer Frauen.
Chor
Wie, da drinnen?
Phorkyas
Abgesondert
Von der Welt, nur mich die Eine riefen sie zu stillem Dienste.
9590Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es Vertrauten ziemet,
Schaut’ ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier- und dorthin,
Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,
Und so blieben sie allein.
Chor
Thust du doch als ob da drinne ganze Weltenräume wären,9594 drinne ] 2 Hdrinnen C.1 4  (II aa)
9595Wald und Wiese, Bäche, Seen, welche Mährchen spinnst du ab!
Phorkyas
Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:
Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt’ ich sinnend aus.
Doch auf einmal ein Gelächter echo’t in den Höhlen-Räumen;
Schau’ ich hin, da springt ein Knabe von der Frauen Schoos zum Manne,
9600Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel,
Thöriger Liebe Neckereyen, Scherzgeschrei und Lustgejauchze9601 Scherzgeschrei ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Scherzgeschrey C.1 4  (IV b)
Wechselnd übertäuben mich.
Nackt ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Thierheit,9603 Thierheit, ] 2 HThierheit C.1 4  (II aa)
Springt er auf den festen Boden, doch der Boden gegenwirkend
9605Schnellt ihn zu der luft’gen Höhe, und im zweyten dritten Sprunge
Rührt er an das Hochgewölb.
Ängstlich ruft die Mutter: springe wiederholt und nach Belieben,
Aber hüte dich zu fliegen, freier Flug ist dir versagt.
Und so mahnt der treue Vater: in der Erde liegt die Schnellkraft,
9610Die dich aufwärts treibt, berühre mit der Zehe nur den Boden
Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.
Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante
Zu dem andern und umher so wie ein Ball geschlagen springt.
Doch auf einmal in der Spalte rauher Schlucht ist er verschwunden,
9615Und nun scheint er uns verloren. Mutter jammert, Vater tröstet,
Achselzuckend steh’ ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!
Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande
Hat er würdig angethan.
Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen,
9620In der Hand die goldne Leyer, völlig wie ein kleiner Phöbus
Tritt er wohlgemuth zur Kante, zu dem Überhang; wir staunen.
Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich an’s Herz.
Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt ist schwer zu sagen,
Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft.
9625Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend
Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodieen
Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr ihn hören,
Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.
Chor
Nennst du ein Wunder dieß,
9630Creta’s Erzeugte?
Dichtend belehrendem Wort
Hast du gelauscht wohl nimmer?
Niemals noch gehört Ioniens,
Nie vernommen auch Hellas
9635Urväterlicher Sagen
Göttlich-heldenhaften Reichthum?
Alles was je geschieht
Heutiges Tages
Trauriger Nachklang ist’s
9640Herrlicher Ahnherrn-Tage;
Nicht vergleicht sich dein Erzählen
Dem was liebliche Lüge
Glaubhaftiger als Wahrheit
Von dem Sohne sang der Maja.
9645Diesen zierlich und kräftig doch
Kaum geborenen Säugling
Faltet in reinster Windeln Flaum
Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck
Klatschender Wärterinnen Schaar
9650Unvernünftigen Wähnens.
Kräftig und zierlich aber zieht
Schon der Schalk die geschmeidigen
Doch elastischen Glieder
Listig heraus, die purpurne9654 Listig ] 2 HLustig C.1 4  (II aa)
9655Ängstlich drückende Schale
Lassend ruhig an seiner Statt.
Gleich dem fertigen Schmetterling
Der aus starrem Puppenzwang
Flügel entfaltend behendig schlüpft
9660Sonne-durchstrahlten Äther kühn
Und muthwillig durchflatternd.
So auch er der behendeste,
Daß er Dieben und Schälken,
Vortheil suchenden allen auch
9665Ewig günstiger Dämon sey.
Dieß bethätigt er alsobald
Durch gewandteste Künste.
Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt
Er den Trident, ja dem Ares selbst
9670Schlau das Schwert aus der Scheide:
Bogen und Pfeile dem Phöbus auch,9671 Pfeile ] Ri 2 III H.2:2Pfeil 2 III H.3a:2 2 H C.1 4  (II b)
Wie dem Hephästos die Zange;
Selber Zeus, des Vaters, Blitz
Nähm’ er, schreckt’ ihn das Feuer nicht;
9675Doch dem Eros siegt er ob
In beinstellendem Ringerspiel,9676 Ringerspiel, ] 2 HRingerspiel. C.1 4  (II aa)
Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kos’t,
Noch vom Busen den Gürtel.
Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.
Phorkyas
Höret allerliebste Klänge,
9680Macht euch schnell von Fabeln frei,
Eurer Götter alt Gemenge
Laßt es hin, es ist vorbei.
Niemand will euch mehr verstehen,
Fordern wir doch höhern Zoll:
9685Denn es muß von Herzen gehen,
Was auf Herzen wirken soll.
Sie zieht sich nach den Felsen zurück.nach 9686 den ] 2 Hdem C.1 4  (II aa)
Chor
Bist du fürchterliches Wesen
Diesem Schmeichelton geneigt,
Fühlen wir, als frisch genesen,
9690Uns zur Thränenlust erweicht.
Laß der Sonne Glanz verschwinden,
Wenn es in der Seele tagt,
Wir im eignen Herzen finden
Was die ganze Welt versagt.
Helena, Faust, Euphorion in dem oben beschriebenen Costüm
Euphorion
9695Hört ihr Kindeslieder singen,
Gleich ist’s euer eigner Scherz;
Seht ihr mich im Tacte springen,
Hüpft euch elterlich das Herz.
Helena
Liebe, menschlich zu beglücken
9700Nähert sie ein edles Zwey,
Doch zu göttlichem Entzücken
Bildet sie ein köstlich Drey.
Faust
Alles ist sodann gefunden:
Ich bin dein und du bist mein;
9705Und so stehen wir verbunden,
Dürft’ es doch nicht anders seyn!
Chor
Wohlgefallen vieler Jahre
In des Knaben mildem Schein
Sammelt sich auf diesem Paare.
9710O! wie rührt mich der Verein.
Euphorion
Nun laßt mich hüpfen,
Nun laßt mich springen,
Zu allen Lüften
Hinauf zu dringen
9715Ist mir Begierde,
Sie faßt mich schon.
Faust
Nur mäßig! mäßig!
Nicht ins Verwegne,
Daß Sturz und Unfall
9720Dir nicht begegne,
Zu Grund uns richte
Der theure Sohn.
Euphorion
Ich will nicht länger
Am Boden stocken;
9725Laßt meine Hände,
Laßt meine Locken,
Laßt meine Kleider,
Sie sind ja mein.
Helena
O denk’! o denke
9730Wem du gehörest!
Wie es uns kränke,
Wie du zerstörest
Das schön errungene
Mein, Dein und Sein.
Chor
9735Bald lös’t, ich fürchte,
Sich der Verein!
Helena und Faust
Bändige! bändige!
Eltern zu Liebe
Überlebendige
9740Heftige Triebe!
Ländlich im Stillen
Ziere den Plan.
Euphorion
Nur euch zu Willen
Halt’ ich mich an.
Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanze fortziehend
9745Leichter umschweb’ ich hie9745 hie ] 2 H Komma mit Bleistift erg und wieder ausgewischt 2 Hhie, C.1 4  (II aa)
Muntres Geschlecht.
Ist nun die Melodie,
Ist die Bewegung recht?
Helena
Ja, das ist wohlgethan,
9750Führe die Schönen an
Künstlichem Reihn.
Faust
Wäre das doch vorbei!
Mich kann die Gaukeley
Gar nicht erfreun.
Euphorion und Chor
tanzend und singend bewegen sich in verschlungenem Reihenvor 9755 verschlungenem ] 2 Hverschlungenen C.1 4  (II aa)
9755Wenn du der Arme Paar
Lieblich bewegest;
Im Glanz dein lockig Haar
Schüttelnd erregest,
Wenn dir der Fuß so leicht
9760Über die Erde schleicht,
Dort und da wieder hin
Glieder um Glied sich ziehn,
Hast du dein Ziel erreicht
Liebliches Kind;
9765All’ unsre Herzen sind
All dir geneigt.9766 All ] 2 HAll’ C.1 4  (II aa)
Pause
Euphorion
Ihr seyd so viele
Leichtfüßige Rehe,
Zu neuem Spiele
9770Frisch aus der Nähe,
Ich bin der Jäger
Ihr seyd das Wild.
Chor
Willst du uns fangen
Sey nicht behende,
9775Denn wir verlangen
Doch nur am Ende
Dich zu umarmen
Du schönes Bild.
Euphorion
Nur durch die Haine!
9780Zu Stock und Steine!
Das leicht Errungene
Das widert mir,
Nur das Erzwungene
Ergetzt mich schier.
Helena und Faust
9785Welch ein Muthwill! welch ein Rasen!
Keine Mäßigung ist zu hoffen.
Klingt es doch wie Hörnerblasen
Über Thal und Wälder dröhnend,
Welch ein Unfug! welch Geschrei!9789 Geschrei ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Geschrey C.1 4  (IV b)
Chor
einzeln schnell eintretend
9790Uns ist er vorbei gelaufen,
Mit Verachtung uns verhöhnend,
Schleppt er von dem ganzen Haufen9792 Schleppt ] 2 HSchleppt’ C.1 4  (II aa)
Nun die wildeste herbei.
Euphorion
ein junges Mädchen hereintragend
Schlepp’ ich her die derbe Kleine
9795Zu erzwungenem Genusse.
Mir zur Wonne, mir zur Lust
Drück’ ich widerspenstige Brust,
Küss’ ich widerwärtigen Mund,
Thue Kraft und Willen kund.
Mädchen
9800Laß mich los! In dieser Hülle
Ist auch Geistes Muth und Kraft,
Deinem gleich ist unser Wille
Nicht so leicht hinweggerafft.
Glaubst du wohl mich im Gedränge?
9805Deinem Arm vertraust du viel!
Halte fest, und ich versenge
Dich den Thoren mir zum Spiel.
Sie flammt auf und lodert in die Höhe.nach 9807 Höhe. ] Höhe). C.1 4Höhe.) C.2α 4 C.3 4  (VIII)
Folge mir in leichte Lüfte,
Folge mir in starre Grüfte,
9810Hasche das verschwundne Ziel.
Euphorion
die letzten Flammen abschüttelnd
Felsengedränge hier
Zwischen dem Waldgebüsch,
Was soll die Enge mir,
Bin ich doch jung und frisch.
9815Winde sie sausen ja,
Wellen sie brausen da
Hör’ ich doch beides fern,
Nah wär’ ich gern.
Er springt immer höher Fels auf.
Helena, Faust und Chor
Wolltest du den Gemsen gleichen?
9820Vor dem Falle muß uns graun.
Euphorion
Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun.
Weiß ich nun wo ich bin!
Mitten der Insel drin,
9825Mitten in Pelops Land,
Erde- wie seeverwandt.
Chor
Magst du nicht in Berg und Wald
Friedlich verweilen,
Suchen wir alsobald
9830Reben in Zeilen,
Reben am Hügelrand;
Feigen und Apfelgold.
Ach in dem holden Land
Bleibe du hold.
Euphorion
9835Träumt ihr den Friedenstag?
Träume wer Träume mag.9836 Träume mag ] G 2 III H.2:2träumen mag 2 III H.3a:2 2 H C.1 4  (II b)
Krieg ist das Losungswort
Sieg! und so klingt es fort.
Chor
Wer im Frieden
9840Wünschet sich Krieg zurück
Der ist geschieden
Vom Hoffnungsglück.
Euphorion
Welche dieß Land gebar
Aus Gefahr in Gefahr,
9845Frei, unbegrenzten Muth’s
Verschwendrisch eignen Bluts.
Den nicht zu dämpfenden
Heiligen Sinn
Alle den Kämpfenden
9850Bring’ es Gewinn!
Chor
Seht hinauf wie hoch gestiegen!
Und erscheint uns doch nicht klein.9852 erscheint ] C.1 4erscheint G 2 III H.2:2 erscheint : er scheint Jo (nicht zweifelsfrei G) 2 III H.3a:2 erscheint 2 H C.1 4  (II b*)
Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
Wie von Erz und Stahl der Schein.
Euphorion
9855Keine Wälle, keine Mauern,9855 Wälle ] 2 HWelle C.1 4  (II aa)
Jeder nur sich selbst bewußt;
Feste Burg, um auszudauern
Ist des Mannes eh’rne Brust.
Wollt ihr unerobert wohnen,
9860Leicht bewaffnet rasch ins Feld;
Frauen werden Amazonen
Und ein jedes Kind ein Held.
Chor
Heilige Poesie,
Himmelan steige sie,
9865Glänze, der schönste Stern,
Fern und so weiter fern,
Und sie erreicht uns doch
Immer, man hört sie noch,
Vernimmt sie gern.
Euphorion
9870Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,
In Waffen kommt der Jüngling an;
Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,
Hat er im Geiste schon gethan.
Nun fort!
9875Nun dort
Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.
Helena und Faust
Kaum in’s Leben eingerufen,
Heitrem Tag gegeben kaum,
Sehnest du von Schwindelstufen
9880Dich zu schmerzenvollem Raum.
Sind denn wir
Gar nichts dir?
Ist der holde Bund ein Traum?
Euphorion
Und hört ihr donnern auf dem Meere?
9885Dort wiederdonnern Thal um Thal,
In Staub und Wellen Heer dem Heere,
In Drang um Drang zu Schmerz und Qual.
Und der Tod
Ist Gebot,
9890Das versteht sich nun einmal.
Helena, Faust und Chor
Welch Entsetzen! welches Grauen!
Ist der Tod denn dir Gebot?
Euphorion
Sollt’ ich aus der Ferne schauen,
Nein! ich theile Sorg’ und Noth.
Die Vorigen
9895Übermuth und Gefahr,
Tödtliches Loos!9896 Loos! ] 2 HLoos. C.1 4  (II aa)
Euphorion
Doch! – und ein Flügelpaar
Faltet sich los.9898 los. ] 2 Hlos! C.1 4  (II aa)
Dorthin! Ich muß! ich muß!
9900Gönn’t mir den Flug!
Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.
Chor
Ikarus! Ikarus!
Jammer genug.
Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Todten eine bekannte Gestalt zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.
Helena und Faust
Der Freude folgt sogleich
Grimmige Pein.
Euphorions
Stimme aus der Tiefe
9905Laß mich im düstern Reich,9905–9906 Reich, | Mutter, ] 2 HReich | Mutter C.1 4  (II aa)
Mutter, mich nicht allein!
Pause
Chor
Trauergesang
Nicht allein! – wo du auch weilest,
Denn wir glauben dich zu kennen,
Ach! wenn du dem Tag enteilest
9910Wird kein Herz von dir sich trennen.
Wüßten wir doch kaum zu klagen,
Neidend singen wir dein Loos:
Dir in klar’ und trüben Tagen
Lied und Muth war schön und groß.
9915Ach! zum Erdenglück geboren,
Hoher Ahnen, großer Kraft,
Leider! früh dir selbst verloren,
Jugendblüthe weggerafft.
Scharfer Blick die Welt zu schauen,
9920Mitsinn jedem Herzensdrang,
Liebesgluth der besten Frauen
Und ein eigenster Gesang.
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei in’s willenlose Netz,
9925So entzweytest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Muth Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen,
9930Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? – Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
9935Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt;
Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.
Völlige Pause. Die Musik hört auf.
Helena
zu Faust
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
9940Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band,
Bejammernd beide, sage schmerzlich, Lebewohl.9942 sage bis Lebewohl. ] 2 III H.75bsag’ ich schmerzlich Lebewohl! C.1 4  (II aa)
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.
Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.
Phorkyas
zu Faust
9945Halte fest was dir von allem übrig blieb.
Das Kleid laß es nicht los. Da zupfen schon
Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
Die Göttin ist’s nicht mehr die du verlorst,
9950Doch göttlich ist’s. Bediene dich der hohen
Unschätzbar’n Gunst und hebe dich empor,
Es trägt dich über alles Gemeine rasch
Am Äther hin, so lange du dauern kannst.
Wir sehn uns wieder, weit gar weit von hier.
Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.
Phorkyas
nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde, tritt ins Proscenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht:
9955Noch immer glücklich aufgefunden!
Die Flamme freilich ist verschwunden
Doch ist mir um die Welt nicht leid.
Hier bleibt genug Poeten einzuweihen,
Zu stiften Gild- und Handwerksneid;
9960Und kann ich die Talente nicht verleihen,
Verborg’ ich wenigstens das Kleid.
Sie setzt sich im Proscenium an eine Säule nieder.
Panthalis
Nun eilig Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,9962 los, ] 2 Hlos. C.1 4los, C.2α 4 C.3 4  (II aa, IV b)
Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang;
So des Geklimpers viel verworrner Töne Rausch,
9965Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.
Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sey
Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.
Chor
9970Königinnen freilich überall sind sie gern;
Auch im Hades selbst stehen sie oben an,9971 selbst ] 2 III H.2:2 fehlt 2 III H.3a:2 2 H C.1 4  (II b)
Stolz zu ihres Gleichen gesellt,
Mit Persephonen innigst vertraut;
Aber wir im Hintergrunde
9975Tiefer Asphodelos-Wiesen,
Langgestreckten Pappeln,
Unfruchtbaren Weiden zugesellt,
Welchen Zeitvertreib haben wir?
Fledermaus gleich zu piepsen,
9980Geflüster, unerfreulich, gespenstig.
Panthalisvor 9981 Panthalis ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Chorführerin C.1 4  (IV b)
Wer keinen Namen sich erwarb, noch Edles will,
Gehört den Elementen an, so fahret hin!
Mit meiner Königin zu seyn verlangt mich heiß;
Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person.
ab
Alle
9985Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,
Zwar Personen nicht mehr,
Das fühlen, das wissen wir,
Aber zum Hades kehren wir nimmer.
Ewig lebendige Natur
9990Macht auf uns Geister,
Wir auf sie vollgültigen Anspruch.
Ein Theil des Chors
Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben,
Reizen tändlend, locken leise, wurzelauf des Lebens Quellen
Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüthen überschwenglich
9995Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.
Fällt die Frucht, sogleich versammeln, lebenslustig Volk und Heerden
Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend;
Und, wie vor den ersten Göttern, bückt sich alles um uns her.
Ein andrer Theil
Wir an dieser Felsenwände weithinleuchtend glattem Spiegel
10000Schmiegen wir, in sanftem Wallen uns bewegend, schmeichelnd an;10000 sanftem Wallen ] 2 III H.3a:2sanften Wellen 2 H C.1 4  (II b)
Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen, Röhrigflöten,10001 Vogelsängen ] 2 HVogelsingen C.1 4  (II aa)
Sey es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich bereit;
Säuselt’s, säuseln wir erwiedernd, donnert’s, rollen unsre Donner
In erschütterndem Verdoppeln, dreyfach, zehnfach hinten nach.
Ein dritter Theil
10005Schwestern! Wir bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;
Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge,
Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir, mäandrisch wallend,
Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.
Dort bezeichnen’s der Cypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,
10010Uferzug und Wellenspiegel, nach dem Äther steigende.
Ein vierter Theil
Wallt ihr andern wo’s beliebet, wir umzingeln wir umrauschen10011 umzingeln ] 2 H umzingeln, : umzingeln durch Rasur 2 H umzingeln, C.1 4  (II aa)
Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;
Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft des Winzers
Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.
10015Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden,
Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.
Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,
Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.
Was zu seiner Träumereyen halbem Rausch er je bedürfte,10019 bedürfte ] 2 III H.2:2bedurfte 2 III H.3a:2 2 H C.1 4  (II b)
10020Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,
Rechts und links der kühlen Grüfte ewige Zeiten aufbewahrt.
Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
Lüftend, feuchtend, wärmend, gluthend Beeren-Füllhorn aufgehäuft,
Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird’s lebendig,
10025Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.
Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräft’gem Tanz;
Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger Beeren
Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt sich’s widerlich zerquetscht.
10030Und nun gellt ins Ohr der Cymbeln mit der Becken Erzgetöne,10030 ins ] C.1 4in’s C.2α 4 C.3 4  (IV a)
Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;
Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,
Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus öhrig Thier.
Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,
10035Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das Ohr.
Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste,
Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte,
10038Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!
Der Vorhang fällt.
Phorkyas im Proscenium richtet sich riesenhaft auf, tritt aber von den Cothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles, um, in sofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu commentiren.
Vierter Act

