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Oeuvres dramatiques de Goethe, traduites de l'allemand; précédées d'une Notice biographique et litéraire. 4 voll. in 8.

In dem Augenblick, da der deutschen Nation die Frage vorgelegt wird, in wie fern sie eine Sammlung von Goethe's vieljährigen literarischen Arbeiten günstig aufnehmen wolle, muß es angenehm sein zu erfahren, wie sich seine Bemühungen einer Nachbarnation darstellen, welche von jeher nur im Allgemeinen an deutschem Bestreben Theil genommen, Weniges davon gekannt, das Wenigste gebilligt hat.

Nun dürfen wir nicht läugnen, daß wir Deutsche gerade wegen dieses eigensinnigen Ablehnens auch gegen sie eine entschiedene Abneigung empfunden, daß wir uns um ihr Urtheil wenig bekümmert und sie gegenseitig nicht zum günstigsten beurtheilt haben. Merkwürdig jedoch mußte es uns in der neusten Zeit werden, wenn dasjenige, was wir an uns selbst schätzten, auch von ihnen anfing geschätzt zu werden, und zwar nicht wie bisher von einzelnen, besonders gewogenen 178 Personen, sondern in einem sich immer weiter ausbreitenden Kreise. Woher diese Wirkung sich schreibe, verdient gelegentlich eine besondere nähere Untersuchung und Betrachtung. Hier werde nur der bedeutende Umstand hervorgehoben, daß Franzosen sich entschieden überzeugten: bei dem Deutschen walte ein redlicher Ernst ob, er gehe bei seinen Productionen mit dem besten Willen zu Werke, eine tüchtige und zugleich ausdauernde Energie könne man ihm nicht abläugnen; und nun mußte freilich aus einer solchen Übersicht unmittelbar der reine richtige Begriff entspringen, daß man eine jede Nation, sodann aber auch die bedeutenden Arbeiten eines jeden Individuums derselben aus und an ihnen selbst zu erkennen, auch, was noch mehr ist, nach ihnen selbst zu beurtheilen habe. Und so darf uns denn in weltbürgerlichem Sinne wohl freuen, daß ein durch so viel Prüfungs- und Läuterungsepochen durchgegangenes Volk sich nach frischen Quellen umsieht, um sich zu erquicken, zu stärken, herzustellen, und sich deßhalb mehr als jemals nach außen, zwar nicht zu einem vollendeten anerkannten, sondern zu einem lebendigen, selbst noch im Streben und Streiten begriffenen Nachbarvolke hinwendet.

Aber nicht allein auf den Deutschen richten sie ihre Aufmerksamkeit, sondern auch auf den Engländer, den Italiäner; und wenn sie Schillers Cabale und Liebe in drei Nach- und Umbildungen gleichzeitig 179 auf drei Theatern günstig aufnehmen, wenn sie Musäus Mährchen übersetzen, so sind Lord Byron, Walter Scott und Cooper bei ihnen gleichfalls einheimisch, und sie wissen die Verdienste Manzoni's nach Gebühr zu würdigen.

Ja wenn man genau auf den Gang, den sie nehmen, Acht gibt, so möchte die Zeit herannahen, wo sie uns Deutsche an gründlich freisinniger Kritik zu übertreffen auf den Weg gelangen. Möge sich dieß ein jeder, den es angeht, gesagt sein lassen. Wir wenigstens beobachten genau, was sie auf ihrem hohen, nicht längst erreichten Standpuncte Günstiges oder Ungünstiges über uns und andere Nachbarnationen aussprechen. Dieß sei hinreichend, um eine Recension der obengenannten Übersetzung anzukündigen, die wir in abkürzendem Auszug hiermit einführen wollen. Zu lesen ist sie Globe, 1826, Nr. 55. 64.

Der Referent fängt damit an, daß er die frühern und spätern Wirkungen Werthers in Frankreich charakteristisch bezeichnet, sodann aber die Ursachen bemerkt und ausspricht, warum seit so vielen Jahren von meinen übrigen Arbeiten nur wenige Kenntniß dorthin gekommen.

