303

158. Humboldt an Caroline

Weimar, 26. Dezember 1826

Dein ausführlicher Brief vom 23., teures Herz, hat mir unendliche Freude gemacht, und besonders die schönen Verse, für deren Mitteilung ich Dir nicht genug danken kann. Sie haben mich noch unendlich tief ergriffen und gerührt, da mir 304ewig gegenwärtig bleiben wird, was ich in jener Zeit an der bängsten Besorgnis litt. Ich hatte zwar mitten in der bewegtesten Furcht doch wieder eine große Hoffnung, einen lebendigen Glauben an Deine so gute und starke Natur, und an die Fügung, die alles bisher, was unser inneres Zusammenleben betrifft, so glücklich geleitet hat. Aber der Anschein war so schlimm, Du littest so sehr, und es stand auf einmal so alles auf dem Spiel. Ich fühle es mit der tiefsten Dankbarkeit, daß es sich nachher so glücklich gewendet hat, und jetzt, da es doch mit jeder Woche eher besser als schlimmer gegangen ist, fasse ich das Vertrauen, daß jede Gefahr vorüber ist und Du noch recht lange Glück unter allen den Deinen verbreiten wirst. Es war doch leider schon ein- oder zweimal in unserem Zusammenleben der Fall gewesen, daß ich bange Besorgnis für Dich gehegt hatte, und immer hatte es sich wieder glücklich gewendet. Diese Erinnerung war mir auch diesmal ein Trost.

Die drei Strophen sind unnachahmlich schön in Empfindung und Sprache und haben etwas unendlich Rührendes und Tröstendes zugleich. Wenn sich eine innig empfundene Wahrheit ganz einfach und doch durchaus dichterisch ausspricht, bringt es immer die höchste Wirkung hervor, und gerade darin liegt immer in allem, was Du machst, ein Dir ganz eigentümlicher Zauber. In Carolinen und dem, was ich von ihr gedichtet gesehen habe, ist das viel anders. Die Einbildungskraft ist mehr vom Gefühl getrennt, und das Gesagte greift darum weniger tief und einfach ein. Auch jetzt fand ich das in ihr wieder. Ihr Schmerz hat aber doch jetzt etwas sehr Schönes. Er ist noch tief in ihr ganzes Wesen verwebt, und doch hat sie eine Fassung, eine Klarheit, selbst eine Heiterkeit, die man, wenn man nicht beides so vereint sähe, schwer damit reimen könnte. Nur ist es unglaublich (wie gut es auch für sie ist), welche Illusionen sie sich über den Adolf macht. Man glaubt ihn gar nicht gekannt zu haben, wenn man sie von ihm 305sprechen hört, und kommen andere Leute auf ihn, so zucken sie immer die Achseln. Sie will noch in diesem Winter auf einige Tage nach Bösleben gehen, um eine Änderung an Adolfs Grabstätte zu machen.

Du wirst meinen gestrigen Brief nun heute abend oder morgen früh bekommen, beste Li. Unmittelbar nachdem ich ihn geschlossen hatte, ging ich zur Zeremonie an Hof. Der Herzog von Coburg*)*) Ernst, geb. 1784, Herzog seit 1806. Sein Bruder Ferdinand, österr. Feldmarschall-Leutnant, war mit der Tochter des Fürsten Franz Josef Cohary vermählt., sein Bruder Ferdinand, der im Österreichischen verheiratet ist, und der Sohn der Herzogin von Kent**)**) Victorie, Schwester des Herzogs von Sachsen-Coburg, geb. 1786, † 1861, Mutter der Königin Victoria von England, war in erster Ehe Fürstin von Leiningen., ein Fürst von Leiningen waren schon zum Mittagessen da. Diese wohnten auch der Verlobung bei. Diese war in einem besonderen Zimmer, und außer den Fürstlichkeiten waren nur die hiesigen großen Hofchargen und Minister, und von Fremden bloß Jordan, Chanikoff, Müffling, ein sächsischer Gesandter Lutzerode, Jagow und ich dabei. Des Prinzen Karl Adjutanten waren natürlich dabei. Der Großherzog sprach erst mit der Großherzogin und der Großfürstin, was ich nicht habe verstehen können, dann näherte er sich dem Brautpaar und sagte zum Prinzen: er habe versprochen, der Prinzessin ewige Treue zu widmen, die Prinzessin tue das gleiche Versprechen, sie möchten also die Ringe wechseln. Darauf geschah dies, und nun umarmten sich alle Glieder der Familie, was wirklich, da die Verbindung so ganz aus Neigung entsteht und beide fürstlichen Familien so freudig darüber sind, etwas Rührendes hatte. Nachher machten wir unsere Glückwünschungen. Dann ging man in den Saal, wo die Cour versammelt war. Hier machten erst alle ihre Glückwunschkomplimente, und dann wurde bis 10 ein Konzert gegeben. Das 306gehörte nicht zu der amüsanten Partie des Tages, aber der Saal, noch von Gentz und Catel gebaut, ist schön, die Beleuchtung noch mehr, und so ließ sich in allerlei Gedanken doch ganz gut in den freundlich-prächtigen Raum hinstarren. Den Abend ist noch, glaube ich, ein kleines Souper beim Herzog, bloß mit den Coburgschen Herrschaften gewesen, aber davon waren wir Fremde dispensiert.