Hochgebirg, starke zackige Felsen-Gipfel, eine Wolke zieht herbey, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab. Sie theilt sichvor 10039 starke ] 2 Hstarre konj Erich Schmidt  (III *)

Faust
tritt hervor
10039Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß,
10040Betret’ ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,
Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft
An klaren Tagen über Land und Meer geführt.
Sie löst sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab.
Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug,
10045Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.
Sie theilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
Doch will sich’s modeln. Ja! das Auge trügt mich nicht! –
Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,
Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,
10050Ich seh’s! Junonen ähnlich, Leda’n, Helenen,
Wie majestätisch lieblich mir’s im Auge schwankt.
Ach! schon verrückt sich’s! Formlos breit und aufgethürmt,
Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich
Und spiegelt blendend flüchtger Tage großen Sinn.
10055Doch mir umschwebt ein zarter lichter Nebelstreif
Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und schmeichelhaft.
Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf,
Fügt sich zusammen. – Täuscht mich ein entzückend Bild,
Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?
10060Des tiefsten Herzens frühste Schätze quollen auf,10060 quollen ] 2 IV H.1 2 Hquellen C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (I a*)
Aurorens Liebe, leichten Schwung bezeichnet’s mir,
Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick,
Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.
Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,
10065Löst sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin,
Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.
Ein Sieben-Meilenstiefel tappt auf ein Anderer folgt also bald Mephistopheles steigt ab Die Stiefel schreiten eilig weitervor 10067 also bald ] 2 IV H.3alsobald 2 IV H.2also bald (etwas undeutlich) 2 IV H.3alsbald 2 H  (II aa)
Mephistopheles
10067–10074 eingerückt 2 H  (I c)Das heiß ich endlich vorgeschritten!
Nun aber sag, was fällt dir ein?
Steigst ab in solcher Gräuel Mitten,
10070Im gräßlich gähnenden Gestein?
Ich kenn es wohl, doch nicht an dieser Stelle,
Denn eigentlich war das der Grund der Hölle.
Faust
Es fehlt dir nie an närrischen Legenden,
Fängst wieder an dergleichen auszuspenden.
Mephistopheles
ernsthaft
10075Als Gott der Herr – Ich weiß auch wohl warum –
Uns, aus der Luft, in tiefste Tiefen bannte,
Da, wo centralisch glühend, um und um,
Ein ewig Feuer flammend sich durchbrannte,
Wir fanden uns bey allzugroßer Hellung,
10080In sehr gedrängter unbequemer Stellung.
Die Teufel fingen sämmtlich an zu husten,
Von oben und von unten aus zu pusten;
Die Hölle schwoll von Schwefel-Stank und Säure,
Das gab ein Gas! es ging ins Ungeheure,10084 es ging ] 2 IV H.3Das ging 2 H  (II aa)
10085So daß gar bald der Länder flache Kruste,
So dick sie war, zerkrachend bersten mußte.
Nun haben wir’s an einem andern Zipfel,
Was ehmals Grund war ist nun Gipfel.
Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren
10090Das Unterste ins Oberste zu kehren.
Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft,
Ins Übermaß der Herrschaft freyer Luft.
Ein offenbar Geheimniß wohlverwahrt
Und wird nur spät den Völkern offenbart.
(Ephes. 6. 12)
Faust
10095Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm,
Ich frage nicht woher und nicht warum?
Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
Da hat sie rein den Erdball abgeründet.
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,
10100Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht;
Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
Da grünts und wächst’s, und um sich zu erfreuen
Bedarf sie nicht der tollen Strudeleyen.
Mephistopheles
10105Das sprecht ihr so! Das scheint euch sonnenklar.
Doch weiß es anders der zugegen war.
Ich war dabey, als noch da drunten, siedend,
Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug,
Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,
10110Gebirges-Trümmer in die Ferne schlug.
Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen;
Wer giebt Erklärung solcher Schleudermacht?
Der Philosoph er weiß es nicht zu fassen,
Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen,
10115Zu Schanden haben wir uns schon gedacht. –
Das treu-gemeine Volk allein begreift
Und läßt sich im Begriff nicht stören;
Ihm ist die Weisheit längst gereift:
Ein Wunder ist’s, der Satan kommt zu Ehren.
10120Mein Wandrer hinkt, an seiner Glaubenskrücke,
Zum Teufelsstein, zur Teufelsbrücke.
Faust
Es ist doch auch bemerkenswerth zu achten,
Zu sehn wie Teufel die Natur betrachten.
Mephistopheles
Was geht michs an! Natur sey wie sie sey!
10125’s ist Ehrenpunct! – der Teufel war dabey.
Wir sind die Leute Großes zu erreichen;
Tummult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen! –
Doch, daß ich endlich ganz verständlich spreche,
Gefiel dir nichts an unsrer Oberfläche?
10130Du übersahst, in ungemeßnen Weiten,
Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten;
(Matth. 4)
Doch, ungenügsam wie du bist,
Empfandest du wohl kein Gelüst?
Faust
Und doch! ein Großes zog mich an.
10135Errathe!
Mephistopheles
10135Das ist bald gethan.
Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus,
Im Kerne Bürger-Nahrungs-Graus,
Krummenge Gäßchen, spitze Giebeln,
Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln;
10140Fleischbänke wo die Schmeißen hausen
Die fetten Braten anzuschmaußen;
Da findest du zu jeder Zeit
Gewiß Gestank und Thätigkeit.
Dann weite Plätze, breite Straßen,
10145Vornehmen Schein sich anzumaßen;
Und endlich, wo kein Thor beschränkt,
Vorstädte gränzenlos verlängt.
Da freut ich mich an Rollekutschen,
Am lärmigen Hin- und Wiederrutschen,
10150Am ewigen Hin- und Wiederlaufen,10150 ewigen ] ewigen 2 IV H.2ewigen- 2 H  (I b)
Zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen.
Und, wenn ich führe, wenn ich ritte,
Erschien ich immer ihre Mitte
Von Hunderttausenden verehrt.
Faust
10155Das kann mich nicht zufrieden stellen!
Man freut sich daß das Volk sich mehrt,
Nach seiner Art behäglich nährt,
Sogar sich bildet sich belehrt,
Und man erzieht sich nur Rebellen.
Mephistopheles
10160Dann baut ich, grandios, mir selbst bewußt,
Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.
Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld
Zum Garten prächtig umbestellt.
Vor grünen Wänden Sammet-Matten,
10165Schnurwege, kunstgerechte Schatten,
Cascadensturz, durch Fels zu Fels gepaart,
Und Wasserstrahlen aller Art;
Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten,
Da zischt’s und pißts, in tausend Kleinigkeiten.
10170Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen,
Vertraut-bequeme Häuslein bauen;
Verbrächte da gränzenlose Zeit10172 da ] 2 H da : die (undeutlich) G 2 IV H.2   (II aa*)
In allerliebst-geselliger Einsamkeit.
Ich sage Fraun; denn, ein für allemal,
10175Denk ich die Schönen im Plural.
Faust
Schlecht und modern! Sardanapal!
Mephistopheles
Erräth man wohl wornach du strebtest?
Es war gewiß erhaben kühn.
Der du dem Mond um so viel näher schwebtest,
10180Dich zog wohl deine Sucht dahin?
Faust
Mit nichten! Dieser Erdenkreis
Gewährt noch Raum zu großen Thaten.
Erstaunenswürdiges soll gerathen,
Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.
Mephistopheles
10185Und also willst du Ruhm verdienen?
Man merkt’s du kommst von Heroinen.
Faust
Herrschaft gewinn ich, Eigenthum!
Die That ist alles, nichts der Ruhm.
Mephistopheles
Doch werden sich Poeten finden,
10190Der Nachwelt deinen Glanz zu künden,
Durch Thorheit Thorheit zu entzünden.
Faust
Von allem ist dir nichts gewährt.
Was weißt du was der Mensch begehrt?
Dein widrig Wesen, bitter, scharf,
10195Was weiß es was der Mensch bedarf.
Mephistopheles
Geschehe denn nach deinem Willen!
Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.
Faust
Mein Auge war aufs hohe Meer gezogen,
Es schwoll empor, sich in sich selbst zu thürmen.
10200Dann ließ es nach und schüttete die Wogen,
Des flachen Ufers Breite zu bestürmen.
Und das verdroß mich. Wie der Übermuth
Den freyen Geist, der alle Rechte schätzt,
Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut,
10205Ins Mißbehagen des Gefühls versetzt.
Ich hielt’s für Zufall, schärfte meinen Blick,
Die Woge stand und rollte dann zurück,
Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel;
Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.
Mephistopheles
ad Spectatores
10210Da ist für mich nichts Neues zu erfahren,
Das kenn ich schon seit hunderttausend Jahren.
Faust
leidenschaftlich fortfahrend
Sie schleicht heran, an aber tausend Enden
Unfruchtbar selbst Unfruchtbarkeit zu spenden,
Nun schwillt’s und wächst und rollt und überzieht
10215Der wüsten Strecke widerlich Gebiet.
Da herrschet Well auf Welle kraftbegeistet,
Zieht sich zurück und es ist nichts geleistet.
Was zur Verzweiflung mich beängstigen könnte,
Zwecklose Kraft, unbändiger Elemente!
10220Da wagt mein Geist sich selbst zu überfliegen,
Hier möcht’ ich kämpfen, dieß möcht ich besiegen.
Und es ist möglich, fluthend wie sie sey,
An jedem Hügel schmiegt sie sich vorbey;
Sie mag sich noch so übermüthig regen,
10225Geringe Höhe ragt ihr stolz entgegen,
Geringe Tiefe zieht sie mächtig an.
Da faßt ich schnell im Geiste Plan auf Plan:
Erlange dir das köstliche Genießen
Das herrische Meer vom Ufer auszuschliessen,
10230Der feuchten Breite Gränzen zu verengen
Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen.
Schon Schritt für Schritt wusst ich mirs zu erörtern;
Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern.
Trommeln und kriegerische Musick im Rücken der Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten Seite her
Mephistopheles
Wie leicht ist das! hörst du die Trommeln fern?
Faust
10235Schon wieder Krieg! der kluge hörts nicht gern.
Mephistopheles
Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen
Zu seinem Vortheil etwas auszuziehen.
Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu.
Gelegenheit ist da, nun, Fauste greife zu.
Faust
10240Mit solchem Räthselkram verschone mich!
Und kurz und gut, was solls? Erkläre dich.
Mephistopheles
Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen
Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen,
Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,
10245Ihm falschen Reichthum in die Hände spielten,
Da war die ganze Welt ihm feil.
Denn jung ward ihm der Thron zu Theil,
Und ihm beliebt’ es falsch zu schliessen:
Es könne wohl zusammengehn,
10250Und sey recht wünschenswerth und schön,
Regieren und zugleich genießen.
Faust
Ein großer Irrthum. Wer befehlen soll,
Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.
Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
10255Doch was er will, es darfs kein Mensch ergründen.
Was er den Treusten in das Ohr geraunt,
Es ist gethan und alle Welt erstaunt.
So wird er stets der Allerhöchste seyn,
Der Würdigste –, Genießen macht gemein.
Mephistopheles
10260So ist er nicht! Er selbst genoß und wie?
Indeß zerfiel das Reich in Anarchie,
Wo Groß und klein sich kreuz und queer befehdeten,
Und Brüder sich vertrieben, tödteten.
Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,
10265Zunft gegen Adel – Fehde hat,
Der Bischoff mit Capitel und Gemeinde;
Was sich nur ansah waren Feinde.
In Kirchen Mord und Todtschlag, vor den Thoren
Ist jeder Kauf- und Wandersmann verloren.
10270Und allen wuchs die Kühnheit nicht gering;
Denn leben hieß sich wehren – Nun das ging.
Faust
Es ging, es hinkte, fiel, stand wieder auf;
Dann überschlug sich’s, rollte plump zu Hauf.
Mephistopheles
Und solchen Zustand durfte niemand schelten,
10275Ein jeder konnte, jeder wollte gelten.
Der Kleinste selbst er galt für voll.
Doch war’s zuletzt den Besten allzutoll.
Die Tüchtigen sie standen auf mit Kraft
Und sagten: Herr ist der uns Ruhe schafft.
10280Der Kaiser kanns nicht, wills nicht – laßt uns wählen,
Den neuen Kaiser neu das Reich beseelen,
Indem er jeden sicher stellt,
In einer frisch geschaffnen Welt
Fried’ und Gerechtigkeit vermählen.
Faust
10285Das klingt sehr pfäffisch.
Mephistopheles
10285Pfaffen warens auch,
Sie sicherten den wohlgenährten Bauch.
Sie waren mehr als andere betheiligt.
Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt;
Und unser Kaiser, den wir froh gemacht,
10290Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.
Faust
Er jammert mich, er war so gut und offen.
Mephistopheles
Komm, sehn wir zu, der Lebende soll hoffen.
Befreyn wir ihn aus diesem engen Thale!
Einmal gerettet ist’s für tausendmale.
10295Wer weiß wie noch die Würfel fallen?
Und hat er Glück so hat er auch Vasallen.
sie steigen über das Mittelgebirg herüber und beschauen die Anordnung des Heeres im Thal. Trommeln und Kriegsmusick schallt von unten auf.
Mephistopheles
Die Stellung, seh ich, gut ist sie genommen,
Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.
Faust
Was kann da zu erwarten seyn?
10300Trug! Zauberblendwerk! Hohler Schein.
Mephistopheles
Kriegslist um Schlachten zu gewinnen!
Befestige dich bey großen Sinnen,
Indem du deinen Zweck bedenkst.
Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande,
10305So kniest du nieder und empfängst
Die Lehn von gränzenlosem Strande.
Faust
Schon manches hast du durchgemacht,
Nun, so gewinn’ auch eine Schlacht.
Mephistopheles
Nein, du gewinnst sie! dieses mal10309 dieses mal ] 2 IV H.8 diesmal : diesesmal Ec 2 H  (II aa, VI)
10310Bist du der Obergeneral.
Faust
Das wäre mir die rechte Höhe
Da zu befehlen wo ich nichts verstehe.
Mephistopheles
Laß du den Generalstab sorgen
Und der Feldmarschall ist geborgen.
10315Kriegsunrath hab ich längst verspürt,
Den Kriegsrath gleich voraus formirt,
Aus Urgebirgs Urmenschenkraft;
Wohl dem der sie zusammenrafft.
Faust
Was seh ich dort was Waffen trägt?
10320Hast du das Bergvolk aufgeregt?
Mephistopheles
Nein! aber, gleich Herrn Peter Squenz,
Vom ganzen Prass die Quintessenz.
Die drey Gewaltigen treten auf
Sam. II. 23. 8.
Mephistopheles
Da kommen meine Bursche ja!
Du siehst, von sehr verschiedenen Jahren,
10325Verschiednem Kleid und Rüstung sind sie da,
Du wirst nicht schlecht mit ihnen fahren.
Ad Spectatores
Es liebt sich jetzt ein jedes Kind
Den Harnisch und den Ritterkragen;
Und, allegorisch wie die Lumpe sind,
10330 Sie werden nur um desto mehr behagen.
Raufebold
jung, leicht bewaffnet, bunt gekleidet
Wenn einer mir ins Auge sieht
Werd ich ihm mit der Faust gleich in die Fresse fahren,
Und eine Memme wenn sie flieht
Faß ich bey ihren letzten Haaren.
Habebald
männlich, wohl bewaffnet, reich gekleidet
10335So leere Händel das sind Possen,
Damit verdirbt man seinen Tag;
Im Nehmen sey nur unverdrossen,
Nach allem andern frag hernach.
Haltefest
bejahrt, stark bewaffnet, ohne Gewand
Damit ist auch nicht viel gewonnen,
10340Bald ist ein großes Gut zerronnen,
Es rauscht im Lebensstrom hinab.
Zwar nehmen ist recht gut doch besser ists behalten;
Laß du den grauen Kerl nur walten
10344Und niemand nimmt dir etwas ab.
sie steigen alle zusammen tiefer.nach 10344 alle zusammen ] 2 IV H.8allzusammen 2 H  (II aa)