"An der Langsamkeit, mit welcher Goethe's Ruf sich bei uns verbreitete, ist größtentheils die vorzüglichste Eigenschaft seines Geistes Schuld, die Originalität. Alles was höchst original ist, d. h. stark gestempelt von dem Charakter eines besondern Mannes 180 oder einer Nation, daran wird man schwerlich sogleich Geschmack finden, und die Originalität ist das vorspringende Verdienst dieses Dichters; ja man kann sagen, daß in seiner Unabhängigkeit er diese Eigenschaft, ohne die es kein Genie gibt, bis zum Übermaß treibe. Sodann bedarf es immer einer gewissen Anstrengung, um uns aus unsern Gewohnheiten herauszufinden und das Schöne zu genießen, wenn es unter neuer Gestalt vor uns tritt. Aber bei Goethe ist es nicht mit Einem Anlauf gethan, man muß es für ein jedes seiner Werke erneuern, denn alle sind in einem verschiedenen Geist verfaßt. Wenn man von einem zum andern geht, so tritt man jedesmal in eine neue Welt ein. Solch eine fruchtbare Mannichfaltigkeit kann freilich faule Imaginationen erschrecken, ausschließenden Lehrweisen ein Ärgerniß geben; aber diese Mannichfaltigkeit des Talents ist ein Zauber für Geister, die sich genug erhoben um es zu begreifen, kräftig genug sind ihm zu folgen.

Es gibt Menschen, deren stark ausgesprochener Charakter uns anfangs in Erstaunen setzt, ja abstößt; hat man sich aber ihrer Art und Weise befreundet, so schließt man ihnen sich an gerade um der Eigenschaften willen, die uns erst entfernten. So sind die Werke unseres Dichters; sie gewinnen, wenn man sie kennt, und um sie zu kennen, muß man sich die Mühe geben, sie zu studiren; denn oft verbirgt die Seltsamkeit der Form den tiefen Sinn der Idee. Genug, 181 alle andern Dichter haben einen einförmigen Gang, leicht zu erkennen und zu befolgen; aber er ist immer so unterschieden von den andern und von sich selbst, man erräth oft so wenig wo er hinaus will, er verrückt dergestalt den gewöhnlichen Gang der Kritik, ja sogar der Bewunderung, daß man, um ihn ganz zu genießen, eben so wenig literarische Vorurtheile haben muß als er selbst, und vielleicht fände man eben so schwer einen Leser, der davon völlig frei wäre, als einen Poeten, der wie er sie alle unter die Füße getreten hätte.

Man darf sich also nicht verwundern, daß er noch nicht popular in Frankreich ist, wo man die Mühe fürchtet und das Studium, wo jeder sich beeilt, über das zu spotten, was er nicht begreift, aus Furcht, ein anderer möge vor ihm darüber spotten, in einem Publicum, wo man nur bewundert, wenn man nicht mehr ausweichen kann. Aber endlich fällt es uns doch einmal gelegentlich ein, daß es leichter ist, ein Werk zu verbannen, weil es nicht für uns gemacht war, als einzusehen, warum es andere schön finden. Man begreift, daß vielleicht mehr Geist nöthig ist, um den Werth einer fremden Literatur zu schätzen, als zu bemerken, daß sie fremd ist, und das für Fehler zu halten, was sie von der unsrigen unterscheidet. Man sieht ein, daß man sich selbst verkürzt, wenn man neue Genüsse der Einbildungskraft verschmäht um des traurigen Vergnügens der Mittelmäßigkeit 182 willen, der Unfähigkeit zu genießen, der Eitelkeit nicht zu verstehen, des Stolzes nicht genießen zu wollen.

Als Goethe seine Laufbahn antrat, war die Literatur in Deutschland in einem Zustande wie ungefähr jetzt in Frankreich. Man war müde dessen, was man hatte, und wußte nicht, was an dessen Stelle zu setzen wäre, man ahmte wechselsweise die Franzosen, die Engländer, die Alten nach, man machte Theorien auf Theorien in Erwartung von Meisterstücken. Die Verfasser dieser Lehrgebäude rühmten die künftigen Resultate ihrer Sätze und bestritten die Hoffnungen entgegenstehender Doctrinen mit einer Lebhaftigkeit, welche an den Zorn der beiden Brüder in Tausend und einer Nacht erinnert, die sich eines Tags im Gespräch über ihre Kinder verfeindeten, die noch geboren werden sollten.