Die Prinzessin Augusta, die gewöhnlich noch nicht mit an Tafel ißt, habe ich gestern gesehen und gesprochen. Man kann nicht hübscher, lebendiger, geistvoller und eigentümlicher aussehen und sich ausdrücken, als sie tut. Es wäre wirklich sehr schade, wenn sie je durch eine Heirat einen kleinen Wirkungskreis erhielte. Auch die sie genauer kennen, sagen, daß sie für den größesten geboren ist.

Die Großfürstin war sehr gnädig gegen mich. Sie sprach oft und lange mit mir, auch viel über Carolinen.

[ Biedermann-Herwig Nr. 5927: Mit Goethe habe ich nun seine „Helena“ ganz durchgelesen. Er selbst hat sie mir von einem Ende zum anderen vorgelesen. Leider aber hat seine Stimme doch durch das Alter sehr verloren, so daß es ihr manchmal selbst an Deutlichkeit fehlt.

Die „Helena“ macht eine Episode im „Faust“. Sie ist aber so abgeschlossen für sich, daß sie jetzt allein gedruckt werden wird. Sie beruht auf der Legende, daß Faust die Helena verlangte, der Teufel sie ihm herbeischaffte und beide einen Sohn miteinander zeugten. Das ganze Stück, das Goethe selbst eine Phantasmagorie betitelt, spielt also mit Gespenstern, geistigen und traumhaften Gebilden, und so, als eine Traumgestalt, muß man es betrachten, um es richtig zu beurteilen. In den ersten Szenen sieht man ihm das aber nicht an. Vielmehr ist es da wie ein wirkliches Drama mit leibhaften Figuren, ungefähr wie die Gespenstergeschichten, die man hat, wo Leute glauben, mit Menschen zu sprechen, und dann Gespenster sehen. Das Hauptmoyen im ganzen Stück ist wieder 307Mephistopheles, der aber in der Gestalt eines weiblichen, fabelhaften antiken Ungeheuers, der Phorkyas, die als von Menelaos zurückgelassene Schafferin auftritt, spielt. Nur nach dem Stück legt er die Maske ab und erscheint, aber ohne mehr zu sprechen, als Mephistopheles.

Das Stück fängt damit an, daß Helena mit dem Menelaos zurückkehrt, aber vorausgeschickt wird, den Palast leer findet, nur die Phorkyas antrifft, die ihr ankündigt, daß Menelaos sie opfern wird. Von da zieht sie, um sich zu retten, in Fausts Burg, die im Peloponnes ist, und hier und in einem arkadischen Waldgebirge spielt nun das Stück aus.

Das Sonderbarste, und was man an sich nicht raten würde, ist, daß Faust und Helenas Sohn Lord Byron ist, der als wilder Knabe herankommt, vor den Augen der Zuschauer zum Jüngling heran wächst, und endlich, weil er im Griechenkriege überkühne Flüge machen will, wie Icarus versengt auf den Boden fällt. Genannt ist er nicht, auch so wenig bezeichnet, daß wenigstens ich ihn nicht erraten habe, aber wenn man weiß, daß er gemeint ist, so paßt alles und wunderschön auf ihn. Von dem Ende der „Helena“ an ist der „Faust“ jetzt, wie mir Goethe sagt, so gut als fertig. ] Ich muß auf die „Helena“ ein andermal zurückkommen, heute habe ich nicht Zeit.

Den 27.

Ich kann heute nur ein paar Worte hinzufügen. Der Ball gestern dauerte bis 3 Uhr. Der Prinz geht morgen früh ab, und ich werde einem seiner Begleiter diesen Brief mitgeben. Ich bleibe bis zum 2. früh hier. Es wäre nicht höflich, die Neujahrscour nicht hier mitzumachen. Den 2. fahre ich nach Rudolstadt und komme am 4. zurück, aber bloß um hier durchzufahren. Bis zum 4. trifft mich also ein Brief hier, bis zum 6. bei Ilgens, dann in Burgörner.

308

Goethen habe ich nicht abschlagen können, mich für ihn zeichnen zu lassen. Ich fahre alle Tage mit ihm im offenen Wagen spazieren, ganz gegen meine Sitte. Doch bin ich wohl. Verzeih, süßes Herz, daß ich nun also später zurückkomme. Ich habe bei dieser Reise eigene Gedanken und sehe sie als die letzte an, die ich so mache. Wir kommen wohl einmal im Sommer hierher.

Ewig Dein H.