XCV

*)*) Das Folgende ist meine erwähnte Aufzeichnung nach Laroches mündlichen Mittheilungen. Sie ist niedergeschrieben und auch in der ersten Auflage erschienen bei Laroches Leben. Ich lasse diesen Text, in dem von ihm daher als von einem Lebenden gesprochen wird, unverändert. [ Biedermann-Herwig Nr. 6273: Es war im Winter vom Jahre 1828 auf 1829 – vermuthlich noch 1828 vor 12. December – als der Kanzler von Müller mit den Freunden Riemer, Eckermann und Laroche einen Besuch bei Goethe machte. Goethes Sohn August hatte sich ihnen gleichfalls angeschlossen.

Sie kamen mit der Mittheilung, daß sie eine Faustaufführung auf der Weimarer Bühne beschlossen hätten.

Es war dieß bisher noch von keiner Bühne versucht worden. In Braunschweig beabsichtigte man unter der Direction Klingemanns, der selbst ein volksbeliebtes Spectakelstück Faust auf die Bühne gebracht hatte, auf den Wunsch des Herzogs Karl, eine Darstellung und kam damit auch den 18. Januar 1829 Weimar zuvor.

Bald darauf hieß es Tieck in Dresden wolle hinter Braunschweig nicht zurückbleiben, sowie denn auch wirklich den 27. August 1829 daselbst eine Faustaufführung stattfand, der eine andre in Leipzig den 28. August auf dem Fuße folgte.

Sehr möglich, daß das Gerücht von der beabsichtigten Darstellung in Braunschweig auch in Weimar den Gedanken anregte.

Man war nun natürlich sehr gespannt, wie Goethe die Mittheilung dieses Vorhabens aufnehmen werde?

Herr von Müller brachte die Sache ruhig vor, wobei er aber, wie erwähnt, unter anderm sich des Ausdrucks bedient zu haben scheint „man habe beschlossen –“. Darüber fuhr Goethe auf wie von einer Bremse gestochen.

„Glaubt man denn daß ich, wenn ich gewollt hätte, nicht selbst den Faust auf die Bühne bringen konnte? – Ist es billig, über meine Werke zu verfügen, ohne zu fragen, was ich selbst damit vorhabe? – Bin ich denn nicht mehr am Leben? – Beschlossen hat man? Man hat demnach beschlossen ohne mich auch nur zu fragen!“

Voll Majestät in seinem Zorn ging er bei diesen Worten XCVIim Zimmer auf und ab. Die Freunde befanden sich in der peinlichsten Lage.

Es ging damit aber doch den Weg, wie so manches Andre, das anfangs auf seinen Widerspruch stieß und schließlich doch durchgeführt wurde. Goethe machte sich mit dem Gedanken vertraut und äußerte denn endlich eines Tages gegen seine vermittelnde Schwiegertochter Ottilie: „Wenn man denn durchaus den Faust zur Darstellung bringen will, so soll er mindestens nicht so zur Darstellung kommen, wie sie sich ihn etwa denken, sondern so wie ich ihn haben will!“ ]

Dieß muß vor dem 12. December gewesen sein, den wir schon oben als den vermuthlichen Zeitpunkt annahmen, vor dem die Absicht in Weimar auftauchte den Faust zur Aufführung zu bringen.

Um diese Zeit muß sich nämlich der Dichter bereits mit dem Gedanken einer Faustdarstellung befreundet haben und schon mit den Einzelheiten der Ausführung im Geiste beschäftigt gewesen sein, denn er schrieb den 12. December an den Maler Wilhelm Zahn wegen einer Vorrichtung, die bei der Fürst Radziwillschen Aufführung in Berlin 1820 in Verwendung gekommen war. Daß er deshalb gerade jetzt, den 12. December 1828 schrieb, scheint denn doch in Zusammenhang zu stehn mit der Aufführung, die um die Zeit in Weimar beschlossen wurde. – Wir müssen die betreffende Briefstelle mittheilen, da sie für die Darstellung nach Goethes Anordnung wichtig ist. Sie lautet:

„Da Sie gefälligst kleine Aufträge auszuführen sich erboten haben, so wollte ich Sie um Folgendes ersuchen. Fürst Radziwill, welcher verschiedene Privataufführungen einiger Scenen meines Faust begünstigte, ließ die Erscheinung des Geistes in der ersten Scene auf eine phantasmagorische Weise vorstellen, daß nämlich bei verdunkeltem Theater, auf eine im Hintergrund aufgespannte Leinwand, von hinten her ein erst kleinerer, dann sich immer vergrößernder lichter Kopf geworfen wurde, welcher daher sich immer zu nähern und immer weiter hervorzutreten schien. Dieses Kunststück ward offenbar durch eine Art laterna magica hervorgerufen. Könnten Sie baldigst erfahren: wer jenen Apparat verfertigt, ob man einen gleichen erlangen könnte und was man allenfalls dafür entrichten müßte? Das vorzustellende Bild würde man von hier aus dem Künstler zusenden.“

Enslin macht zu diesem Briefe a. a. O. S. 15 die Be XCVIImerkung: „Ein derartiger Apparat kömmt auch bei den jetzigen Faust-Aufführungen in Weimar zur Anwendung. Die Wirkung ist gut; weniger zu loben ist aber, daß die Worte des Erdgeistes durch ein Sprachrohr gesprochen werden.“

[ Biedermann-Herwig Nr. 6681: Laroche erinnert sich, daß bei der ersten Faustdarstellung ein Riesenantlitz fast den ganzen Hintergrund erfüllte und daß diese Darstellung des Erdgeistes dann auch auf die der Wiener Hofburg überging*)*) Im ersten Faustbuche (1587) geht auf die Beschwörung Fausts „ein Feuerstrom eines Mannes hoch auf“, verändert sich dann und „formirte eine Gestalt eines feurigen Manns“, die sich dann in einen grauen Mönch verwandelt. In Widmanns Faustbuch (1599 7. Cap.) sieht Faust einen Schatten bei seinem Ofen hergehn, beschwört ihn, „da ist er hinder den Ofen gangen und (hat) den Kopf als ein Mensch herfür gestecket.“ – Bei der weitern Beschwörung ist die Stube voller Feuerflammen, es zeigt sich ein Menschenkopf mit zottigem Leib. In Pfitzers Faustbuch (1679, 1. Th. 8. Cap.) heißt es, Faust habe den Geist hinter dem Ofen ersehn und habe ihn aufgefordert hervor zu gehn. Als dieß der Geist abschlug, beschwor er ihn „härter“ und darauf ward die Stube in einem Augenblick voller Feuerflammen – – „der Geist hatte zwar einen natürlichen Menschenkopf, aber sein ganzer Leib war gar zottigt“ etc. Ganz ähnlich erzählt der Christl. Meinende (1712): Das Zimmer steht in vollem Feuer, der Geist hat einen Menschenkopf, der Leib aber ist zottig. Goethe hat seine Vorstellung nicht nach dem ersten Faustbuch, dem auch Marlowe folgt, sondern nach den spätern Volksbüchern oder Puppenspielen gebildet.. Die Worte des Erdgeistes wurden aber nach einer Composition Karl Eberweins, wie Laroche erzählt, gesungen**)**) S. oben darüber die Bemerkung S. LXXVII f. .

Nachdem denn Goethe erklärt hatte, daß er gegen eine Faustaufführung nichts weiter einwenden wolle, daß er aber wünsche, daß sie in seinem Sinn vorgenommen werde, ließ er vorerst eine Gesellschaft von Freunden und Mitgliedern der Bühne sich in seinem Hause versammeln, denen er den ganzen ersten Theil vorlas. – Wahrscheinlich doch wol mit den Weglassungen, die bei der Aufführung nothwendig eintreten mußten; denn daß er Alles bis auf den Walpurgisnachtstraum gelesen haben sollte, wird nicht anzunehmen sein.