Goethe, welchen dieser Streit der Meinungen einen Augenblick von der Poesie abgewendet hatte, ward bald durch einen herrischen Beruf wieder zurückgeführt; und sogleich beschloß er, den Stoff seiner Productionen in sich selbst zu suchen, in dem was ihm Gefühl oder Nachdenken darreichte; er wollte nichts mahlen als was er gesehen oder gefühlt hatte, und so fing für ihn die Gewöhnung an, woran er sein ganzes Leben hielt: als Bild oder Drama dasjenige zu realisiren, was ihn erfreut, geschmerzt, beschäftigt hatte. Und so gedachte er, seiner Art, die äußern Gegenstände zu betrachten, eine Bestimmtheit zu geben und seine innerlichen Bewegungen zu beschwichtigen. Dieses bezeugt er uns selbst, und sein ganzes literarisches Leben ist in jenen merkwürdigen Zeilen zusammengefaßt. Lies't man ihn, so muß man von dem Gedanken ausgehen, daß ein jedes seiner Werke auf einen gewissen Zustand seiner Seele oder seines Geistes Bezug habe: man muß darin die Geschichte der Gefühle suchen wie der Ereignisse, die sein Dasein ausfüllten. Also betrachtet, geben sie ein doppeltes Interesse, und dasjenige, was man für den Dichter empfindet, ist nicht das geringste. Und wirklich, was sollte man interessanter finden, als einen Menschen zu sehen, begabt mit reiner Emfindungsfähigkeit, einer mächtigen Einbildungskraft, einem tiefen Nachdenken, der sich mit voller Freiheit dieser hohen Eigenschaften bedient, unabhängig von allen Formen, durch das Übergewicht seines Geistes die eine nach der andern brauchend, um ihnen den Stempel seiner Seele aufzuprägen! Welch ein Schauspiel, einen kühnen Geist zu sehen, nur auf sich selbst gestützt, nur seinen eigenen Eingebungen gehorchend! Gibt es wohl etwas Belehrenderes als sein Bestreben, seine Fortschritte, seine Verirrungen? Aus diesem Gesichtspunct verdient unser Dichter betrachtet zu werden, und so werden wir ihn in diesen Blättern beschauen, bedauernd, daß ihr Zweck unsre Studien über ihn nur auf seine Theaterstücke beschränkt hat 184 und daß die Gränzen eines Journals uns nöthigen, sein Leben nur oberflächlich zu skizziren."

[ Gräf Nr. 1380: Hier betrachtet nun der wohlwollende Recensent das körperliche und sittliche Mißgeschick und die daraus entstandene Hypochondrie eines jungen Mannes, die sich hart und niedrig in den Mitschuldigen, edler und freier im Werther, tiefer aber, bedeutender und weitausgreifender im Faust manifestirt:

"Die Unbilden, welche der ersten Liebe des Dichters folgten, hatten ihn in düstere Niedergeschlagenheit geworfen, welche noch durch eine epidemische Melancholie vermehrt ward, damals unter der deutschen Jugend durch Verbreitung Shakespeare's veranlaßt. Eine schwere Krankheit trat noch zu dieser verdrießlichen Sinnesart hinzu, woraus sie vielleicht entstanden war. Der Jüngling verbrachte mehrere Jahre in solchen Leiden, wie die ersten Fehlrechnungen des Lebens, die Schwankungen einer Seele, die sich selbst sucht, gar oft einer glühenden Einbildungskraft zu fühlen geben, ehe sie für ihre Thätigkeit den Zweck gefunden hat, der ihr gemäß ist. Bald aufgeregt, bald entmuthigt, vom Mysticismus sich zum Zweifel wendend, wandelbar in seinen Studien, seine Neigungen selbst zerstörend, gereizt durch die Gesellschaft, erdrückt durch die Einsamkeit, weder Energie fühlend zu leben noch zu sterben: so war er in eine schwarze Traurigkeit gefallen, einen schmerzlichen Zustand, aus dem er sich erst durch die Darstellung des Werther 185 befreite, und der ihm den ersten Gedanken an Faust eingab.