Auf dem Vorgebirg

Trommeln und kriegerische Musick von unten

Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen

Kaiser. Obergeneral. Trabanten
Obergeneral
10345Noch immer scheint der Vorsatz wohl erwogen
Daß wir, in dieß gelegene Thal,
Das ganze Heer gedrängt zurückgezogen,
Ich hoffe fest uns glückt die Wahl.
Kaiser
Wie es nun geht, es muß sich zeigen;
10350Doch mich verdrießt die halbe Flucht, das Weichen.
Obergeneral
Schau hier, mein Fürst, auf unsre rechte Flanke.
Solch ein Terrain wünscht sich der Kriegsgedanke;
Nicht steil die Hügel, doch nicht allzu gänglich,
Den Unsern vortheilhaft, dem Feind verfänglich.
10355Wir, halb versteckt, auf wellenförmigem Plan;
Die Reiterey sie wagt sich nicht heran.
Kaiser
Mir bleibt nichts übrig als zu loben;
Hier kann sich Arm und Brust erproben.
Obergeneral
Hier, auf der Mittelwiese flachen Räumlichkeiten,
10360Siehst du den Phalanx, wohlgemuth zu streiten.
Die Piken blinken flimmernd in der Luft,
Im Sonnenglanz, durch Morgennebelduft.
Wie dunkel wogt das mächtige Quadrat!
Zu Tausenden glühts hier auf große That.
10365Du kannst daran der Masse Kraft erkennen,
Ich trau ihr zu der Feinde Kraft zu trennen.
Kaiser
Den schönen Blick hab’ ich zum ersten Mal.
Ein solches Heer gilt für die Doppelzahl.
Obergeneral
Von unsrer Linken hab ich nichts zu melden,
10370Den starren Fels besetzen wackere Helden.
Das Steingeklipp, das jetzt von Waffen blitzt,
Den wichtigen Paß der engen Klause schützt.
Ich ahne schon hier scheitern Feindeskräfte
Unvorgesehn im blutigen Geschäfte.
Kaiser
10375Dort ziehn sie her die falschen Anverwandten,
Wie sie mich Oheim, Vetter, Bruder nannten,
Sich immer mehr und wieder mehr erlaubten,
Dem Scepter Kraft, dem Thron Verehrung raubten;
Dann, unter sich entzweyt, das Reich verheerten,
10380Und nun gesammt sich gegen mich empörten.
Die Menge schwankt im ungewissen Geist,
Dann strömt sie nach wohin der Strom sie reißt.
Obergeneral
Ein treuer Mann, auf Kundschaft ausgeschickt,
Kommt eilig Felsenab; seys ihm geglückt!
Erster Kundschafter
10385Glücklich ist sie uns gelungen,
Listig, muthig unsre Kunst,
Daß wir hin und her gedrungen;
Doch wir bringen wenig Gunst.
Viele schwören reine Huldigung
10390Dir, wie manche treue Schaar,
Doch Unthätigkeits-Entschuldigung:
Innere Gährung, Volksgefahr.
Kaiser
Sich selbst erhalten bleibt der Selbstsucht Lehre,
Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und Ehre.
10395Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll,
Daß Nachbars Hausbrand Euch verzehren soll.
Obergeneral
Der Zweyte kommt, nur langsam steigt er nieder,
Dem müden Manne zittern alle Glieder.
Zweyter Kundschafter
Erst gewahrten wir vergnüglich
10400Wilden Wesens irren Lauf;
Unerwartet, unverzüglich
Trat ein neuer Kaiser auf.
Und auf vorgeschriebenen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur;
10405Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle. – Schafsnatur!
Kaiser
Ein Gegenkaiser kommt mir zum Gewinn,
Nun fühl ich erst daß Ich der Kaiser bin.
Nur als Soldat legt ich den Harnisch an,
10410Zu höherem Zweck ist er nun umgethan.
Bey jedem Fest, wenns noch so glänzend war,
Nichts ward vermißt, mir fehlte die Gefahr.
Wie ihr auch seyd zum Ringspiel riethet ihr,
Mir schlug das Herz ich athmete Turnier.
10415Und hättet ihr mir nicht vom Kriegen abgerathen,10415 hättet ] hattet 2 H  (I a)
Jetzt glänzt’ ich schon in lichten Heldenthaten.
Selbstständig fühlt ich meine Brust besiegelt,
Als ich mich dort im Feuerreich bespiegelt,
Das Element drang gräßlich auf mich los,
10420Es war nur Schein, allein der Schein war groß.
Von Sieg und Ruhm hab ich verwirrt geträumt,
Ich bringe nach was frevelhaft versäumt.
die Herolde werden abgefertigt zu Herausforderung des Gegenkaisers.
Faust, geharnischt mit halbgeschloßnem Helme, die drey Gewaltigen, gerüstet und gekleidet wie oben
Faust
Wir treten auf, und hoffen ungescholten;
Auch ohne Noth hat Vorsicht wohl gegolten.
10425Du weist das Bergvolk denkt und simulirt,
Ist in Natur- und Felsenschrift studirt.
Die Geister, längst dem flachen Land entzogen,
Sind mehr als sonst dem Felsgebirg gewogen.
Sie wirken still durch labyrinthische Klüfte,
10430Im edlen Gas, metallisch reicher Düfte;
In stetem Sondern, Prüfen und Verbinden,
Ihr einziger Trieb ist Neues zu erfinden.
Mit leisem Finger geistiger Gewalten,
Erbauen sie durchsichtige Gestalten;
10435Dann im Krystall und seiner ewigen Schweigniß
Erblicken sie der Oberwelt Ereigniß.
Kaiser
Vernommen hab ich’s und ich glaube dir;
Doch, wackrer Mann, sag an: was soll das hier.
Faust
Der Negromant von Norcia, der Sabiner,10439 Negromant ] 2 HNekromant Ec 2 H  (VI)
10440Ist dein getreuer ehrenhafter Diener.
Welch gräulich Schicksal droht’ ihm ungeheuer,
Das Reißig prasselte, schon züngelte das Feuer;
Die trocknen Scheite, rings umher verschränkt,
Mit Pech und Schwefelruthen untermengt;
10445Nicht Mensch, noch Gott, noch Teufel konnte retten,
Die Majestät zersprengte glühende Ketten.
Dort war’s in Rom. Er bleibt dir hoch verpflichtet,
Auf deinen Gang in Sorge stets gerichtet.
Von jener Stund’ an ganz vergaß er sich,
10450Er fragt den Stern, die Tiefe nur für dich.
Er trug uns auf, als eiligstes Geschäfte,
Bey dir zu stehn. Groß sind des Berges Kräfte;10452 Kräfte ] Kräfte 2 IV H.13Krafte 2 H  (I a)
Da wirkt Natur so übermächtig frey,
Der Pfaffen Stumpfsinn schilt es Zauberey.
Kaiser
10455Am Freudentag wenn wir die Gäste grüssen,
Die heiter kommen heiter zu genießen,
Da freut uns jeder wie er schiebt und drängt,
Und, Mann für Mann, der Säle Raum verengt.
Doch höchst willkommen muß der Biedre seyn,
10460Tritt er als Beystand kräftig zu uns ein,
Zur Morgenstunde, die bedenklich waltet,
Weil über ihr des Schicksals Wage schaltet.
Doch lenket hier, im hohen Augenblick,
Die starke Hand vom willigen Schwerdt zurück
10465Ehrt den Moment, wo manche tausend schreiten,
Für oder wider mich, zu streiten.
Selbst ist der Mann! Wer Thron und Kron begehrt
Persönlich sey er solcher Ehren werth.
Sey das Gespenst, das gegen uns erstanden
10470Sich Kaiser nennt und Herr von unsern Landen,
Des Heeres Herzog, Lehnsherr unsrer Großen,
Mit eigner Faust in’s Todtenreich gestoßen.
Faust
Wie es auch sey das Große zu vollenden,
Du thust nicht wohl dein Haupt so zu verpfänden.
10475Ist nicht der Helm mit Kamm und Busch geschmückt,
Er schützt das Haupt das unsern Muth entzückt.
Was, ohne Haupt, was förderten die Glieder?
Denn schläfert jenes, alle sinken nieder;
Wird es verletzt, gleich alle sind verwundet,
10480Erstehen frisch, wenn jenes rasch gesundet.
Schnell weiß der Arm sein starkes Recht zu nützen,
Er hebt den Schild den Schädel zu beschützen,
Das Schwerdt gewahret seiner Pflicht sogleich,
Lenkt kräftig ab und wiederholt den Streich;
10485Der tüchtige Fuß nimmt Theil an ihrem Glücke,10485–10486 Glücke bis Genicke ] 2 IV H.13Glücke bis Genicke 2 IV H.18 Glück bis Genicke : Glücke, bis Genicke G 2 IV H.13 Glück bis Genick 2 H  (II aa)
Setzt dem Erschlagenen frisch sich ins Genicke.
Kaiser
Das ist mein Zorn, so möcht ich ihn behandeln,
Das stolze Haupt in Schemeltritt verwandeln.
Herolde
kommen zurück
Wenig Ehre wenig Geltung
10490Haben wir daselbst genossen,
Unsrer kräftig edlen Meldung
Lachten sie als schaaler Possen:
„Euer Kaiser ist verschollen,
Echo dort im engen Thal;
10495Wenn wir sein gedenken sollen,
Mährchen sagt: – Es war einmal.“
Faust
Dem Wunsch gemäß der Besten ists geschehn,
Die, fest und treu, an deiner Seite stehn.
Dort naht der Feind, die deinen harren brünstig,
10500Befiehl den Angriff, der Moment ist günstig.
Kaiser
Auf das Commando leist ich hier Verzicht.
zum Oberfeldherrn
In deinen Händen, Fürst, sey deine Pflicht.
Obergeneral
So trete denn der rechte Flügel an!
Des Feindes Linke, eben jetzt im Steigen,
10505Soll, eh sie noch den letzten Schritt gethan,
Der Jugendkraft geprüfter Treue weichen.
Faust
Erlaube denn daß dieser muntre Held
Sich ungesäumt in deine Reihen stellt,
Sich deinen Reihen innigst einverleibt,
10510Und, so gesellt, sein kräftig Wesen treibt.
er deutet zur Rechten.
Raufebold
tritt vor
Wer das Gesicht mir zeigt der kehrts nicht ab
Als mit zerschlagnen Unter- und Oberbacken,
Wer mir den Rücken kehrt, gleich liegt ihm schlapp
Hals, Kopf und Schopf hinschlotternd graß im Nacken.
10515Und schlagen deine Männer dann
Mit Schwerd und Kolben wie ich wüthe,
So stürzt der Feind, Mann über Mann,
Ersäuft im eigenen Geblüte.
ab
Oberfeldherr
Der Phalanx unsrer Mitte folge sacht,
10520Dem Feind begegn’ er, klug mit aller Macht,
Ein wenig rechts, dort hat bereits, erbittert,
Der unseren Streitkraft ihren Plan erschüttert.
Faust
auf den Mittelsten deutend
So folge denn auch dieser deinem Wort.
10524Er bis fort. erg G 2 IV H.18 fehlt 2 IV H.13 2 H  (II b)Er ist behend, reist alles mit sich fort.
Habebald
tritt hervorvor 10525 tritt ] 2 IV H.13Tritt 2 H  (II aa)
10525Dem Heldenmuth der Kaiserschaaren
Soll sich der Durst nach Beute paaren;
Und allen sey das Ziel gestellt:
Des Gegenkaisers reiches Zelt.
Er prahlt nicht lang auf seinem Sitze,
10530Ich ordne mich dem Phalanx an die Spitze.
Eilebeute
Markedenterin, sich an ihn anschmiegend
Bin ich ihm auch nicht angeweibt,10531 ihm auch ] 2 IV H.13ihm auch G 2 IV H.18 2 IV H.13auch ihm 2 H  (II aa)
Er mir der liebste Buhle bleibt.
Für uns ist solch ein Herbst gereift!
Die Frau ist grimmig wenn sie greift,
10535Ist ohne Schonung wenn sie raubt;
Im Sieg voran! und alles ist erlaubt.
beyde ab
Oberfeldherr
Auf unsre Linke, wie vorauszusehn,
Stürzt ihre Rechte, kräftig. Widerstehn
Wird, Mann für Mann, dem wüthenden Beginnen
10540Den engen Paß des Felswegs zu gewinnen.
Faust
winkt nach der Linken
So bitte Herr auch diesen zu bemerken,
Es schadet nichts wenn Starke sich verstärken.
Haltefest
tritt vor
Dem linken Flügel keine Sorgen!
Da wo ich bin ist der Besitz geborgen,
10545In ihm bewähret sich der Alte,
Kein Strahlblitz spaltet was ich halte.
ab
Mephistopheles
von oben herunterkommend
Nun schauet wie im Hintergrunde,