Laroche rühmt heute noch (1880) den hinreißenden Vortrag des Dichters und den gewaltigen Eindruck, den die Dichtung machte.

XCVIII

Fausts Rolle deklamirte er im Baß eines ältern Mannes bis zu der Stelle, wo er den Verjüngungstrank trinkt in der Hexenküche. –

Von den Worten Fausts an 2246 f.:

Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
Das Frauenbild war gar zu schön!

führte der Dichter die Rolle bis ans Ende durch „in klangvollstem Jünglingstenor“. – Laroche spricht noch mit Begeisterung von der Schönheit und Gewalt der Stimme Goethes. –

Einer andern Einzelheit erinnert er sich noch. –

In der Schülerscene ließ der Dichter nach den Worten des Schülers: „Fast möcht’ ich nun Theologie studiren“, eine Pause eintreten. In derselben zog er, Mephistopheles darstellend, das Haupt ganz in die Schultern ein, indem er hämisch, mit lauerndem Blick und breitem Grinsen erwiederte 1630:

Ich wünschte nicht euch irre zu führen. –

Die Rolle des Mephistopheles studirte er dann dem Schauspieler Laroche so sorgfältig ein, daß dieser zu sagen pflegt: „In der Rolle des Mephistopheles, wie ich sie gebe, ist jede Gebärde, jeder Schritt, jede Grimasse, jedes Wort von Goethe; an der ganzen Rolle ist nicht soviel mein Eigenthum als Platz hat unter dem Nagel!“ – Diese Worte hörte ich fast gleichlautend wiederholt aus dem Munde des verehrten Künstlers.

Laroches Darstellung des Mephistopheles war berühmt.

So kam denn die erste Aufführung des Faust in Weimar zu Stande. Sie fand statt den 29. August 1829. Goethe selbst wohnte der Darstellung nicht bei. Er ließ sich darüber nur von den Seinigen Bericht erstatten.

Jetzt erst verstehn wir die Worte Goethes an Rochlitz in Leipzig, wo die erste Faustaufführung, wie bemerkt, gleichfalls 1829 stattfand und zwar hier den 28. August, an des Dichters 80. Geburtstag.

Rochlitz hatte aus Leipzig darüber an Goethe geschrieben und dieser antwortet ihm den 2. September unter anderm Folgendes: „Es ist wunderlich genug, daß diese seltsame Frucht erst jetzt gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat man ihn gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen und nicht ohne meine Bil XCIXligung der Art und Weise, wie man sich dabei benommen.“ – –

Nach einer weiteren Mittheilung von Rochlitz schreibt er den 29. September unter anderm zurück: „Bei meiner vieljährigen Theaterverwaltung habe ich eine solche oft verlangte, ja dringend geforderte Vorstellung niemals begünstigt und sie auch jetzt hier am Orte nur geschehn lassen.“ – –

Das Vorhaben von 1810 war demnach offenbar nur ein vorübergehender Einfall, auf den er schon ganz vergessen oder, was wahrscheinlicher ist, der nie soweit Festigkeit gewonnen hatte, daß er bis zur „Begünstigung“ einer Aufführung gereift wäre.

Bezeichnend ist daß er auf die Rolle des Mephistopheles so großen Werth legte, daß er sie bis ins Einzelne Laroche einstudirte. – Auf meine schriftliche Frage an Laroche: ob Goethe denn auch mit den Darstellern der andern Rollen sich die Mühe genommen sie ihnen einzustudiren, antwortete mir dieser 9. August 1880 aus Gmunden: „Nachdem Goethe endlich seine Einwilligung zur Aufführung des Faust gegeben, die Scenenfolge und was er melodramatisch wünschte angeführt, hat er sich meines Wissens mit den Darstellern der andern Rollen nicht befaßt, höchstens durch Eckermann einige Winke geben lassen.“ ]

Faust selbst war dem Dichter nicht so gegenständlich wie Mephistopheles, s. oben S. LXIV f.