Aber indessen das wirkliche Leben, wie es die gegenwärtige Societät bestimmt und geordnet hat, ihn durch sein ganzes Gewicht erdrückte, freute sich seine Einbildungskraft, in jene Zeiten freier Thätigkeit zu flüchten, wo der Zweck des Daseins klar vorlag, das Leben stark und einfach. Es schien dem melancholischen entmuthigten Jüngling, daß er bequemer unter dem Harnisch des Kriegsmannes gelebt hätte, besser in der festen Burg des Ritters; er träumte sich das alte Deutschland mit seinen eisernen Männern und rohen, freisinnigen, abenteuerlichen Sitten. Der Anblick gothischer Gebäude, besonders des Doms zu Straßburg, belebte nun völlig für ihn jenes Zeitalter, das er vermißte. Die Geschichte, welche der Herr /von Berlichingen/ mit eigner Hand schrieb, bot ihm das Muster, das er suchte, und gewährte ihm den Grund seiner Dichtung. Und so entstand in seinem Kopfe das Werk, das Deutschland mit Entzücken aufnahm und für ein Familienbild erkannte.

Götz von Berlichingen ist ein Gemählde oder vielmehr eine weitgreifende Skizze des sechzehnten Jahrhunderts; denn der Dichter, welcher erst die Absicht hatte es auszubilden und in Verse zu bringen, entschied sich, solches in dem Zustand, wie wir es besitzen, herauszugeben. Aber jeder Zug ist so richtig und fest, alles ist mit so großer Sicherheit und Kühnheit 186 angedeutet, daß man glaubt, einen der Entwürfe des Michel Angelo zu sehen, wo einige Meißelhiebe dem Künstler zureichten, um seinen ganzen Gedanken auszudrücken. Denn wer genau hinsehen will, findet, daß im Götz kein Wort sei, das nicht treffe; alles geht auf die Hauptwirkung los, alles trägt dazu bei, die große Gestalt des hinsterbenden Mittelalters zu zeigen. Denn man kann sagen: das Mittelalter sei eigentlich der Held dieses wunderlichen Dramas, man sieht es leben und handeln, und dafür interessirt man sich. Das Mittelalter athmet ganz und gar in diesem Götz mit der eisernen Hand; hier ist die Kraft, die Rechtlichkeit, die Unabhängigkeit dieser Epoche, sie spricht durch den Mund dieses Individuums, vertheidigt sich durch seinen Arm, unterliegt und stirbt mit ihm."

Nachdem der Recensent den Clavigo beseitigt und mit möglichster Artigkeit das Schlimmste von Stella gesagt hat, gelangt er zu der Epoche, wo der Dichter, in die Welt, in's Geschäft eintretend, eine Zeitlang von aller Production abgehalten, in einem gewissen mittlern Übergangszustand verweilt, im geselligen Umgang die düstere Rauhheit seiner Jugend verliert und sich unbewußt zu einer zweiten Darstellungsweise vorbereitet, welche der wohlwollende Referent mit eben so viel Ausführlichkeit als Geneigtheit in der Folge behandelt. "Eine Reise nach Italien konnte kein gleichgültiges Ereigniß in dem Leben des Dichters bleiben. Aus einer 187 Atmosphäre, die schwer und trüb gewissermaßen auf ihm lastete, wie sie einen kleinen deutschen Cirkel umwölken mag, unter den glücklichen Himmel von Rom, Neapel, Palermo versetzt, empfand er die ganze poetische Energie seiner ersten Jahre. Den Stürmen entronnen, die seine Seele verwirrten, entwichen dem Kreis, der sie zu verengen strebte, fühlte er sich zum erstenmal im Besitz aller seiner Kräfte und hatte seitdem an Ausdehnung und Heiterkeit nichts mehr zu gewinnen. Von dem Augenblicke an ist er nicht bloß entwerfend, und wollte man auch seine Conceptionen nicht alle in gleichem Grade glücklich nennen, so wird doch die Ausführung, wonach man vielleicht in der Poesie wie in der Mahlerei den Künstler am sichersten mißt, stets für vollkommen zu halten sein.

