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[ Biedermann-Herwig Nr. 6689: Den 16. October. „Wenn mich auch,“ äußerte Goethe 189heute zu mir, „keine andere Nation mit Besuchern so belästigt und mitunter auch durch die bloße Neugier langweilt, wie die englische, so muß ich doch auch zugeben und hab’ es ja schon selbst oft erfahren, daß kein anderer Landsmann, was splendide Schicklichkeit betrifft, es dem Engländer zuvorthut. Mir hatte vor etwa sechs bis acht Wochen ein mit unserer Literatur sich beschäftigender Engländer eine Uebersetzung meines Faust in zierlicher Reinschrift mit dem Ersuchen zugesendet, mich einer Begutachtung derselben zu unterziehen. Mit höflichster Entschuldigung, daß ein Augenleiden mir es nicht gestatte, Handschriftliches zu lesen, bat ich zu entschuldigen, wenn ich seinem Wunsche in nächster Zeit zu entsprechen nicht im Stande sein würde. – Da erhalte ich nun gestern von dem edlen Lord ein eigens für mich mit splendiden großen Lettern auf Velin gedrucktes Exemplar, mit dem Wunsche, daß es mir möglich sein möge, diese Schrift lesen zu können, ohne dadurch meinen Augen zu schaden. Doktor Vogel, der mich heute beim Lesen dieses großartigen Geschenkes fand, will mir nicht gestatten, vor vier bis fünf Wochen meine noch immer entzündete Netzhaut in Versuchung zu führen. Nun möchte ich aber doch dem edlen Lord über seine Arbeit und die mir bewiesene Aufmerksamkeit einige freundliche Worte sagen, und bitte Sie daher, die Uebersetzung mit sich zu nehmen, und mir, was Sie darin Bemerkenswerthes finden, mitzutheilen und die betreffenden Stellen vorzulesen.“ – Am folgenden Tage fand ich mich zu der mir bestimmten Stunde ein, las zuerst die Zueignung vor, welche Goethe sehr gelungen fand und derselben den Vorzug vor einer, ihm ebenfalls in 190diesen Tagen zugeschickten französischen Uebersetzung (mit lithographirten Illustrationen in Folio) zuerkannte. Als ich ferner mittheilte, wie es mich in hohem Grade befremdet habe, daß die prachtvolle Eröffnungsscene im Himmel in der Uebersetzung fehle, da sie mir doch zum Verständniß der Tragödie von höchster Bedeutung, ja unerläßlich zu sein scheine und außerdem als das Erhabenste und Heiligste, was jemals gedichtet worden sei, bewundert werde, mir auch die Schwierigkeit der Uebertragung ins Englische nicht unüberwindlich erscheine, bemerkte Goethe: „Nicht die Schwierigkeit der Uebersetzung wird den edlen Lord behindert haben, es sind religiöse oder vielmehr hochkirchliche Scrupel, vielleicht nicht seine eigenen, aber die seiner vornehmen Gesellschaft; nirgendwo giebt es so viel Heuchler und Scheinheilige wie in England; zu Shakespeare’s Zeit mag das doch wohl anders gewesen sein.“ – Weiter hatte ich mitzutheilen, daß mir Gretchen’s Lied: „Es war ein König in Thule“ nicht ganz getreu wiedergegeben zu sein schiene. Die Stelle:

„Und als er kam zu sterben,
Zählt’ er seine Städte im Reich,
Ließ alles seinen Erben,
Den Becher nicht zugleich.“

hat Mylord übersetzt:

he called for his confessor
left all to his successor.

[Auf dem Sterbebette ließ er seinen Beichtvater (confessor) rufen, wahrscheinlich nur wegen des Reimes auf „ßuccessor“ (Nachfolger)]. Goethe lachte herzlich: „ließ seinen Beichtvater rufen,“ wiederholte er, „wir wollen dem 191edlen Lord bemerklich machen, daß der König von Thule vor der Sündfluth regierte; Beichtväter gab es damals nicht.“ –

Auch über die französische Uebersetzung Bericht zu erstatten, übertrug er mir, und da gab es denn auch der Curiosa viele. „Die neueren und neuesten Uebersetzer des Faust,“ bemerkte Goethe, „sind, was die Unkunde unserer Sprache betrifft, nicht hinter ihrer geistreichen und berühmten Landsmännin, der Frau von Staël, zurückgeblieben, welche sich doch ein unbestreitbares Verdienst um die deutsche, wie um die französische Nation erworben, indem sie durch ihr Buch. „sur la litérature allemande“ ihren Landsleuten Bekanntschaft mit unseren Leistungen, den Deutschen Anerkennung bei den Franzosen verschafft hat. Wenn man aber einem, mit der französischen und deutschen Sprache vollkommen vertrauten Literaten den Vers der Madame Staël aufgab:

„Ne m’interprète pas mal, charmante créature“

so würde er schwerlich übersetzen, wie er bei mir heißt:

„Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!“

Auch hätte Freund August Wilhelm von Schlegel das lächerliche Mißverständniß beseitigen können, welches dadurch veranlaßt wird, daß Frau von Staël die Worte Gretchens, als sie in der Kirche ohnmächtig niedersinkt und ausruft: „Nachbarin, Euer Fläschchen“ übersetzt: „ma voisine, une goutte,“ als ob Gretchen die Nachbarin um ihre Branntweinflasche anspräche, nicht um das Riechfläschchen.“ ]

