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35/100. An Carl Friedrich Zelter

Der empfohlene Rellstab hält sich noch in Weimar auf, um sich zum Heidelberger akademischen Leben 139 vorzubereiten. Meine Kinder haben ihn freundlich aufgenommen und die Weibchen ihn bey dilettantischen Exhibitionen freundlich und nützlich gefunden. Gestern erst brachten sie die mir bestimmten Exemplare, an welchen freylich Herr Nägeli keine typographische Kunst und der Porträtiste wenig Sinn für Gestalt und Charakter bewiesen hat.

Daß ich von deinen guten Absichten auch etwas durch's Ohr vernehme, dazu macht Eberwein Anstalt. Wenn ich aber im Chorgesang: Dichten ist ein Übermuth den Autor gegen deine Emendationen wieder herstelle, ohne dem musicalischen Rhythmus Eintrag zu thun, wirst du's wohl verzeihen. Dem Dichter ist wunderlich zu Muthe, wenn er erfährt, daß man ihm mitspielt wie dem alten Herrn vor drittehalb tausend Jahren.

Das gute Wort, das du über den Prolog sagst, erfreut mich sehr; es trifft mit allem zusammen, was ich gehört habe und noch höre. Gar sehr dient es zu meiner Beruhigung, daß ich, in der stillsten Clause, so weit vom lebendigsten Leben entfernt, das zu produciren wußte, was dort, in einem höchst bedeutenden Momente schicklich und erfreulich war. Ich hoffe, man wird nach und nach das Gelegenheitsgedicht ehren lernen, an dem die Unwissenden, die sich einbilden, es gäbe ein unabhängiges Gedicht, noch immer nirgeln und nisseln. Unter den zahmen Xenien wirst du künftig finden:

140 Willst du dich als Dichter beweisen,

Mußt du nicht Helden noch Hirten preisen;

Hier ist Rhodus! Tanze du Wicht!

Und der Gelegenheit schaff ein Gedicht!

Dieses erlasse gegenwärtig, mein Theuerster, am 14. October in Jena, an demselben Puncte wo vor soviel Jahren alles zusammen nur Ein Untergang war; heute dagegen, als am Sonntage, ist es hier außen so stille, daß, wenn nicht zu einer Staatstaufe die Gevattern und andere Zeugen zusammengefahren würden, man die Räume für ausgestorben halten sollte. Indessen grünen die alten Linden noch ganz herrlich, welche jenem Schlachtgetümmel und Bränden ruhig zusahen, und ich schleiche noch manchmal aus meiner unscheinbarsten Hütte in den botanischen Garten, wo ich freylich deine schöne Schülerin vermisse; du kannst sie immer wieder einmal von mir grüßen.

Daß sich Bouchér und Frau so gut halten, freut mich; denn es ist Naturell hinter großem Fleiß und Übung. Was du von der Menschenstimme sagst, hat ganz meinen Beyfall. Als ich die Catalani in Carlsbad hörte, sagte ich ganz eigentlichst aus dem Stegreife:

Im Zimmer wie im hohen Saal,

Hört man sich nimmer satt,

Und man erfährt zum erstenmal

Warum man Ohren hat.

Möchtest du mir gelegentlich kurz und gut, nach beliebter und belobter Weise, die eigentlichen Gravamina gegen die innere Einrichtung des neuen Berliner Theaters mittheilen; so wär' ich in Klarheit über einen Zustand an dem ich Theil nehme.

Ein Exemplar der Wanderjahre folgt nächstens. [ Gräf Nr. 1227: Begegnest du einem Carl Ernst Schubarth, von Breslau, so sey ihm freundlich in meine Seele; er hat über meinen Faust geschrieben ] und gibt jetzt heraus: Ideen über Homer und sein Zeitalter; ein Büchlein, das ich höchlich loben kann, weil es uns in guten Humor versetzt. Die Zerreißenden werden nicht damit zufrieden seyn, weil es versöhnt und einet.

treulichst

Jena den 14. October 1821.

G.