Nach dem Bekenntniß aller Deutschen findet sich dieses Verdienst im höchsten Grade in zwei Stücken, welche sich unmittelbar auf diese Epoche seiner Laufbahn beziehen, in Tasso nämlich und Iphigenien. Diese beiden Stücke sind das Resultat einer Vereinigung des Gefühls der äußern Schönheit, wie man sie in der mittägigen Natur und den Denkmalen des Alterthums findet, von einer Seite, und von der andern des Zartesten und Allerfeinsten, was in dem Geiste des deutschen Dichters sich entwickeln mochte. So wird im Tasso ein geistreicher Dialog angewendet in Schattirungen, wie Plato und Euripides pflegen, eine Reihe von Ideen und Gefühlen auszudrücken, die 188 vielleicht unserm Dichter allein angehören. Die Charaktere der Personen, ihre ideelle Beziehung, der Typus den eine jede darstellt, man fühlt, daß er dieß nicht allein in der Geschichte von Ferrara gefunden hat; man erkennt die Erinnerungen, die er von Hause mitbrachte, um sie in den poetischen Zeiten des Mittelalters und unter dem sanften Himmel von Italien zu verschönern. Mir scheint die Rolle des Tasso gänzlich bestimmt zu einer bewundernswürdigen Nachbildung der Verwirrungen einer Einbildungskraft, die, sich selbst zum Raube gegeben, an einem Worte sich entflammt, entmuthigt, verzweifelt, an einer Erinnerung festhält, sich für einen Traum entzückt, eine Begebenheit aus jeder Aufregung macht, eine Marter aus jeder Unruhe; genug, welche leidet, genießt, lebt in einer fremden unwirklichen Welt, die aber auch ihre Stürme hat, ihre Freuden und Traurigkeiten. Eben so zeigt sich Jean Jacques in seinen Reverien, und so hatte der Dichter sich lange gefunden, und mir scheint, er selbst spricht aus dem Munde des Tasso, und durch diese harmonische Poesie hört man den Werther durch.

Iphigenie ist die Schwester des Tasso; diese beiden haben eine Familienähnlichkeit, die sich leicht erklärt, wenn man weiß, daß sie beide zu gleicher Zeit geschrieben sind und zwar unter dem Einfluß des italiänischen Himmels. Da er aber in Iphigenien statt der Stürme eines kleinen Hofes die majestätischen 189 Erinnerungen der Familie des Tantalus zu schildern hatte und anstatt der Qualen und des Wahnsinns der Einbildungskraft das Schicksal und die Furien, hat er sich zu einer größern poetischen Höhe erhoben. In diesem Werk, welches die Deutschen und der Autor selbst für das vollendetste seiner dramatischen Compositionen halten, verhüllen sich ohne Widerrede die Gefühle einer völlig christlichen Zartheit und einer ganz modernen Fortbildung unter Formen, dem Alterthum entnommen; aber es wäre unmöglich, diese verschiedenen Elemente harmonischer zu verbinden. Es sind nicht nur die äußern Formen der griechischen Tragödie mit Kunst nachgeahmt, der Geist der antiken Bildkunst in durchaus gleichem Leben beseelt und begleitet mit ruhiger Schönheit die Vorstellungen des Dichters. Diese Conceptionen gehören ihm und nicht dem Sophokles, das bekenne ich; aber ich könnte ihn nicht ernsthaft darüber tadeln, daß er sich treu geblieben. Und was haben denn Fenelon und Racine gethan? Wohl ist der Charakter des Alterthums in ihren Werken genugsam eingedrückt, aber hat auch der eine dort die Eifersucht der Phädra gefunden, der andere die evangelische Moral, welche durch den ganzen Telemach durchgeht? Unser Dichter nun hat wie sie gehandelt, es war keineswegs in seiner Art, sich völlig in der Nachahmung eines Modells zu vergessen; er hat von der antiken Muse sich eindringliche Accente zugeeignet, 190 aber um den Grundsinn seiner Gesänge ihm einzuflößen, waren zwei lebendige Musen unentbehrlich: seine Seele und seine Zeit.