Das gab Veranlassung, noch anderer dergleichen be 192lustigender Uebersetzungen zu gedenken: Faust: „Heiße Magister, heiße Doctor gar“ ist übersetzt worden:

„On me nomme Maitre-Docteur Gar.“

Von Gretchen sagt Faust:

„Und wie sie kurz angebunden war,

„Das war nun zum Entzücken gar.“

Hierbei läßt der Uebersetzer das „gar“ unberücksichtigt; allein das „kurz angebunden“ d. h. schnippisch – nimmt er für kurz aufgeschürzt und übersetzt:

„et sa robe courte jusque

„vraiment, c’était à ravir.“ –

Ein Engländer sprach seine Verwunderung darüber aus, daß der Vater in der Romanze „Erlkönig“ so übermäßig besorgt um den Knaben geschildert werde, da er doch mit einer so zahlreichen Familie gesegnet gewesen. Auf die Bemerkung, daß hiervon in dem Gedichte nichts erwähnt werde, recitirte er mit kaum geöffneten Lippen:

„Dem Vater grauset, er reitet geschwind,

„Er hält in den Armen das achtzehnte Kind.“

Man mußte ihm bemerklich machen: es heiße: das ächzende Kind. –

Auch durch Druckfehler sind sehr sinnentstellende Worte dem Dichter angedichtet worden. In einer, und noch dazu Cotta’schen Ausgabe der Werke hat der Setzer die Worte der an die Lieben in der Heimath denkenden Iphigenia:

„Zu den Geliebten schweift der Blick.“

zu verbessern gemeint und gesetzt: zu dem Geliebten u. s. w. Aus irgend einem Nachdrucke und noch dazu in Musik gesetzt, hörte ich singen (im König von Thule):

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„Die Augen gingen ihm über,

„So oft trank er daraus,“

anstatt: so oft er trank daraus.

„Bei alledem,“ bemerkte ich zu Goethe, „darf es uns Deutschen zu großer Genugthuung gereichen, wenn wir sehen, wie das tiefsinnigste Werk der deutschen Dichtkunst (der Faust) wie ein Evangelium durch die ganze Welt seine Völkerwanderung angetreten hat, und wie Dichter und Philosophen der fremden Nationen sich bemühen, in den Geist desselben einzudringen.“ – Mit zustimmendem Kopfnicken äußerte Goethe: „Nun ja, wir sind so etwas deutscher Sauerteig gewesen, das fängt schon an zu gähren, sie mögen es draußen und drüben mit ihrer Masse durchkneten und sich daraus ein Backwerk nach ihrem Geschmack zurechtmachen. Unterdessen werden wir zu Haus uns nach und nach in diesem wunderlichen Labyrinthe zurecht finden lernen.“

Die dem Dichter zuletzt zugesandte französische Uebersetzung war in Folio und mit Lithographieen illustrirt: „Lassen Sie nun einmal die Auffassung eines Franzosen mit der eines Deutschen und zwar eines, wie sich diese Herren zu sein rühmen dürfen, „von echtem Schrot und Korn“ vergleichen. Er bat seinen Hausfreund Schuchart, die Mappe mit Cornelius’ Zeichnungen zum Faust aus dem Schranke zu nehmen, und wir legten die Scenen, welche gleichmäßig von den französischen und deutschen Künstlern gewählt worden waren, neben einander. „Ich sollte wohl,“ äußerte Goethe, „mich hierbei eines Urtheils enthalten, denn dasselbe könnte leicht als captivirt erscheinen durch das sinnig und poetisch concipirte, fleißig und correct ausgeführte Blatt, 194mit welchem der ehrenwerthe Künstler mir sein Werk zugeeignet hat. Nur diese eine Bemerkung will ich mir erlauben, daß in einigen Zeichnungen der Franzos für einen Deutschen, und umgekehrt der Deutsche in einigen seiner Zeichnungen für einen Franzosen gelten könnte. So z. B. sogleich das erste Blatt, wo Beide die Scene illustriren, in welcher Faust dem, aus der Kirche sittsam nach Haus gehenden Gretchen seinen Arm anbietet. Cornelius’ Faust würde weit eher für einen französischen Cavalier der Pariser Bonlevards, als für einen deutschen Doctor der Philosophie gelten können, während wir dem Faust des Franzosen etwa vor dem Münster in Straßburg, zu der Zeit, als es noch zu Deutschland gehörte, zu begegnen meinen.“ – Als einer der Anwesenden hierbei in Anregung brachte, daß der Dichter doch dem so vielfach an ihn gerichteten Ansuchen, seinen Faust für die Darstellung auf der Bühne einzurichten, nachkommen möchte, unterbrach ihn Goethe mit der sehr bestimmt ausgesprochenen Erwiderung, daß er hierzu nie rathen und noch weniger seine Hand dazu bieten werde. „Von meinem lieben Freunde Zelter,“ sagte Goethe, „habe ich ausführliche und befriedigende Nachrichten über die Compositionen des Fürsten Radziwill und über die Proben und ersten Versuche, später auch über die gelungenen Aufführungen in Euren königlichen Schlössern und fürstlichen Palästen erhalten, die mich wohl verlocken könnten, indessen wollen wir es noch weiter bedenken.“