Aus jedem zackigen Felsenschlunde,
Bewaffnete hervor sich drängen,
10550Die schmalen Pfade zu verengen.
Mit Helm und Harnisch, Schwerdtern, Schilden,
In unserm Rücken eine Mauer bilden,
Den Wink erwartend zuzuschlagen.
leise zu den Wissenden
Woher das kommt müsst ihr nicht fragen.
10555Ich habe freylich nicht gesäumt
Die Waffensäle ringsum ausgeräumt;10556 ausgeräumt ] 2 IV H.20aufgeräumt 2 IV H.13 2 H  (II b)
Da standen sie zu Fuß zu Pferde,
Als wären sie noch Herrn der Erde,
Sonst waren’s Ritter, König, Kaiser,
10560Jetzt sind es nichts als leere Schneckenhäuser.
Gar manch Gespenst hat sich darein geputzt,
Das Mittelalter lebhaft aufgestutzt.
Welch Teufelchen auch drinne steckt,
Für diesmal macht es doch Effect.
laut
10565Hört wie sie sich voraus erbosen,
Blechklappernd aneinander stoßen!
Auch flattern Fahnenfetzen bey Standarten,
Die frischer Lüftchen ungeduldig harrten.
Bedenkt, hier ist ein altes Volk bereit
10570Und mischte gern sich auch zum neuen Streit.
furchtbarer Posaunenschall von oben, im feindlichen Heere merkliche Schwankungnach 10570 Posaunenschall ] Posaunenschall 2 IV H.21aPosauenschall 2 H  (I a)
Faust
Der Horizont hat sich verdunkelt,
Nur hie und da bedeutend funkelt
Ein rother ahnungsvoller Schein;
Schon blutig blinken die Gewehre,
10575Der Fels, der Wald, die Atmosphäre,
Der ganze Himmel mischt sich ein.
Mephistopheles
Die rechte Flanke hält sich kräftig;
Doch seh ich, ragend unter diesen,
Hans Raufbold, den behenden Riesen,
10580Auf seine Weise rasch beschäftigt.
Kaiser
Erst sah ich Einen Arm erhoben,
Jetzt seh ich schon ein Dutzend toben,
Naturgemäß geschieht es nicht.
Faust
Vernahmst du nichts von Nebelstreifen
10585Die auf Siciliens Küsten schweifen?
Dort, schwankend klar, im Tageslicht,
Erhoben zu den Mittellüften,
Gespiegelt in besondern Düften,
Erscheint ein seltsames Gesicht.
10590Da schwanken Städte hin und wieder,
Da steigen Gärten auf und nieder,
Wie Bild um Bild den Äther bricht.
Kaiser
Doch wie bedenklich! Alle Spitzen
Der hohen Speere seh ich blitzen;
10595Auf unsrer Phalanx blanken Lanzen
Seh ich behende Flämmchen tanzen.
Das scheint mir gar zu geisterhaft.
Faust
Verzeih, o Herr, das sind die Spuren
Verschollner geistiger Naturen,
10600Ein Widerschein der Dioskuren,
Bey denen alle Schiffer schwuren,
Sie sammeln hier die letzte Kraft.
Kaiser
Doch sage wem sind wir verpflichtet
Daß die Natur, auf uns gerichtet,
10605Das Seltenste zusammenrafft?
Mephistopheles
Wem als dem Meister, jenem hohen,
Der dein Geschick im Busen trägt?
Durch deiner Feinde starkes drohen
Ist er im Tiefsten aufgeregt.
10610Sein Dank will dich gerettet sehen,
Und sollt er selbst daran vergehen.
Kaiser
Sie jubelten mich pomphaft umzuführen,
Ich war nun was, das wollt ich auch probiren,
Und fands gelegen, ohne viel zu denken,
10615Dem weißen Barte kühle Luft zu schenken.
Dem Klerus hab ich eine Lust verdorben,
Und ihre Gunst mir freylich nicht erworben.
Nun sollt ich seit so manchen Jahren
Die Wirkung frohen Thuns erfahren?10619 erfahren? ] 2 Herfahren auf eingeklebtem Zettel 2 H  (VII)
Faust
10620Freyherzige Wohlthat wuchert reich;
Laß deinen Blick sich aufwärts wenden!
Mich däucht Er will ein Zeichen senden,
Gieb acht, es deutet sich sogleich.
Kaiser
Ein Adler schwebt im Himmelhohen,
10625Ein Greif ihm nach mit wildem drohen.
Faust
Gieb acht: gar günstig scheint es mir.
Greif ist ein fabelhaftes Thier;
Wie kann er sich so weit vergessen,
Mit ächtem Adler sich zu messen?
Kaiser
10630Nunmehr, in weitgedehnten Kreisen;
Umziehn sie sich; – in gleichem Nu,
Sie fahren aufeinander zu
Sich Brust und Hälse zu zerreißen.
Faust
Nun mercke wie der leidige Greif,
10635Zerzerrt, zerzaust nur Schaden findet,10635 Zerzerrt ] Zerrzerrt 2 H  (I a)
Und, mit gesencktem Löwenschweif,10636 gesencktem ] gesenckten 2 H  (II a)
Zum Gipfelwald gestürzt, verschwindet.
Kaiser
Seys, wie gedeutet, so gethan!
Ich nehm es mit Verwundrung an.
Mephistopheles
gegen die Rechte
10640Dringend wiederholten Streichen
Müssen unsre Feinde weichen,
Und, mit ungewissem Fechten,
Drängen sie nach ihrer Rechten
Und verwirren so im Streite
10645Ihrer Hauptmacht linke Seite.
Unsers Phalanx feste Spitze
Zieht sich rechts, und gleich dem Blitze
Fährt sie in die schwache Stelle. –
Nun, wie sturmerregte Welle,10649 sturmerregte ] 2 IV H.8sturmbewegte 2 H C1 41 C3 41 Qsturmerregte Ec 2 H  (II aa, VI)
10650Sprühend, wüthen gleiche Mächte,
Wild in doppeltem Gefechte,
Herrlichers ist nichts ersonnen
Uns ist diese Schlacht gewonnen.
Kaiservor 10654 Kaiser ] Kaiser: 2 H  (VIII)
an der linken Seite zu Faust
Schau! Mir scheint es dort bedenklich,
10655Unser Posten steht verfänglich.
Keine Steine seh ich fliegen,
Niedre Felsen sind erstiegen,
Obre stehen schon verlassen.
Jetzt! – Der Feind, zu ganzen Massen
10660Immer näher angedrungen,
Hat vielleicht den Paß errungen.
Schlußerfolg unheiligen Strebens!
Eure Künste sind vergebens.
Pause
Mephistopheles
Da kommen meine beiden Raben,
10665Was mögen die für Botschaft haben?
Ich fürchte gar es geht uns schlecht.
Kaiser
Was sollen diese leidigen Vögel?
Sie richten ihre schwarzen Segel
Hierher vom heißen Felsgefecht.
Mephistopheles
zu den Raben
10670Setzt euch ganz nah zu meinen Ohren.
Wen ihr beschützt ist nicht verloren,
Denn euer Rath ist folgerecht.
Faust
zum Kaiser
Von Tauben hast du ja vernommen,
Die aus den fernsten Landen kommen,
10675Zu ihres Nestes Brut und Kost.
Hier ist’s, mit wichtigen Unterschieden;
Die Taubenpost bedient den Frieden,
Der Krieg befiehlt die Rabenpost.
Mephistopheles
Es meldet sich ein schwer Verhängniß,
10680Seht hin! gewahret die Bedrängniß
Um unsrer Helden Felsenrand.
Die nächsten Höhen sind erstiegen,
Und würden sie den Paß besiegen,
Wir hätten einen schweren Stand.
Kaiser
10685So bin ich endlich doch betrogen!
Ihr habt mich in das Netz gezogen,
Mir graut seitdem es mich umstrickt.
Mephistopheles
Nur Muth! Noch ist es nicht mißglückt.
Geduld und Pfiff zum letzten Knoten;
10690Gewöhnlich gehts am Ende scharf.
Ich habe meine sichern Boten,
Befehlt daß ich befehlen darf.
Obergeneral
der indeßen herangekommen
Mit diesen hast du dich vereinigt,
Mich hat’s die ganze Zeit gepeinigt,
10695Das Gaukeln schafft kein festes Glück.
Ich weiß nichts an der Schlacht zu wenden,
Begannen sie’s, sie mögen’s enden,
Ich gebe meinen Stab zurück.
Kaiser
Behalt ihn bis zu bessern Stunden,
10700Die uns vielleicht das Glück verleiht.
Mir schaudert vor dem garstigen Kunden,
Und seiner Rabentraulichkeit.
zu Mephistopheles
Den Stab kann ich dir nicht verleihen,
Du scheinst mir nicht der rechte Mann,
10705Befiehl, und such uns zu befreyen;
Geschehe, was geschehen kann.
ab ins Zelt mit dem Obergeneral
Mephistopheles
Mag ihn der stumpfe Stab beschützen!
Uns andern könnt er wenig nützen,
Es war so was vom Kreuz daran.
Faust
10710Was ist zu thun.
Mephistopheles
10710Es ist gethan! –
Nun schwarze Vettern, rasch im Dienen,
Zum großen Bergsee! grüßt mir die Undinen,
Und bittet sie um ihrer Fluthen Schein.
Durch Weiberkünste, schwer zu kennen,
10715Verstehen sie vom Seyn den Schein zu trennen,
Und jeder schwört das sey das Seyn.
Pause
Faust
Den Wasserfräulein müssen unsre Raben
Recht aus dem Grund geschmeichelt haben,
Dort fängt es schon zu rieseln an.
10720An mancher trocknen, kahlen Felsenstelle
Entwickelt sich die volle rasche Quelle,
Um jener Sieg ist es gethan.
Mephistopheles
Das ist ein wunderbarer Gruß,
Die kühnsten Kletterer sind confuß.
Faust
10725Schon rauscht Ein Bach zu Bächen mächtig nieder,
Aus Schluchten kehren sie gedoppelt wieder,
Ein Strom nun wirft den Bogenstrahl,
Auf einmal legt er sich in flache Felsenbreite
Und rauscht und schäumt, nach der und jener Seite,
10730Und stufenweise wirft er sich ins Thal.
Was hilft ein tapfres heldenmäßiges Stemmen?
Die mächtige Woge strömt sie wegzuschwemmen.
Mir schaudert selbst vor solchem wilden Schwall.
Mephistopheles
Ich sehe nichts von diesen Wasserlügen,
10735Nur Menschen Augen lassen sich betrügen
Und mich ergötzt der wunderliche Fall.
Sie stürzen fort zu ganzen hellen Haufen,
Die Narren wähnen zu ersaufen,
Indem sie frey auf festem Lande schnaufen,
10740Und lächerlich mit Schwimmgebärden laufen.
Nun ist Verwirrung überall.
die Raben sind wieder gekommen.
Ich werd euch bey dem hohen Meister loben;
Wollt ihr euch nun als Meister selbst erproben,
So eilet zu der glühenden Schmiede,
10745Wo das Gezwerg-Volk, nimmer müde,
Metall und Stein zu Funken schlägt.
Verlangt, weitläufig sie beschwatzend,
Ein Feuer, leuchtend, blinkend, platzend,
Wie man’s im hohen Sinne hegt.
10750Zwar Wetterleuchten in der weiten Ferne,
Blickschnelles Fallen allerhöchster Sterne,
Mag jede Sommernacht geschehn;
Doch Wetterleuchten in verworrnen Büschen,
Und Sterne die am feuchten Boden zischen,
10755Das hat man nicht so leicht gesehn.
So müßt ihr, ohn’ Euch viel zu quälen,
Zuvörderst bitten, dann befehlen.
Raben ab. Es geschieht wie vorgeschrieben.
Mephistopheles
Den Feinden dichte Finsternisse!
Und Tritt und Schritt in’s Ungewisse!
10760Irrfunken-Blick an allen Enden,
Ein Leuchten plötzlich zu verblenden.
Das alles wäre wunderschön,
Nun aber brauchts noch Schreckgetön.
Faust
Die hohlen Waffen aus der Säle Grüften,
10765Empfinden sich erstarkt in freyen Lüften;
Da droben klapperts, rasselts lange schon,
Ein wunderbarer falscher Ton.
Mephistopheles
Ganz recht! sie sind nicht mehr zu zügeln,
Schon schallts von ritterlichen Prügeln,
10770Wie in der holden alten Zeit.
Armschienen, wie der Beine Schienen,10771 Schienen ] 2 IV H.8 Schienen : schienen G 2 H   (II aa)
Als Guelfen und als Ghibellinen,
Erneuen rasch den ewigen Streit.
Fest, im ererbten Sinne wöhnlich,
10775Erweisen sie sich unversöhnlich,
Schon klingt das Tosen weit und breit.
Zuletzt, bey allen Teufelsfesten,
Wirkt der Partheyhaß doch zum Besten,
Bis in den allerletzten Grauß.
10780Schallt wider-widerwärtig panisch,
Mitunter grell und scharf-satanisch,
10782Erschreckend in das Thal hinaus.
Kriegstummult im Orchester, zuletzt übergehend in militairisch heitre Weisen

