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542. An Henrietten.

Jena, den 15. Mai 1811.

– Ich erhole mich meist nur durch Lektüren. Vor kurzem las ich Fox’ „Geschichte Jakobs II.“, ein treffliches Werk, das leider nicht vollendet ist. Nur solche Männer, von solchem politischen Geist und Erfahrung, sollten Geschichte schreiben. Welcher scharfe Geist und doch zugleich welche hohe Mäßigung in allen seinen Urtheilen! Dies ist ein hoher Richterstuhl für die Könige und ihre Diener des Staates. – Noch ist zu bemerken, daß dieser große Staatsmann, der stundenlang im Parlament mit der größten Beredtsamkeit sprach, so unendlich furchtsam im Schreiben war. Er hat das wenige, was er schrieb, immer wieder, oft und aufs neue durchgesehen und war fast niemals mit sich selbst zufrieden. Dies macht, daß wir so weniges von ihm haben. – Sein historischer Stil ist von der höchsten Simplizität.

Nun hat mir Goethe, der vorgestern von hier nach dem Karlsbad abgereist ist, seine „biographische Skizze von Philipp Hackert“ hinterlassen. Ich möchte daran fast dasselbe loben, was ich eben an Fox gelobt habe. Freilich ist es in einer andern Art, doch das Ganze äußerst angenehm und interessant. – Goethe hat mir viel Gutes für 542die ganze liebe mecklenburger Kolonie aufgetragen. Er reiste dießmal etwas früher des schönen Wetters wegen, und hofft auch früher, in der Mitte Julius, wieder zurückzukommen. [ Gräf Nr. 1128: Noch sagte er mir, er habe die 6 schönen Zeichnungen des ratzeburger Nauwercks zurückbehalten, und zwar aus Spekulation für den Künstler. Dieser verlange für das Stück 25 Thaler sächsisch, also für alle zusammen 150 Thaler. Vielleicht möge es unsrer Prinzeß einmal anständig sein, sie zu nehmen. Mit der Bezahlung habe es noch Zeit. ]

Von Deinen dermaligen Landsleuten, die hier studiren, möchte ich Dir gerne viel Gutes schreiben können, ich kann es aber nicht mit gutem Gewissen thun. Es ist eine ziemliche Anzahl derselben hier, die schon von Heidelberg ihres übeln Betragens wegen sind verjagt worden. Hier haben sie es diesen letzten Winter über nicht besser angefangen, sondern sich durch Ungezogenheiten aller Art ausgezeichnet, besonders durch ein rohes, brutales Wesen, weshalb man sehr mit ihnen unzufrieden ist und neuerlich scharfe Edikte hat müssen ausgehen lassen. Ob einige darunter doch etwas lernen mögen, das weiß ich nicht und habe mich noch nicht danach erkundigen mögen. Man kann sich mit solchen jungen Menschen nicht kompromittiren, die zum Theil von einer insultirenden Grobheit sind. Hier möchte nun das Geld, das Dein großer Hofmarschall für das einzige Hülfsmittel ansieht, nicht ganz zureichen, und etwas Sitten, gesunde Vernunft, bessere Bildung und Erziehung möchten wohl nöthigere Dinge sein. Ich kann nicht läugnen, daß mir einige Bursche dem Aeußern nach nicht übel gefallen haben – aber was kann man mit diesen rohen Menschen anfangen? Sie unterscheiden sich zwar der Kleidung nach und durch etwas mehr Aufwand von den übrigen; aber hier ist abermals die Wirkung des großen Geldes nicht die ersprießlichste, und hilft nur zur übrigen Roheit. –

Den 16. Mai früh. –

Hebe Dich, Herz! Noch flammet Dir hoch am Himmel die Sonne,
Noch entzünden sich die Sterne der ewigen Nacht.
Immer träufelt doch nicht von hangender Wolke der Regen,
Wild entstellend die Flur, schwemmend die Saaten hinweg.
Nicht stets schmiedet sein starrendes Eis der frostige Winter,
Und bedecket das Land mit einem Schilde von Erz
Alles wechselt; es steigt das Rad der Dinge zur Höhe
Hier und senket sich dort wieder zum Boden hinab.
Kein Band bindet den ehernen Fels, daß nicht er zuletzt noch
Hinstürzt; jegliches Ding suchet sein eigenes Grab.
Siehe, schon hauchet ein früherer Lenz den Busen der Erd’ auf,
Bildet zu neuer Gestalt ihren belebenden Saft.
Flora wandelt mit fröhlichem Schritt durch Auen und Fluren
Und besäet das Feld mit ihrem blumigen Reiz.

Erlaube, daß ich Dich mit diesen Zeilen an diesem Morgen begrüße. Wir haben ungemein fruchtbares Wetter. Gestern und heute regnet es wieder ein wenig, und alle Bäume und Gebüsche kleiden sich mit üppigem Grün. So wird es denn auch bei euch sehr hübsch sein. –