Egmont scheint mir der Gipfel der theatralischen Laufbahn unsers Dichters; es ist nicht mehr das historische Drama wie Götz, es ist nicht mehr die antike Tragödie wie Iphigenie, es ist die wahrhaft neuere Tragödie, ein Gemählde der Lebensscenen, das mit der Wahrheit des erstern das Einfach-Grandiose der zweiten verbindet. In diesem Werke, geschrieben in der Kraft der Jahre und der Fülle des Talents, hat er vielleicht mehr als irgendwo das Ideal des menschlichen Lebens dargestellt, wie ihm solches aufzufassen gefallen hat. Egmont, glücklich, heiter, verliebt ohne entschiedene Leidenschaft, der Süßigkeit des Daseins edel genießend, mit Lebenslust dem Tode entgegengehend: dieß ist Egmont, der Held des Dichters.

Nun gibt es aber ein Werk unsres Dichters, nicht nur keinem sonst vorhandenen vergleichbar, sondern auch abgesondert von seinen eigenen zu betrachten. Es ist der Faust, die seltsame tiefe Schöpfung, das wunderliche Drama, in welchem die Wesen jedes Ranges vortreten: vom Gott des Himmels bis zu den Geistern der Finsterniß, von dem Menschen bis zum Thiere und tiefer bis zu jenen ungestalteten Geschöpfen, welche, wie Shakespeare's Caliban, nur der Einbildungskraft des Dichters ihr scheußliches Dasein verdanken konnten. Über dieses sonderbare Werk wäre 191 gar sehr viel zu sagen; man findet der Reihe nach Musterstücke jeder Schreibart: von dem derbsten Possenspiel bis zur erhabensten lyrischen Dichtung; man findet die Schilderungen aller menschlichen Gefühle, von den widerwärtigsten bis zu den zärtlichsten, von den düstersten bis zu den allersüßesten. Indem ich mich aber von dem historischen Standpunct, auf welchen ich mich beschränke, nicht entfernen darf und nur die Person des Dichters in seinen Werken suchen mag, so begnüge ich mich, den Faust als den vollkommensten Ausdruck anzusehen, welchen der Dichter von sich selbst gegeben hat. Ja, dieser Faust, den er in seiner Jugend erfaßte, im reifen Alter vollbrachte, dessen Vorstellung er mit sich durch alle die Aufregungen seines Lebens trug, wie Camoens sein Gedicht durch die Wogen mit sich führte: dieser Faust enthält ihn ganz. Die Leidenschaft des Wissens und die Marter des Zweifels, hatten sie nicht seine jungen Jahre geängstigt? Woher kam ihm der Gedanke, sich in ein übernatürliches Reich zu flüchten, an unsichtbare Mächte sich zu berufen, die ihn eine Zeitlang in die Träume der Illuminaten stürzten und die ihn sogar eine Religion erfinden machten? Diese Ironie des Mephistopheles, der mit der Schwäche und den Begierden des Menschen ein so frevles Spiel treibt, ist dieß nicht die verachtende spottende Seite des Dichtergeistes, ein Hang zum Verdrießlichsein, der sich bis in die frühesten Jahre seines Lebens aufspüren läßt, ein herber 192 Sauerteig, für immer in eine starke Seele durch frühzeitigen Überdruß geworfen? Die Person des Faust besonders, des Mannes, dessen brennendes unermüdetes Herz weder des Glücks ermangeln noch solches genießen kann, der sich unbedingt hingibt und sich mit Mißtrauen beobachtet, der Enthusiasmus der Leidenschaft und die Muthlosigkeit der Verzweiflung verbindet, ist dieß nicht eine beredte Offenbarung des geheimsten und erregtesten Theiles der Seele des Dichters? Und nun, das Bild seines innern Lebens zu vollenden, hat er die allerliebste Figur Margaretens hinzugestellt, ein erhöhtes Andenken eines jungen Mädchens, von der er mit vierzehn Jahren geliebt zu sein glaubte, deren Bild ihn immer umschwebte und jeder seiner Heldinnen einige Züge mitgetheilt hat. Dieß himmlische Hingeben eines naiven, frommen und zärtlichen Herzens contrastirt bewundernswürdig mit der sinnlichen und düstern Aufspannung des Liebhabers, den in der Mitte seiner Liebesträume die Phantome seiner Einbildungskraft und der Überdruß seiner Gedanken verfolgen, mit diesen Leiden einer Seele, die zerknirscht, aber nicht ausgelöscht wird, die gepeinigt ist von dem unbezwinglichen Bedürfniß des Glücks und dem bittern Gefühl, wie schwer es sei, es zu empfangen und zu verleihen.