Des Gegenkaisers Zelt, Thron, reiche Umgebung

Habebald, Eilebeute
Eilebeute
10783So sind wir doch die ersten hier!
Habebald
Kein Rabe fliegt so schnell als wir.
Eilebeute
10785O! welch ein Schatz liegt hier zu Hauf!
Wo fang ich an! Wo hör’ ich auf?
Habebald
Steht doch der ganze Raum so voll!
Weiß nicht wozu ich greifen soll.
Eilebeute
Der Teppich wär mir eben recht,
10790Mein Lager ist oft gar zu schlecht.10790 schlecht. ] 2 IV H.8schlecht 2 H  (II aa)
Habebald
Hier, hängt von Stahl ein Morgenstern,
Dergleichen hätt’ ich lange gern.
Eilebeute
Den rothen Mantel goldgesäumt,
So etwas hatt’ ich mir geträumt.
Habebald
die Waffe nehmend
10795Damit ist es gar bald gethan,
Man schlägt ihn todt und geht voran.
Du hast soviel schon aufgepackt,
Und doch nichts rechtes eingesackt.
Den Plunder laß an seinem Ort,
10800Nehm’ eines dieser Kistchen fort!
Dies ist des Heers beschiedner Sold,
In seinem Bauche lauter Gold.
Eilebeute
Das hat ein mörderisch Gewicht,
Ich heb es nicht, ich trag es nicht.
Habebald
10805Geschwinde duck dich! Mußt dich bücken!
Ich hucke dir’s auf den starken Rücken.
Eilebeute
O Weh! O Weh nun ists vorbey!
Die Last bricht mir das Kreuz entzwey.
das Kistchen stürzt und springt auf.
Habebald
Da liegt das rothe Gold zu Hauf,
10810Geschwinde zu und raff es auf.
Eilebeute
vor 10811 kauert nieder ] 2 IV H.8 fehlt, erg Ec 2 H  (II aa, VI)kauert nieder
Geschwinde nur zum Schooß hinein!
Noch immer wirds zur Gnüge seyn.
Habebald
Und so genug! und eile doch!
sie steht auf.
O weh die Schürze hat ein Loch!
10815Wohin du gehst und wo du stehst
Verschwenderisch die Schätze säst.
Trabanten
unsres Kaisers
Was schafft ihr hier am heiligen Platz?
Was kramt ihr in dem Kaiserschatz.10818 dem ] 2 IV H.8den 2 H  (II aa)
Habebald
Wir trugen unsre Glieder feil,
10820Und holen unser Beutetheil. –
In Feindes-Zelten ists der Brauch
Und wir, Soldaten sind wir auch.
Trabanten
Das passet nicht in unsern Kreis
Zugleich Soldat und Diebsgeschmeiß,
10825Und wer sich unserm Kaiser naht,
Der sey ein redlicher Soldat.
Habebald
Die Redlichkeit die kennt man schon.
Sie heißet: Contribution.
Ihr alle seyd auf gleichem Fuß:
10830Gieb her! das ist der Handwerksgruß.
zu Eilebeute
Mach fort und schleppe was du hast,
Hier sind wir nicht willkommner Gast.10832 willkommner ] 2 IV H.8willkommne 2 H  (II aa)
ab
Erster Trabant
Sag warum gabst du nicht sogleich
Dem frechen Kerl einen Backenstreich?
Zweyter
10835Ich weiß nicht, mir verging die Kraft,
Sie waren so gespensterhaft.
Dritter
Mir ward es vor den Augen schlecht,
Da flimmert es, ich sah nicht recht.
Vierter
Wie ich es nicht zu sagen weiß:
10840Es war den ganzen Tag so heiß,
So bänglich, so beklommen schwül,
Der eine stand der andere fiel,
Man tappte hin und schlug zugleich,
Der Gegner fiel vor jedem Streich,
10845Vor Augen schwebt es wie ein Flor,
Dann summts und saußts und zischt im Ohr.
Das ging so fort, nun sind wir da
Und wissen selbst nicht wie’s geschah.
Kaiser, mit Vier Fürsten treten auf Die Trabanten entfernen sich.
Kaiser
Es sey nun wie ihm sey! uns ist die Schlacht gewonnen,
10850Des Feinds zerstreute Flucht im flachen Feld zerronnen.
Hier steht der leere Thron, verrätherischer Schatz,
Von Teppichen umhüllt, verengt umher den Platz.
Wir, ehrenvoll, geschützt von eigenen Trabanten,
Erwarten Kayserlich der Völker Abgesandten;
10855Von allen Seiten her kommt frohe Botschaft an:
Beruhigt sey das Reich, uns freudig zugethan.
Hat sich in unsern Kampf auch Gaukeley geflochten,
Am Ende haben wir uns nur allein gefochten.
Zufälle kommen ja dem Streitenden zu gut,
10860Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde regnets Blut,
Aus Felsenhöhlen tönt’s von mächtigen Wunderklängen,
Die unsre Brust erhöhn, des Feindes Brust verengen.
Der Überwundne fiel, zu stets erneutem Spott,
Der Sieger, wie er prangt, preist den gewognen Gott.
10865Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu befehlen,
Herr Gott dich loben wir! aus Millionen Kehlen.
Jedoch zum höchsten Preis wend’ ich den frommen Blick,
Das selten sonst geschah, zur eignen Brust zurück.
Ein junger muntrer Fürst mag seinen Tag vergeuden,
10870Die Jahre lehren ihn des Augenblicks Bedeuten.
Deshalb denn ungesäumt, verbind’ ich mich sogleich
Mit euch Vier Würdigen, für Haus und Hof und Reich.
zum ersten
Dein war o Fürst! des Heers geordnet kluge Schichtung,
Sodann, im Hauptmoment, heroisch kühne Richtung;
10875Im Frieden wircke nun wie es die Zeit begehrt,
Erzmarschall nenn ich dich, verleihe dir das Schwerdt.10876 Erzmarschall ] 2 IV H.21aErbmarschall 2 H  (II aa)
Erzmarschallvor 10877 Erzmarschall ] 2 IV H.21aErbmarschall 2 H  (II aa)
Dein treues Heer, bis jetzt im Inneren beschäftigt,
Wenns an der Gränze dich und deinen Thron bekräftigt,
Dann sey es uns vergönnt, bey Festesdrang im Saal,
10880Geräumiger Väterburg, zu rüsten dir das Maal.10880 Väterburg ] 2 IV H.21aVaterburg 2 H  (II aa)
Blank trag ichs dir dann vor, blank halt ich dirs zur Seite,
Der höchsten Majestät zu ewigem Geleite.
Der Kaiser
zum Zweyten
Der sich, als tapfrer Mann, auch zart gefällig zeigt,
Du! Sey Erzkämmerer, der Auftrag ist nicht leicht.
10885Du bist der Oberste von allem Hausgesinde,10885 allem ] 2 IV H.21aallen 2 H  (II aa)
Bey deren innerm Streit ich schlechte Diener finde;
Dein Beyspiel sey fortan in Ehren aufgestellt,
Wie Man dem Herrn, dem Hof und Allen wohlgefällt.
Erzkämmerer
Des Herren großen Sinn zu fördern bringt zu Gnaden,
10890Den besten hülfreich seyn, den Schlechten selbst nicht schaden,
Dann klar seyn ohne List, und ruhig ohne Trug!
Wenn du mich, Herr, durchschaust, geschieht mir schon genug.
Darf sich die Phantasie auf jenes Fest erstrecken?
Wenn du zur Tafel gehst reich ich das goldne Becken,
10895Die Ringe halt ich dir, damit zur Wonnezeit
Sich deine Hand erfrischt, wie mich dein Blick erfreut.
Kaiser
Zwar fühl ich mich zu ernst, auf Festlichkeit zu sinnen,
Doch seys! Es fördert auch frohmüthiges Beginnen.
zum Dritten
Dich wähl’ ich zum Erztruchseß! Also sey fortan
10900Dir Jagd, Geflügel-Hof und Vorwerk unterthan;
Der Lieblingsspeisen Wahl laß mir zu allen Zeiten10901 Lieblingsspeisen Wahl ] 2 IV H.20Lieblingsspeise wahl 2 H  (II aa)
Wie sie der Monat bringt und sorgsam zubereiten.
Erztruchseß
Streng Fasten sey für mich die angenehmste Pflicht,
Bis, vor dich hingestellt, dich freut ein Wohlgericht.
10905Der Küche Dienerschaft soll sich mit mir vereinigen,
Das Ferne beyzuziehn, die Jahrszeit zu beschleunigen.
Dich reizt nicht fern und früh womit die Tafel prangt,
Einfach und kräftig ist’s wornach dein Sinn verlangt.
Kaiser
zum Vierten
Weil unausweichlich hier sich nur von Festen handelt,10909 von Festen ] 2 Hvon Fasten : vom Fasten G 2 IV H.20von Festen (mglw G aus von Fasten) 2 H  (II d*)
10910So sey mir, junger Held, zum Schenken umgewandelt.
Erzschenke sorge nun daß unsre Kellerey
Aufs reichlichste versorgt mit guten Weinen sey.10912 guten Weinen ] 2 IV H.20gutem Weine 2 H  (II aa)
Du selbst sey mäßig, laß nicht über Heiterkeiten,
Durch der Gelegenheit Verlocken, dich verleiten.
Erz Schenk
10915Mein Fürst, die Jugend selbst, wenn man ihr nur vertraut,
Steht, eh man sichs versieht, zu Männern auferbaut.
Auch ich versetze mich zu jenem großen Feste;10917 großen ] 2 IV H.1großem 2 H  (II aa)
Ein Kaiserlich Büffet schmück ich aufs allerbeste
Mit Prachtgefäßen, gülden, silbern allzumal,
10920Doch wähl’ ich dir voraus den lieblichsten Pokal:
Ein blank venedisch Glas, worin Behagen lauschet,
Des Weins Geschmack sich stärkt und nimmermehr berauschet.
Auf solchen Wunderschutz vertraut man oft zu sehr,10923 Wunderschutz ] 2 IV H.1Wunderschatz 2 H  (II aa)
Doch deine Mäßigkeit, du Höchster, schützt noch mehr.
Kaiser
10925Was ich euch zugedacht in dieser ernsten Stunde,
Vernahmt ihr mit Vertraun aus zuverlässigem Munde.
Des Kaisers Wort ist groß und sichert jede Gift,
Doch zur Bekräftigung bedarfs der edlen Schrift,
Bedarfs der Signatur. Die förmlich zu bereiten,
10930Seh ich den rechten Mann zu rechter Stunde schreiten.
Der Erzbischoff tritt auf
Kaiser
Wenn ein Gewölbe sich dem Schlußstein anvertraut,
Dann ist’s mit Sicherheit für ewige Zeit erbaut.
Du siehst vier Fürsten da! Wir haben erst erörtert,
Was den Bestand zunächst von Haus und Hof befördert.
10935Nun aber, was das Reich in seinem Ganzen hegt,
Sey, mit Gewicht und Kraft, der Fünfzahl auferlegt.
An Ländern sollen sie vor allen andern glänzen,
Deshalb erweitr’ ich gleich jetzt des Besitzthums Gränzen,
Vom Erbtheil jener die sich von uns abgewandt.
10940Euch Treuen sprech ich zu so manches schöne Land,
Zugleich das hohe Recht euch, nach Gelegenheiten,
Durch Anfall, Kauf und Tausch ins weitere zu verbreiten,
Dann sey bestimmt vergönnt zu üben ungestört
Was von Gerechtsamen Euch Landesherrn gehört.
10945Als Richter werdet ihr die Endurtheile fällen,
Berufung gelte nicht von Euern höchsten Stellen.
Dann Steuer, Zinns und Beet, Lehn und Geleit und Zoll,
Berg- Salz- und Münzregal Euch angehören soll.
Denn meine Dankbarkeit vollgültig zu erproben,
10950Hab ich Euch ganz zunächst der Majestät erhoben.
Erzbischoff
Im Namen aller sey dir tiefster Dank gebracht,
Du machst uns stark und fest und stärkest deine Macht.
Kaiser
Euch fünfen will ich noch erhöhtere Würde geben.
Noch leb’ ich meinem Reich und habe Lust zu leben;
10955Doch hoher Ahnen Kette zieht bedächtigen Blick
Aus rascher Strebsamkeit ins drohende zurück.
Auch werd ich, seiner Zeit, mich von den Theuren trennen,
Dann sey es Eure Pflicht den Folger zu ernennen.
Gekrönt erhebt ihn hoch auf heiligem Altar,10959 heiligem ] 2 IV H.22eheiligen 2 H  (II a)
10960Und friedlich ende dann was jetzt so stürmisch war.
Erzkanzler
Mit Stolz in tiefster Brust, mit Demuth an Gebärde,
Stehn Fürsten dir gebeugt, die ersten auf der Erde.
So lang das treue Blut die vollen Adern regt,
Sind wir der Körper den dein Wille leicht bewegt.
Kaiser
10965Und also sey, zum Schluß, was wir bisher bethätigt,
Für alle Folgezeit durch Schrift und Zug bestätigt.
Zwar habt ihr den Besitz als Herren völlig frey,
Mit dem Beding jedoch daß er untheilbar sey.
Und wie ihr auch vermehrt was ihr von uns empfangen,
10970Es soll’s der ältste Sohn in gleichem Maas erlangen.
Erzkanzler
Dem Pergament alsbald vertrau ich wohlgemuth,
Zum Glück dem Reich und uns, das wichtigste Statut;
Reinschrift und Sieglung soll die Canzeley beschäftigen,
Mit heiliger Signatur wirst dus, der Herr, bekräftigen.
Kaiser
10975Und so entlaß ich euch, damit den großen Tag,
Gesammelt, jedermann sich überlegen mag.
Die weltlichen Fürsten entfernen sich
Der Geistliche
bleibt und spricht pathetisch
Der Canzler ging hinweg der Bischoff ist geblieben,
Vom ernsten Warnegeist zu deinem Ohr getrieben!
Sein väterliches Herz von Sorge bangt um dich.10979 bangt ] 2 Hbangs G 2 IV H.22e  (II a*)
Kaiser
10980Was hast du Bängliches zur frohen Stunde? sprich!
Erzbischoff
Mit welchem bittern Schmerz find ich, in dieser Stunde,
Dein hochgeheiligt Haupt mit Satanas im Bunde.
Zwar, wie es scheinen will, gesichert auf dem Thron,
Doch leider! Gott dem Herrn, dem Vater Pabst zum Hohn.
10985Wenn dieser es erfährt schnell wird er sträflich richten,
Mit heiligem Strahl dein Reich das sündige zu vernichten.
Denn noch vergaß er nicht wie du, zur höchsten Zeit,
An deinem Krönungstag den Zauberer befreyt.
Von deinem Diadem, der Christenheit zum Schaden,
10990Traf das verfluchte Haupt der erste Strahl der Gnaden.
Doch schlag an deine Brust und gieb, vom frevlen Glück,
Ein mäßig Schärflein, gleich dem Heiligthum zurück.
Den breiten Hügelraum, da wo dein Zelt gestanden,
Wo böse Geister sich zu deinem Schutz verbanden,
10995Dem Lügenfürsten du ein horchsam Ohr geliehn,
Den stifte, fromm belehrt, zu heiligem Bemühn;
Mit Berg und dichtem Wald, so weit sie sich erstrecken,
Mit Höhen die sich grün zu fetter Weide decken,10998 fetter ] 2 IV H.22fsteter 2 H  (II aa)
Fischreichen klaren Seen, dann Bächlein ohne Zahl,
11000Wie sie sich, eilig schlängelnd, stürzen ab zu Thal;
Das breite Thal dann selbst, mit Wiesen, Gauen, Gründen.
Die Reue spricht sich aus, und du wirst Gnade finden.
Kaiser
Durch meinen schweren Fehl bin ich so tief erschreckt,
Die Gränze sey von dir nach eignem Maas gesteckt.
Erzbischoff
11005Erst! der entweihte Raum wo man sich so versündigt,
Sey alsobald zum Dienst des Höchsten angekündigt.
Behende steigt im Geist Gemäuer stark empor,
Der Morgensonne Blick erleuchtet schon das Chor,
Zum Kreuz erweitert sich das wachsende Gebäude,
11010Das Schiff erlängt, erhöht sich zu der Gläubigen Freude,
Sie strömen brünstig schon, durchs würdige Portal,
Der erste Glockenruf erscholl durch Berg und Thal,
Von hohen Thürmen tönt’s, wie sie zum Himmel streben,
Der Büßer kommt heran, zu neugeschaffnem Leben.
11015Dem hohen Weihetag, er trete bald herein!
Wird deine Gegenwart die höchste Zierde seyn.
Kaiser
Mag ein so großes Werk den frommen Sinn verkündigen,
Zu preisen Gott den Herrn, so wie mich zu entsündigen.
Genug! Ich fühle schon wie sich mein Sinn erhöht.
Erzbischoff
11020Als Canzler fördr’ ich nun Schluß und Formalität.
Kaiser
Ein förmlich Document der Kirche das zu eignen
Du legst es vor, ich wills mit Freuden unterzeichnen.
Erzbischoff
hat sich beurlaubt, kehrt aber beim Ausgang um
Dann widmest du zugleich dem Werke, wie’s entsteht,
Gesammte Landsgefälle: Zehnten, Zinsen, Beet,
11025Für ewig. Viel bedarfs zu würdiger Unterhaltung,
Und schwere Kosten macht die sorgliche Verwaltung.
Zum schnellen Aufbau selbst auf solchem wüsten Platz
Reichst du uns einiges Gold, aus deinem Beuteschatz.
Daneben braucht man auch, ich kann es nicht verschweigen,
11030Entferntes Holz und Kalk und Schiefer und dergleichen.
Die Fuhren thut das Volk, vom Predigtstuhl belehrt,
Die Kirche segnet den der ihr zu Diensten fährt.
ab
Kaiser
Die Sünd’ ist groß und schwer womit ich mich beladen,
Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten Schaden.
Erzbischoff
abermals zurückkehrend mit tiefster Verbeugung
11035Verzeih o Herr! Es ward dem sehr verrufnen Mann
Des Reiches Strand verliehn; doch diesen trifft der Bann,
Verleihst du reuig nicht der hohen Kirchenstelle,
Auch dort, den Zehnten, Zins und Gaben und Gefälle.
Kaiser
verdrießlich
Das Land ist noch nicht da, im Meere liegt es breit.
Erzbischoff
11040Wer’s Recht hat und Geduld für den kommt auch die Zeit.
Für uns mög Euer Wort in seinen Kräften bleiben!
Kaiser
allein
11042So könnt’ ich wohl zunächst das ganze Reich verschreiben.
Fünfter Akt