Da der Dichter niemals etwas schrieb, ohne daß man gewissermaßen den Anlaß dazu in irgend einem Capitel seines Lebens finden könnte, so treffen wir 193 überall auf Spuren der Einwirkung gleichzeitiger Begebenheiten oder auch Erinnerungen derselben. Zu Palermo ergreift ihn das geheimnißvolle Schicksal des Cagliostro, und seine Einbildungskraft, von lebhafter Neugierde getrieben, kann diesen wunderbaren Mann nicht loslassen, bis er ihn dramatisch gestaltet um sich selbst gleichsam ein Schauspiel zu geben. So entstand der Groß-Cophta, welchem das berüchtigte Abenteuer des Halsbandes zu Grunde liegt. Bei'm Lesen dieser übrigens sehr unterhaltenden Komödie erinnert man sich, daß der Dichter einige Zeit zu ähnlichem Wahn hinneigte, wie der ist, den er entwickelt; wir sehen einen enttäuschten Adepten, der die gläubige Exaltation der Schüler so wie die geschickte Marktschreierei des Meisters darstellt, und zwar wie ein Mann, der die eine getheilt und die andere nahe gesehen hat. Man muß geglaubt haben, um so treffend über das zu spotten, woran man nicht mehr glaubt.

In den kleinen Komödien bei Gelegenheit der französischen Revolution wird man keine übersichtliche Würdigung dieses großen Ereignisses erwarten, vielmehr nur einen Beleg, wie sich die augenblicklichen Einflüsse desselben in des Dichters Gesichtskreis lächerlich und widerwärtig darstellten. Diesen Eindruck hat er auf eine sehr heitere Weise im Bürgergeneral festgehalten.

Jery und Bätely, anmuthige Skizze einer Alpenlandschaft, 194 ist als eine Erinnerung einer Schweizerwandrung anzusehen.

Nun aber betrachten wir den Triumph der Empfindsamkeit, ein Possenspiel in Aristophanischer Manier, als einen Ausfall des Dichters gegen eine Dichtart, die er selbst in Gang gebracht hatte. Dieses Stück ist eins von denen, welche zu der, nach meiner Denkweise wenigstens, sehr übertriebenen Meinung der Frau von Stael Anlaß gegeben, dieser trefflichen Frau, welche sonst über unsern Dichter einige bewundernswürdig geistreiche Seiten geschrieben hat und die ihn zuerst in Frankreich durch einige freie Übersetzungen voll Leben und Bewegung bekannt machte. Frau von Stael sieht in ihm einen Zauberer, dem es Vergnügen macht, seine eigenen Gaukeleien zu zerstören, genug, einen mystificirenden Dichter, der irgend einmal ein System festsetzt und, nachdem er es gelten gemacht, auf einmal aufgibt, um die Bewunderung des Publicums irre zu machen und die Gefälligkeit desselben auf die Probe zu stellen. Ich aber glaube nicht, daß mit einem so leichtsinnig hinterhaltigen Gedanken solche Werke wären hervorzubringen gewesen. Dergleichen Grillen können höchstens Geistesspiele und Skizzen des Talents veranlassen, mehr oder weniger auffallende; aber ich würde sehr verwundert sein, wenn aus einer solchen Quelle etwas stark Erfaßtes oder tief Gefühltes hervorginge. Solche Eulenspiegeleien geziemen dem Genie nicht. Im Gegentheil 195 glaube ich gezeigt zu haben, daß der Dichter in allem, was er hervorbrachte, seiner innern Regung gefolgt sei, wie in allem, was er mahlte, er das nachbildete, was er gesehen oder empfunden hatte. Mit sehr verschiedenen Fähigkeiten begabt, mußte er in einem langen Leben durch die entgegengesetztesten Zustände hindurchgehen und sie natürlich in sehr von einander unterschiedenen Werken ausdrücken.