Offene Gegend

Wanderer
11043Ja! sie sinds die dunkeln Linden,
Dort, in ihres Alters Kraft.
11045Und ich soll sie wieder finden,
Nach so langer Wanderschaft!
Ist es doch die alte Stelle,
Jene Hütte, die mich barg,
Als die sturmerregte Welle
11050Mich an jene Dünen warf!
Meine Wirthe möcht’ ich segnen,
Hülfsbereit, ein wackres Paar,
Das, um heut mir zu begegnen
Alt schon jener Tage war.
11055Ach! das waren fromme Leute!
Poch ich? ruf ich? – Seyd gegrüßt!
Wenn, gastfreundlich, auch noch heute
Ihr des Wohlthuns Glück genießt.
Baucis
Mütterchen, sehr alt
Lieber Kömmling! Leise! Leise!
11060Ruhe! laß den Gatten ruhn!
Langer Schlaf verleiht dem Greise
Kurzen Wachens rasches Thun.
Wanderer
Sage Mutter bist dus eben,
Meinen Dank noch zu empfahn,
11065Was du für des Jünglings Leben
Mit dem Gatten einst gethan?
Bist du Baucis, die, geschäftig,
Halberstorbnen Mund erquickt?
der Gatte tritt auf
Du Philemon, der, so kräftig,
11070Meinen Schatz der Fluth entrückt?
Eure Flammen raschen Feuers,
Eures Glöckchens Silberlaut,
Jenes grausen Abentheuers
Lösung war Euch anvertraut.
11075Und nun laßt hervor mich treten,
Schaun das gränzenlose Meer;
Laßt mich knien, laßt mich beten,
Mich bedrängt die Brust so sehr.
Er schreitet vorwärts auf der Düne.
Philemon
zu Baucis
Eile nur den Tisch zu decken,
11080Wo’s im Gärtchen munter blüht.
Laß ihn rennen, laß ihn schrecken,11081 laß ihn schrecken ] 2 Hihn erschrecken Ec 2 H  (VI)
Denn er glaubt nicht was er sieht.
neben dem Wandrer stehend
Das Euch grimmig mißgehandelt,
Wog’ auf Woge, schäumend wild,
11085Seht als Garten ihr behandelt,
Seht ein paradiesisch Bild.
Älter, war ich nicht zu Handen,
Hülfreich nicht wie sonst bereit,
Und, wie meine Kräfte schwanden,
11090War auch schon die Woge weit.
Kluger Herren kühne Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte
Herrn an seiner Statt zu seyn.
11095Schaue grünend Wies’ an Wiese
Anger, Garten, Dorf und Wald. –
Komm nun aber und genieße
Denn die Sonne scheidet bald. –
Doch! im Fernsten ziehen Seegel!11099 Doch! ] 2 V H.0b 2 HDort zS 2 H  (VI)
11100Suchen nächtlich sichern Port.
Kennen doch ihr Nest die Vögel,
Denn jetzt ist der Hafen dort.
So erblickst du in der Weite
Erst des Meeres blauen Saum,
11105Rechts und links, in aller Breite,
Dichtgedrängt bewohnten Raum.
Am Tische zu drey, im Gärtchen
Baucis
Bleibst du stumm? und keinen Bissen
Bringst du zum verlechzten Mund?
Philemon
Möcht er doch vom Wunder wissen,
11110Sprichst so gerne, thu’s ihm kund.
Baucis
Wohl! ein Wunder ists gewesen!
Läßt mich heute nicht in Ruh;
Denn es ging das ganze Wesen
Nicht mit rechten Dingen zu.
Philemon
11115Kann der Kaiser sich versündgen
Der das Ufer ihm verliehn?
Thät’s ein Herold nicht verkündgen
Schmetternd im Vorüberziehn?
Nicht entfernt von unsern Dünen
11120War der erste Fuß gefaßt,
Zelte! Hütten! – doch, im Grünen,
Richtet bald sich ein Palast.
Baucis
Tags umsonst die Knechte lärmten,
Hack und Schaufel, Schlag um Schlag,
11125Wo die Flämmchen nächtig schwärmten
Stand ein Damm den andern Tag.
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Quaal,
Meerab floßen Feuergluten;
11130Morgens war es ein Canal.
Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hayn;
Wie er sich als Nachbar brüstet
Soll man unterthänig seyn.
Philemon
11135Hat er uns doch angeboten
Schönes Gut im neuen Land!
Baucis
Traue nicht den Wasserboten,
Halt auf deiner Höhe Stand.
Philemon
Laßt uns zur Capelle treten!
11140Letzten Sonnenblick zu schaun.
Laßt uns läuten, knieen, beten!
11142Und dem alten Gott vertraun.

Pallast weiter Ziergarten, großer gradgeführter Canal

Faust im höchsten Alter wandelnd, nachdenkend
Lynceus Der Thürmer
durchs Sprachrohr
11143Die Sonne sinkt, die letzten Schiffe
Sie ziehen munter hafenein.
11145Ein großer Kahn ist im Begriffe
Auf dem Kanale hier zu seyn.
Die bunten Wimpel wehen fröhlich,
Die starren Masten stehn bereit,
In dir preist sich der Bootsmann selig,
11150Dich grüßt das Glück zur höchsten Zeit.
das Glöckchen läutet auf der Düne.
Faust
auffahrend
Verdammtes Läuten! Allzuschändlich
Verwundets, wie ein tückischer Schuß,
Vor Augen ist mein Reich unendlich,
Im Rücken neckt mich der Verdruß,
11155Erinnert mich durch neidische Laute:
Mein Hochbesitz er ist nicht rein,
Der Lindenraum, die braune Baute,
Das morsche Kirchlein ist nicht mein.
Und wünscht’ ich dort mich zu erholen,
11160Vor fremdem Schatten schaudert mir,11160 fremdem ] 2 V H.1fremden 2 H  (II aa)
Ist Dorn den Augen, Dorn den Solen,
O! wär ich weit hinweg von hier!
Thürmer
wie oben
Wie segelt froh der bunte Kahn,
Mit frischem Abendwind heran!
11165Wie thürmt sich sein behender Lauf
In Kisten, Kasten, Säcken auf!
Prächtiger Kahn, reich und bunt beladen mit Erzeugnissen fremder Weltgegenden
Mephistopheles. die drey gewaltigen Gesellen
Chorus
Da landen wir,
Da sind wir schon.
Glückan! dem Herren,
11170Dem Patron.
sie steigen aus, die Güter werden an’s Land geschafft.
Mephistopheles
So haben wir uns wohl erprobt,
Vergnügt wenn der Patron es lobt.
Nur mit zwey Schiffen ging es fort,
Mit zwanzig sind wir nun im Port.
11175Was große Dinge wir gethan
Das sieht man unsrer Ladung an.
Das freye Meer befreyt den Geist,
Wer weis da was Besinnen heißt!
Da fördert nur ein rascher Griff,
11180Man fängt den Fisch, man fängt ein Schiff,
Und ist man erst der Herr zu drey
Dann hackelt man das vierte bey.
Da geht es denn dem fünften schlecht,
Man hat Gewalt, so hat man recht.
11185Man fragt ums Was? und nicht ums Wie?
Ich müßte keine Schiffahrt kennen.
Krieg, Handel und Piraterie,
Dreyeinig sind sie, nicht zu trennen.
Die drey gewaltigen Gesellen
Nicht Dank und Gruß!
11190Nicht Gruß und Dank!
Als brächten wir
Dem Herrn Gestank.
Er macht ein
Widerlich Gesicht;
11195Das Königsgut
Gefällt ihm nicht.
Mephistopheles
Erwartet weiter
Keinen Lohn,
Nahmt ihr doch
11200Euren Theil davon.
Die Gesellen
Das ist nur für
Die Langeweil,
Wir alle for-11203–11206
Wir alle fordern
 
Gleichen Theil.
 
Mephist.
 
11205Erst ordnet oben
Saal an Saal.
Ec 2 H
  (VI)
dern gleichen Theil.
Mephistopheles
11205Erst ordnet o-
ben Saal an Saal.
Die Kostbarkeiten
Allzumal.
Und tritt er zu
11210Der reichen Schau,
Berechnet er alles
Mehr genau,
Er sich gewiß
Nicht lumpen läßt
11215Und giebt der Flotte
Fest nach Fest.
Die bunten Vögel kommen morgen,
Für die werd’ ich zum besten sorgen.
die Ladung wird weggeschafft.
Mephistopheles
zu Faust
Mit ernster Stirn, mit düstrem Blick,
11220Vernimmst du dein erhaben Glück.
Die hohe Weisheit wird gekrönt,
Das Ufer ist dem Meer versöhnt,
Vom Ufer nimmt, zu rascher Bahn,
Das Meer die Schiffe willig an;
11225So sprich daß hier, hier vom Pallast
Dein Arm die ganze Welt umfaßt.
Von dieser Stelle ging es aus,
Hier stand das erste Breterhaus;
Ein Gräbchen ward hinabgeritzt
11230Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.
Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß
Erwarb des Meers, der Erde Preiß.
Von hier aus –
Faust
Das verfluchte hier!
Das eben leidig lastets mir.
11235Dir Vielgewandtem muß ichs sagen,11235 Vielgewandtem ] 2 V H.1Vielgewandten 2 H  (II aa)
Mir giebts im Herzen Stich um Stich,
Mir ists unmöglich zu ertragen!
Und wie ichs sage schäm’ ich mich.
Die Alten droben sollten weichen,
11240Die Linden wünscht ich mir zum Sitz,
Die wenig Bäume, nicht mein eigen,
Verderben mir den Welt-Besitz.
Dort wollt ich, weit umher zu schauen,
Von Ast zu Ast Gerüste bauen,
11245Dem Blick eröffnen weite Bahn,
Zu sehn was alles ich gethan,
Zu überschaun mit einem Blick
Des Menschengeistes Meisterstück,
Bethätigend, mit klugem Sinn,
11250Der Völker breiten Wohngewinn.
So sind am härtsten wir gequält
Im Reichthum fühlend was uns fehlt.
Des Glöckchens Klang, der Linden Duft
Umfängt mich wie in Kirch und Gruft.
11255Des allgewaltigen Willens Kühr
Bricht sich an diesem Sande hier.
Wie schaff ich mir es vom Gemüthe!
Das Glöcklein läutet und ich wüthe.
Mephistopheles
Natürlich! daß ein Hauptverdruß
11260Das Leben dir vergällen muß.
Wer läugnets! Jedem edlen Ohr
Kommt das Geklingel widrig vor.
Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel
Umnebelnd heitern Abendhimmel,
11265Mischt sich in jegliches Begebniß,
Vom ersten Bad bis zum Begräbniß,
Als wäre, zwischen Bimm und Baum,
Das Leben ein verschollner Traum.
Faust
Das Widerstehn, der Eigensinn
11270Verkümmern herrlichsten Gewinn,
Daß man, zu tiefer grimmiger Pein,
Ermüden muß gerecht zu seyn.
Mephistopheles
Was willst du dich denn hier geniren,
Mußt du nicht längst kolonisiren.
Faust
11275So geht und schafft sie mir zur Seite! –
Das schöne Gütchen kennst du ja,
Das ich den Alten ausersah.
Mephistopheles
Man trägt sie fort und setzt sie nieder,
Eh man sich umsieht stehn sie wieder;
11280Nach überstandener Gewalt
Versöhnt ein schöner Aufenthalt.
er pfeift gellend.
Die Drey treten auf.
Mephistopheles
Kommt! Wie der Herr gebieten läßt,
Und Morgen giebts ein Flottenfest.11283 giebts ] 2 V H.1giebt 2 H  (II aa)
Die Drey
Der alte Herr empfing uns schlecht
11285Ein flottes Fest ist uns zu Recht.
Mephistopheles
ad Spectatores
Auch hier geschieht was längst geschah,
11287Denn Naboths Weinberg war schon da.
(Regum I. 21.)nach 11287 (Regum I. 21.) ] 2 H(ab) 2 V H.1fehlt (Regum I. 21.) erg G 2 H  (II aa*)

Tiefe Nacht

Lynceus, der Thürmer
auf der Schloßwarte, singend
11288Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
11290Dem Thurme geschworen
Gefällt mir die Welt.
Ich blick in die Ferne,
Ich seh in der Näh,
Den Mond und die Sterne,
11295Den Wald und das Reh.
So seh ich in allen
Die ewige Zier
Und wie mir’s gefallen
Gefall ich auch mir.
11300Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sey wie es wolle,
Es war doch so schön!
Pause
Nicht allein mich zu ergötzen
11305Bin ich hier so hoch gestellt;
Welch ein gräuliches Entsetzen
Droht mir aus der finstern Welt!
Funkenblicke seh ich sprühen
Durch der Linden Doppelnacht,
11310Immer stärker wühlt ein Glühen
Von der Zugluft angefacht.
Ach! die innre Hütte lodert,
Die bemoost und feucht gestanden,
Schnelle Hülfe wird gefodert,
11315Keine Rettung ist vorhanden.
Ach! die guten alten Leute,
Sonst so sorglich um das Feuer,
Werden sie dem Qualm zur Beute!11318 sie ] 2 V H.1Sie 2 H  (II aa)
Welch ein schrecklich Abentheuer!
11320Flamme flammet, roth in Gluten
Steht das schwarze Moosgestelle;
Retteten sich nur die Guten
Aus der wildentbrandten Hölle!
Züngelnd lichte Blitze steigen
11325Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;
Äste dürr, die flackernd brennen,
Glühen schnell und stürzen ein.
Sollt ihr Augen dieß erkennen!
Muß ich so weitsichtig seyn!
11330Das Kapellchen bricht zusammen
Von der Äste Sturz und Last.
Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,
Schon die Gipfel angefaßt.
Bis zur Wurzel glühn die hohlen
11335Stämme, Purpurroth im Glühn. –
Lange Pause, Gesang
Was sich sonst dem Blick empfohlen,
Mit Jahrhunderten ist hin.
Faust
auf dem Balkon, gegen die Dünen
Von oben welch ein singend Wimmern?
Das Wort ist hier, der Ton zu spat,
11340Mein Thürmer jammert; mich, im Innern,
Verdrießt die ungeduldge That.
Doch sey der Lindenwuchs vernichtet
Zu halbverkohlter Stämme Graun,
Ein Luginsland ist bald errichtet,
11345Um ins Unendliche zu schaun.
Da seh ich auch die neue Wohnung,
Die jenes alte Paar umschließt,
Das, im Gefühl großmüthiger Schonung,
Der späten Tage froh genießt.
Mephistopheles und die Dreye
unten
11350Da kommen wir mit vollem Trab,
Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.
Wir klopften an, wir pochten an,
Und immer ward nicht aufgethan;
Wir rüttelten, wir pochten fort,
11355Da lag die morsche Thüre dort;
Wir riefen laut und drohten schwer,
Allein wir fanden kein Gehör.
Und wie’s in solchem Fall geschicht,
Sie hörten nicht, sie wollten nicht;
11360Wir aber haben nicht gesäumt
Behende dir sie weggeräumt.
Das Paar hat sich nicht viel gequält
Vor Schrecken fielen sie entseelt.
Ein Fremder, der sich dort versteckt,
11365Und fechten wollte, ward gestreckt.
In wilden Kampfes kurzer Zeit,
Von Kohlen, ringsumher gestreut,
Entflammte Stroh. Nun loderts frey,
Als Scheiterhaufen dieser Drey.
Faust
11370War’t ihr für meine Worte taub!
Tausch wollt ich, wollte keinen Raub.
Dem unbesonnenen wilden Streich
Ihm fluch ich, theilt es unter euch.
Chorus
Das alte Wort, das Wort erschallt:
11375Gehorche willig der Gewalt!
Und bist du kühn, und hältst du Stich,
So wage Haus und Hof und – Dich.
ab
Faust
auf dem Balkon
Die Sterne bergen Blick und Schein,
Das Feuer sinkt und lodert klein;
11380Ein Schauerwindchen fächelts an,
Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.
Geboten schnell, zu schnell gethan! –
Was schwebet schattenhaft heran?11383 schattenhaft ] 2 V H.1Schattenhaft 2 H  (II aa)
Mitternacht
Vier graue Weiber treten auf.
Erste
11384Ich heiße der Mangel.
Zweyte
11384Ich heiße die Schuld.
Dritte
11385Ich heiße die Sorge.
Vierte
11385Ich heiße die Noth.
Zu drey
Die Thür ist verschloßen wir können nicht ein,
Drinn wohnet ein Reicher wir mögen nicht ’nein.11387–11388 ’nein. bis Schatten. ] 2 V H.2’nein bis Schatten 2 H  (II a)
Mangel
Da werd ich zum Schatten.
Schuld
Da werd ich zu nicht.
Noth
Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.
Sorge
11390Ihr Schwestern ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
Die Sorge sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.
Sorge verschwindet.
Mangel
Ihr graue Geschwister entfernt euch von hier.
Schuld
Ganz nah an der Seite verbind ich mich dir.
Noth
Ganz nah an der Ferse begleitet die Noth.
Zu drey
11395Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
Dahinten, dahinten! von ferne von ferne,
Da kommt er der Bruder, da kommt er der – – – – – Tod.
Faust
im Pallast
Vier sah ich kommen, drey nur gehn,
Den Sinn der Rede konnt’ ich nicht verstehn.
11400Es klang so nach als hieß es – Noth
Ein düstres Reimwort folgte – Tod.
Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
Noch hab ich mich ins Freye nicht gekämpft.
Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen
11405Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen;
Stünd ich, Natur! vor dir ein Mann allein
Da wär’s der Mühe werth ein Mensch zu seyn.
Das war ich sonst, eh ich’s im Düstern suchte,
Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
11410Nun ist die Luft von solchem Spuck so voll
Daß niemand weiß wie er ihn meiden soll.
Wenn auch Ein Tag uns klar vernünftig lacht
In Traumgespinnst verwickelt uns die Nacht;
Wir kehren froh von junger Flur zurück,
11415Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.
Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.
Und so verschüchtert stehen wir allein.
Die Pforte knarrt und niemand kommt herein.
erschüttert
11420Ist jemand hier?
Sorge
11420Die Frage fordert ja!
Faust
Und du wer bist denn du?
Sorge
Bin einmal da.
Faust
Entferne dich!11422 dich! ] (etwas undeutlich) 2 V H.6dich. mglw mit Ansatz zum Ausrufezeichen 2 V H.2dich 2 H  (II b)
Sorge
Ich bin am rechten Ort.
Faust
Erst ergrimmt, dann besänftigt für sich
Nimm dich in Acht und sprich kein Zauberwort.
Sorge
Würde mich kein Ohr vernehmen
11425Müßt es doch im Herzen dröhnen;
In verwandelter Gestalt
Üb’ ich grimmige Gewalt.
Auf den Pfaden, auf der Welle
Ewig ängstlicher Geselle,
11430Stets gefunden nie gesucht,
So geschmeichelt wie verflucht.
Hast du die Sorge nie gekannt?
Faust
Ich bin nur durch die Welt gerannt.
Ein jed’ Gelüst ergriff ich bey den Haaren,
11435Was nicht genügte ließ ich fahren,
Was mir entwischte lies ich ziehn.
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht,
Und abermals gewünscht, und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig;11439 mächtig; ] 2 V H.2 Das Semikolon ist in 2 H nicht mehr zu erkennen; ergänzt nach 2 V H.2.  (VII)
11440Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Thor! wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seines gleichen dichtet;
11445Er stehe fest und sehe hier sich um;
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm,
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen,
Was er erkennt läßt sich ergreifen;
Er wandle so den Erdentag entlang;
11450Wenn Geister spuken geh er seinen Gang,
Im Weiterschreiten find er Quaal und Glück,
Er! unbefriedigt jeden Augenblick.
Sorge
Wen ich einmal mir besitze
Dem ist alle Welt nichts nütze,
11455Ewiges Düstre steigt herunter,
Sonne geht nicht auf noch unter,
Bey vollkommnen äußern Sinnen
Wohnen Finsternisse drinnen.
Und er weiß von allen Schätzen
11460Sich nicht in Besitz zu setzen.
Glück und Unglück wird zur Grille,
Er verhungert in der Fülle,
Sey es Wonne sey es Plage
Schiebt ers zu dem andern Tage,
11465Ist der Zukunft nur gewärtig
Und so wird er niemals fertig.
Faust
Hör auf! so kommst du mir nicht bey!
Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
Fahrhin! die schlechte Litaney
11470Sie könnte selbst den klügsten Mann bethören.
Sorge
Soll er gehen, soll er kommen,
Der Entschluß ist ihm genommen;
Auf gebahnten Weges Mitte11473 Weges Mitte ] 2 V H.11Weges-Mitte 2 V H.2 2 H  (II b)
Wankt er tastend halbe Schritte.
11475Er verliert sich immer tiefer,
Siehet alle Dinge schiefer,
Sich und andre lästig drückend,
Athem holend und erstickend;
Nicht erstickt und ohne Leben,
11480Nicht verzweiflend, nicht ergeben.
So ein unaufhaltsam Rollen
Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
Bald Befreyen, bald Erdrücken,11483 Befreyen, bald Erdrücken ] 2 V H.11befreyen, bald Erdrücken : Befreyen, bald Erdrücken G 2 V H.11befreyen, bald erdrücken 2 V H.2 2 H  (II b)
Halber Schlaf und schlecht Erquicken
11485Heftet ihn an seine Stelle
Und bereitet ihn zur Hölle.
Faust
Unselige Gespenster so behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausendmalen;
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
11490In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Quaalen.
Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß,
Ich werde sie nicht anerkennen.
Sorge
11495Erfahre sie, wie ich geschwind
Mich mit Verwünschung von dir wende!
Die Menschen sind im ganzen Leben blind,
Nun Fauste! werde dus am Ende.
sie haucht ihn an.
Faust
erblindet
Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen
11500Allein im Innern leuchtet helles Licht;
Was ich gedacht ich eil es zu vollbringen;
Des Herren Wort es giebt allein Gewicht.
Vom Lager auf ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen was ich kühn ersann.
11505Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten,
Das Abgesteckte muß sogleich gerathen.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß,
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende
11510Genügt Ein Geist für tausend Hände.

Großer Vorhof des Pallasts

Fackeln
Mephistopheles
als Aufseher, voran
11511Herbey herbey! herein herein!
Ihr schlotternden Lemuren,
Aus Bändern, Sehnen und Gebein11513 Bändern, Sehnen ] 2 V H.14a*Ligamenten 2 H  (VII)
Geflickte Halbnaturen.
Lemuren
im Chor
11515Wir treten dir sogleich zur Hand,
Und, wie wir halb vernommen,
Es gilt wohl gar ein weites Land
Das sollen wir bekommen.
Gespitzte Pfähle die sind da,
11520Die Kette lang fürs Messen;
Warum an uns der Ruf geschah
Das haben wir vergessen.
Mephistopheles
Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
Verfahret nur nach eignen Maaßen;
11525Der Längste lege längelang sich hin,
Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen;
Wie mans für unsre Väter that,
Vertieft ein längliches Quadrat!
Aus dem Pallast ins enge Haus,
11530So dumm läuft es am Ende doch hinaus.
Lemuren
mit neckischen Gebärden grabend
Wie jung ich war und lebt und liebt,
Mich däucht das war wohl süße,
Wo’s fröhlich klang und lustig ging
Da rührten sich meine Füße.
11535Nun hat das tückische Alter mich
Mit seiner Krücke getroffen;
Ich stolpert’ über Grabes Thür,
Warum stand sie just offen!
Faust
aus dem Pallaste tretend, tastet an den Thürpfosten
Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!
11540Es ist die Menge, die mir fröhnet,
Die Erde mit sich selbst versöhnet,
Den Wellen ihre Gränze setzt,
Das Meer mit strengem Band umzieht.11543 strengem ] 2 V H.2strengen 2 H  (II a)
Mephistopheles
bey Seite
Du bist doch nur für uns bemüht
11545Mit deinen Dämmen deinen Buhnen;
Denn du bereitest schon Neptunen,
Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
In jeder Art seyd ihr verloren,
Die Elemente sind mit uns verschworen,
11550Und auf Vernichtung läufts hinaus.
Faust
Aufseher!
Mephistopheles
Hier!
Faust
Wie es auch möglich sey
Arbeiter schaffe Meng’ auf Menge,
Ermuntere durch Genuß und Strenge,
Bezahle, locke, presse bey!
11555Mit jedem Tage will ich Nachricht haben
Wie sich verlängt der unternommene Graben.
Mephistopheles
halblaut
Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom Grab.
Faust
Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
11560Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuel auch abzuziehn
Das Letzte wär das Höchsterrungene.
Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch thätig-frey zu wohnen.
11565Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Heerde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
11570Da rase draußen Fluth bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt die Lücke zu verschließen.
Ja diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
11575Nur der verdient sich Freyheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Von Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.11578 Von ] 2 HHier Ec 2 H  (VI)
Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
11580Auf freyem Grund mit freyem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft’ ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. –
11585Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.
Faust sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden.
Mephistopheles
Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
Den letzten, schlechten, leeren Augenblick
11590Der Arme wünscht ihn fest zu halten.
Der mir so kräftig widerstand,
Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
Die Uhr steht still –
Chor
Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.
Der Zeiger fällt.
Mephistopheles
Er fällt, es ist vollbracht.
Chor
11595Es ist vorbey.
Mephistopheles
11595Vorbey! ein dummes Wort.
Warum vorbey?
Vorbey und reines Nicht, vollkomnes Einerley.
Was soll uns denn das ewge Schaffen,
Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen?
11600Da ists vorbey! Was ist daran zu lesen?
Es ist so gut als wär es nicht gewesen,
Und treibt sich doch im Kreis als wenn es wäre.
Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.
Grablegung
Lemur Solo
11604Wer hat das Haus so schlecht gebaut,
11605Mit Schaufeln und mit Spaten?
Lemuren Chor
Dir dumpfer Gast im hänfnen Gewand
Ists viel zu gut gerathen.
Lemur Solo
Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
Wo blieben Tisch und Stühle?
Lemuren Chor
11610Es war auf kurze Zeit geborgt;
Der Gläubiger sind so viele.
Mephistopheles
Der Körper liegt und will der Geist entfliehn,
Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; –
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel
11615Dem Teufel Seelen zu entziehn.
Auf altem Wege stößt man an,
Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
Sonst hätt ich es allein gethan,
Jetzt muß ich Helfershelfer holen.
11620Uns gehts in allen Dingen schlecht.
Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.
Sonst mit dem letzten Athem fuhr sie aus,
Ich paßt ihr auf und, wie die schnellste Maus,
11625Schnapps! hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen.
Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams eckles Haus nicht lassen;
Die Elemente die sich hassen,
Die treiben sie am Ende schmählich fort.
11630Und wenn ich Tag und Stunden mich zerplage
Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage,
Der alte Tod verlor die rasche Kraft,
Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft;
Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder;
11635Es war nur Schein, das rührte das regte sich wieder.11635 wieder. ] 2 V H.2 Der Punkt ist in 2 H nicht zu erkennen; ergänzt nach 2 V H.2.  (VII)
Phantastisch-flügelmännische Beschwörungs-Gebärden
Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,
Von altem Teufelsschrot und Korne11638 Von ] 2 V H.2Vom 2 H  (II a)
Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.
11640Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!
Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;
Doch wird man auch bey diesem letzten Spiele
Ins künftige nicht so bedenklich seyn.
Der gräuliche Höllenrachen thut sich lincks auf.
Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
11645Entquillt der Feuerstrom in Wuth,
Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
Seh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.
Die rothe Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,
Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;
11650Doch colossal zerknirscht sie die Hyäne
Und sie erneuen ängstlich heisse Bahn.
In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,
So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
Ihr thut sehr wohl die Sünder zu erschrecken
11655Sie haltens doch für Lug und Trug und Traum.
Zu den Dickteufeln vom kurzen, graden Horne
Nun wanstige Schuften mit den Feuerbacken!
Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;
Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken
Hier unten lauert ob’s wie Phosphor gleißt:
11660Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,
Die rupft ihr aus so ists ein garstiger Wurm;
Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln
Dann fort mit ihr im Feuer-Wirbel-Sturm.
Paßt auf die niedern Regionen,
11665Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
Ob’s ihr beliebte da zu wohnen,
So accurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus,
Nehmt es in Acht sie wischt euch dort heraus.
Zu den Dürrteufeln vom langen, krummen Horne
11670Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen,
Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast;
Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,
Daß ihr die flatternde, die Flüchtige faßt.
Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus
11675Und das Genie es will gleich obenaus.
Glorie von oben, rechts
Himmlische Heerschaar
Folget Gesandte,
Himmelsverwandte,
Gemächlichen Flugs;
Sündern vergeben,
11680Staub zu beleben,
Allen Naturen
Freundliche Spuren
Wirket im Schweben
Des weilenden Zugs.
Mephistopheles
11685Mißtöne hör ich, garstiges Geklimper,
Von oben kommts mit unwillkommnem Tag;
Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
Wie frömmelnder Geschmack sichs lieben mag.
Ihr wißt wie wir, in tiefverruchten Stunden,
11690Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht;
Das Schändlichste was wir erfunden
Ist ihrer Andacht eben recht.
Sie kommen gleisnerisch die Laffen!
So haben sie uns manchen weggeschnappt,
11695Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen;
Es sind auch Teufel, doch verkappt.
Hier zu verlieren wär euch ewge Schande;
Ans Grab heran und haltet fest am Rande!
Chor der Engel
Rosen streuendvor 11699 streuend ] streuend 2 V H.2strauend 2 H  (I a)
Rosen, ihr blendenden,
11700Balsam versendenden!
Flatternde, schwebende,
Heimlich belebende,
Zweiglein beflügelte,
Knospen entsiegelte,
11705Eilet zu blühn.
Frühling entsprieße,
Purpur und Grün;
Tragt Paradiese
Dem Ruhenden hin.
Mephistopheles
zu den Satanen
11710Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?
So haltet Stand und laßt sie streuen.
An seinen Platz ein jeder Gauch!
Sie denken wohl mit solchen Blümeleyen
Die heißen Teufel einzuschneyen;
11715Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.
Nun pustet Püstriche! – Genug genug!
Vor eurem Broden bleicht der ganze Flug. –
Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen.
Fürwahr ihr habt zu stark geblasen;
11720Daß ihr doch nie die rechten Maaße kennt.
Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich, dorrt, es brennt!
Schon schwebts heran mit giftig klaren Flammen,
Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen!
Die Kraft erlischt dahin ist aller Muth11724 erlischt bis Muth ] 2 Herlischt, bis Muth! Ec 2 H  (VI)
11725Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.
Engel
Blüten die seligen,
Flammen die fröhlichen,
Liebe verbreiten sie,
Wonne bereiten sie,
11730Herz wie es mag.
Worte die wahren,
Äther im klaren,
Ewigen Schaaren
Überal Tag.
Mephistopheles
11735O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
Satane stehen auf den Köpfen,
Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
Und stürzen ärschlings in die Hölle.
Gesegn’ euch das verdiente heisse Bad!
11740Ich aber bleib auf meiner Stelle. –
Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend
Irrlichter fort! du! leuchte noch so stark,
Du bleibst gehascht ein eckler Gallert-Quarck.
Was flatterst du? Willst du dich packen! –
Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.
Engel. Chor
11745Was euch nicht angehört
Müsset ihr meiden,
Was euch das Innre stört
Dürft ihr nicht leiden.
Dringt es gewaltig ein
11750Müssen wir tüchtig seyn.
Liebe nur Liebende
Führet herein.
Mephistopheles
Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,
Ein überteuflich Element!
11755Weit spitziger als Höllenfeuer. –
Drum jammert ihr so ungeheuer
Unglückliche Verliebte! die, verschmäht,
Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.
Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?
11760Bin ich mit ihr doch in geschwornem Streite?11760 in ] 2 V H.2im 2 H  (II a)
Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.
Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen,
Ich mag sie gerne sehn die allerliebsten Jungen;
Was hält mich ab daß ich nicht fluchen darf? –
11765Und wenn ich mich bethören lasse
Wer heißt denn künftighin der Thor?
Die Wetterbuben die ich hasse
Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor. –
Ihr schönen Kinder laßt mich wissen:
11770Seyd ihr nicht auch von Lucifers Geschlecht?
Ihr seyd so hübsch, fürwahr ich möcht euch küssen;
Mir ists als kämt ihr eben recht.11772 kämt ] 2 V H.32komt 2 V H.2kommt 2 H  (II b)
Es ist mir so behaglich, so natürlich
Als hätt ich euch schon tausendmal gesehn,
11775So heimlich-kätzchenhaft begierlich;
Mit jedem Blick aufs neue schöner schön.
O nähert euch, o gönnt mir Einen Blick!
Engel
Wir kommen schon, warum weichst du zurück?
Wir nähern uns und wenn du kannst so bleib.
die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.
Mephistopheles
der ins Proscenium gedrängt wird
11780Ihr scheltet uns verdammte Geister
Und seyd die wahren Hexenmeister;
Denn ihr verführet Mann und Weib. –
Welch ein verfluchtes Abenteuer!
Ist dies das Liebeselement?
11785Der ganze Körper steht in Feuer,
Ich fühle kaum daß es im Nacken brennt. –
Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,
Ein bischen weltlicher bewegt die holden Glieder;
Fürwahr der Ernst steht euch recht schön.
11790Doch möcht’ ich euch nur einmal lächeln sehn;
Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
Ich meyne so wie wenn Verliebte blicken,
Ein kleiner Zug am Mund so ists gethan.
Dich langer Bursche dich mag ich am liebsten leiden,
11795Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
So sieh mich doch ein wenig lüstern an!
Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,
Das lange Faltenhemd ist übersittlich –
Sie wenden sich – Von hinten anzusehen! –
11800Die Racker sind doch gar zu appetitlich.
Chor der Engel
Wendet zur Klarheit
Euch liebende Flammen!
Die sich verdammen
Heile die Wahrheit;
11805Daß sie vom Bösen
Froh sich erlösen,
Um in dem Allverein
Selig zu seyn.
Mephistopheles
sich faßend
Wie wird mir! – hiobsartig, Beul an Beule
11810Der ganze Kerl, dem’s vor sich selber graut,
Und triumphirt zugleich wenn er sich ganz durchschaut,
Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut;
Gerettet sind die edlen Teufelstheile,
Der Liebespuck er wirft sich auf die Haut;
11815Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,
Und, wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen.
Chor der Engel
Heilige Gluten!
Wen sie umschweben
Fühlt sich im Leben
11820Selig mit Guten.
Alle vereinigt
Hebt euch und preißt,
Luft ist gereinigt
Athme der Geist.
Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.
Mephistopheles
sich umsehend
11825Doch wie? – wo sind sie hingezogen?
Unmündiges Volk du hast mich überrascht,
Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
Mir ist ein großer einziger Schatz entwendet,
11830Die hohe Seele die sich mir verpfändet
Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
Bey wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbenes Recht?
Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
11835Du hasts verdient, es geht dir grimmig schlecht.
Ich habe schimpflich mißgehandelt,
Der Aufwand, schmählich! ist verthan,11837 Der ] 2 HEin großer Ec 2 H  (VI)
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
Den ausgepichten Teufel an.
11840Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding
Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
So ist fürwahr die Thorheit nicht gering
11843Die seiner sich am Schluß bemächtigt.

Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde

Heilige Anachoreten Gebirg auf vertheilt, gelagert zwischen Klüften
Chor und Echo
11844Waldung, sie schwanckt heran,
11845Felsen, sie lasten dran,
Wurzeln, sie klammern an,
Stamm dicht am Stamm hinan.
Woge nach Woge spritzt,
Höhle die tiefste schützt.
11850Löwen sie schleichen stumm-
Freundlich um uns herum,
Ehren geweihten Ort
Heiligen Liebeshort.
Pater extaticus
auf und abschweifend
Ewiger Wonnebrand,
11855Glühendes Liebeband,
Siedender Schmerz der Brust,
Schäumende Gottes-Lust.
Pfeile durchdringet mich,
Lanzen bezwinget mich,
11860Keulen zerschmettert mich,
Blitze durchwettert mich;
Daß ja das Nichtige
Alles verflüchtige,
Glänze der Dauerstern
11865Ewiger Liebe Kern.
Pater profundus
Tiefe Region
Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
Auf tieferm Abgrund lastend ruht,
Wie tausend Bäche strahlend fließen
Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,
11870Wie strack, mit eignem kräftigen Triebe,
Der Stamm sich in die Lüfte trägt,
So ist es die allmächtige Liebe
Die alles bildet alles hegt.
Ist um mich her ein wildes Brausen,
11875Als wogte Wald und Felsengrund,
Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,
Die Wasserfülle sich zum Schlund,
Berufen gleich das Thal zu wässern;
Der Blitz der flammend niederschlug
11880Die Atmosphäre zu verbessern
Die Gift und Dunst im Busen trug;
Sind Liebesboten, sie verkünden
Was ewig schaffend uns umwallt.
Mein Inres mög’ es auch entzünden
11885Wo sich der Geist, verworren kalt,
Verquält in stumpfer Sinne Schranken
Scharfangeschloßnem Kettenschmerz.
O Gott! beschwichtige die Gedanken
Erleuchte mein bedürftig Herz.
Pater Seraphicus
Mittlere Region
11890Welch ein Morgenwölkchen schwebet
Durch der Tannen schwankend Haar;
Ahn ich was im Innern lebet?
Es ist junge Geisterschaar.
Chor seliger Knaben
Sag uns Vater wo wir wallen,
11895Sag uns Guter wer wir sind?
Glücklich sind wir, allen allen
Ist das Daseyn so gelind.
Pater Seraphicus
Knaben! Mitternachts Geborne,
Halb erschlossen Geist und Sinn,
11900Für die Eltern gleich Verlorne,
Für die Engel zum Gewinn
Daß ein Liebender zugegen
Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;
Doch von schroffen Erdewegen
11905Glückliche! habt ihr keine Spur.
Steigt herab in meiner Augen
Welt- und erdgemäß Organ,
Könn’t sie als die euern brauchen,
Schaut euch diese Gegend an.
er nimmt sie in sich.
11910Das sind Bäume, das sind Felsen,
Wasserstrom, der abestürzt
Und mit ungeheuerm Wälzen
Sich den steilen Weg verkürzt.
Selige Knaben
von innen
Das ist mächtig anzuschauen
11915Doch zu düster ist der Ort,
Schüttelt uns mit Schreck und Grauen,
Edler, Guter laß uns fort.
Pater Seraphicus
Steigt hinan zu höhrem Kreise
Wachset immer unvermerkt,
11920Wie, nach ewig reiner Weise,
Gottes Gegenwart verstärkt.
Denn das ist der Geister Nahrung
Die im freysten Äther waltet,
Ewigen Liebens Offenbarung
11925Die zur Seligkeit entfaltet.
Chor seliger Knaben
um die höchsten Gipfel kreisend
Hände verschlinget
Freudig zum Ringverein,
Regt euch und singet
Heilge Gefühle drein;
11930Göttlich belehret
Dürft ihr vertrauen,
Den ihr verehret
Werdet ihr schauen.11933 schauen. ] 2 V H.33schauen 2 H  (II aa)
Engel
schwebend in der höhern Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend
Gerettet ist das edle Glied
11935Der Geisterwelt vom Bösen,
„Wer immer strebend sich bemüht
Den können wir erlösen.“
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben Theil genommen,
11940Begegnet ihm die selige Schaar
Mit herzlichem Willkommen.
Die jüngeren Engel
Jene Rosen, aus den Händen
Liebend-heiliger Büsserinnen,
Halfen uns den Sieg gewinnen,
11945Uns das hohe Werk vollenden,
Diesen Seelenschatz erbeuten.
Böse wichen als wir streuten,
Teufel flohen als wir trafen.
Statt gewohnter Höllenstrafen,
11950Fühlten Liebesqual die Geister;
Selbst der alte Satans-Meister
War von spitzer Pein durchdrungen.
Jauchzet auf! es ist gelungen.
Die vollendeteren Engel
Uns bleibt ein Erdenrest
11955Zu tragen peinlich,
Und wär’ er von Asbest
Er ist nicht reinlich.
Wenn starke Geisteskraft
Die Elemente
11960An sich herangerafft,
Kein Engel trennte
Geeinte Zwienatur
Der innigen Beyden,
Die ewige Liebe nur
11965Vermags zu scheiden.
Die jüngeren Engel
Nebelnd um Felsenhöh
Spür ich so eben,
Regend sich in der Näh,
Ein Geister-Leben.
11970Die Wölkchen werden klar,
Ich seh bewegte Schaar
Seliger Knaben,
Los von der Erde Druck,
Im Kreis gesellt,
11975Die sich erlaben
Am neuen Lenz und Schmuck
Der obern Welt.
Sey er zum Anbeginn,
Steigendem Vollgewinn,
11980Diesen gesellt!
Die seligen Knaben
Freudig empfangen wir
Diesen im Puppenstand;
Also erlangen wir
Englisches Unterpfand.
11985Löset die Flocken los
Die ihn umgeben,
Schon ist er schön und groß
Von heiligem Leben.
Doctor Marianus
in der höchsten, reinlichsten Zelle
Hier ist die Aussicht frey,
11990Der Geist erhoben.
Dort ziehen Fraun vorbey,
Schwebend nach oben.
Die Herrliche, mitteninn,
Im Sternenkranze,
11995Die Himmelskönigin,
Ich seh’s am Glanze.
entzückt
Höchste Herrscherin der Welt
Lasse mich, im blauen,
Ausgespannten Himmelszelt,
12000Dein Geheimniß schauen.
Billige was des Mannes Brust
Ernst und zart beweget
Und mit heiliger Liebeslust
Dir entgegen träget.
12005Unbezwinglich unser Muth
Wenn du hehr gebietest,
Plötzlich mildert sich die Glut,
Wie du uns befriedest.
Jungfrau, rein im schönsten Sinn,
12010Mutter, Ehren würdig,
Uns erwählte Königinn,
Göttern ebenbürtig.
Um sie verschlingen
Sich leichte Wölkchen,
12015Sind Büserinnen,
Ein zartes Völkchen;
Um Ihre Knie
Den Äther schlürfend,
Gnade bedürfend.
12020Dir, der Unberührbaren,
Ist es nicht benommen
Daß die leicht Verführbaren
Traulich zu dir kommen.
In die Schwachheit hingerafft
12025Sind sie schwer zu retten;
Wer zerreißt aus eigner Kraft
Der Gelüste Ketten?
Wie entgleitet schnell der Fuß
Schiefem glattem Boden?
12030Wen bethört nicht Blick und Gruß,
Schmeichelhafter Odem?
Mater gloriosa schwebt einher
Chor der Büsserinnen
Du schwebst zu Höhen
Der ewigen Reiche,
Vernimm das Flehen
12035Du Ohnegleiche,
Du Gnadenreiche!
Magna peccatrix
(St Lucae VII. 36)
Bey der Liebe, die den Füßen
Deines gottverklärten Sohnes
Thränen lies zum Balsam fließen,
12040Trotz des Pharisäer-Hohnes;
Beym Gefäße das so reichlich
Tropfte Wohlgeruch hernieder,
Bey den Locken die so weichlich
Trockneten die heilgen Glieder –
Mulier Samaritana
(St. Joh. IV.)vor 12045 (St. Joh. IV.) ] schließende Klammer fehlt 2 H  (I c)
12045Bey dem Bronn, zu dem schon weyland
Abram lies die Heerde führen,
Bey dem Eymer der dem Heyland
Kühl die Lippe durft berühren;
Bey der reinen reichen Quelle
12050Die nun dorther sich ergießet,
Überflüssig, ewig helle,
Rings durch alle Welten fließet –
Maria Egyptiaca
(Acta Sanctorum)
Bey dem hochgeweihten Orte
Wo den Herrn man niederließ,
12055Bey dem Arm der von der Pforte
Warnend mich zurücke stieß;
Bey der vierzigjährigen Busse
Der ich treu in Wüsten blieb,
Bey dem seligen Scheidegrusse
12060Den im Sand ich niederschrieb –
Zu drey
Die du großen Sünderinnen
Deine Nähe nicht verweigerst
Und ein büssendes Gewinnen
In die Ewigkeiten steigerst,
12065Gönn’ auch dieser guten Seele
Die sich einmal nur vergessen,
Die nicht ahnte daß sie fehle,
Dein Verzeihen angemessen.
Una Poenitentum
sich anschmiegend
sonst Gretchen genannt
Neige neige
12070Du Ohnegleiche,
Du Strahlenreiche,12071 Du ] 2 V H.37fDie 2 H  (II a)
Dein Antlitz gnädig meinem Glück.
Der früh Geliebte
Nicht mehr Getrübte
12075Er kommt zurück.
Selige Knaben
in Kreisbewegung sich nähernd
Er überwächst uns schon
An mächtigen Gliedern;
Wird treuer Pflege Lohn
Reichlich erwiedern.
12080Wir wurden früh entfernt
Von Lebechören,
Doch dieser hat gelernt
Er wird uns lehren.
Die eine Büsserin
Sonst Gretchen genannt
Vom edlen Geisterchor umgeben
12085Wird sich der Neue kaum gewahr,
Er ahnet kaum das frische Leben
So gleicht er schon der heiligen Schaar.
Sieh! wie er jedem Erdenbande
Der alten Hülle sich entrafft,
12090Und aus ätherischem Gewande
Hervortritt erste Jugendkraft.
Vergönne mir ihn zu belehren,
Noch blendet ihn der neue Tag.
Mater gloriosa
Komm! hebe dich zu höhern Sphären,
12095Wenn er dich ahnet folgt er nach.
Doctor Marianus
Auf dem Angesicht anbetend
Blicket auf zum Retterblick
Alle reuig zarten,
Euch zu seligem Geschick
Dankend umzuarten.
12100Werde jeder bessre Sinn
Dir zum Dienst erbötig;
Jungfrau, Mutter, Königinn,
Göttin bleibe gnädig.
Chorus mysticus
Alles Vergängliche
12105Ist nur ein Gleichniß;
Das Unzulängliche
Hier wird’s Ereigniß;
Das Unbeschreibliche
Hier ist es gethan;
12110Das Ewig-Weibliche
12111Zieht uns hinan.
Finis