Auch will ich, wenn man es verlangt, wohl zugeben, daß, indem er den Triumph der Empfindsamkeit nach dem Werther, die Iphigenie nach dem Götz schrieb, er wohl lächeln konnte, wenn er an diese Verletzung ausschließlicher Theorien dachte, an die Bestürzung, in welche er jene Menschen werfen würde, die in Deutschland gewöhnlicher sind als anderwärts und immer eine Theorie fertig haben, um sie an ein Meisterwerk anzuheften. Aber ich wiederhole: ein solches Vergnügen kann wohl seine Werke begleitet, aber nicht veranlaßt haben; die Quelle war in ihm, die Verschiedenheit gehörte den Umständen und der Zeit.

Um nun die dramatische Laufbahn unsers Dichters zu beschließen, haben wir von Eugenien, der natürlichen Tochter, zu reden, wovon die erste Abtheilung allein erschienen ist. Hier gehören die Personen keinem Land an, keiner Zeit, sie heißen König, Herzog, Tochter, Hofmeisterin. Die Sprache übertrifft alles, was der Dichter Vollkommnes in 196 dieser Art geleistet hat. Aber es scheint, wenn man die natürliche Tochter lies't, daß der Dichter kein Bedürfniß mehr empfinde sich mitzutheilen, und im Gefühl, daß er alles gesagt habe, nunmehr aufgibt, seine Gefühle zu mahlen, um sich in Erdachtem zu ergehen. Man möchte sagen, daß er, müde, das menschliche Leben ferner zu betrachten, nun in einer imaginären Welt leben möchte, wo keine Wirklichkeit ihn beschränkte und die er nach Belieben zurechte rücken könnte.

Also zurückschauend finden wir, daß der Dichter seine dramatische Laufbahn mit Nachahmung des Wirklichen im Götz von Berlichingen anfängt, durch eine falsche Dichtart, ohne sich viel aufzuhalten, durchgeht, wir meinen das bürgerliche Drama, wo das Herkömmliche ohne Hochsinn dargestellt wird; nun erhebt er sich in Iphigenien und Egmont zu einer Tragödie, welche, ideeller als seine ersten Versuche, noch auf der Erde fußt, die er endlich aus den Augen verliert und sich in das Reich der Phantasien begibt. Es ist wunderbar, dieser Einbildungskraft zuzusehen, die sich erst so lebhaft mit dem Schauspiel der Welt abgibt, sodann sich nach und nach davon entfernt. Es scheint, daß die Freude an der Kunst mit der Zeit selbst über das Gefühl dichterischer Nachahmung gesiegt habe, daß der Dichter zuletzt sich mehr in der Vollkommenheit der Form gefiel als in dem Reichthum einer lebendigen Darstellung. Und genau 197 besehen ist die Form im Götz noch nicht entwickelt, sie herrscht schon in Iphigenien, und in der natürlichen Tochter ist sie alles.

Dieß ist die Geschichte des Theaters unsers Dichters, und studirte man seinen Geist in andern Dichtarten, die er versucht hat, würde man leicht auf den verschiedenen Linien die Puncte finden, welche denen, die wir auf der unsern angedeutet haben, entsprechen; man würde Werther Götz gegenüber, Hermann und Dorothea zur Seite von Iphigenien finden, und die Wahlverwandtschaften würden sehr gut als Gegenstück zur natürlichen Tochter gelten.

Stimmt man uns bei, betrachtet man Goethe's literarischen Lebensgang als Reflex seines innern sittlichen Lebens, so wird man einsehen, daß zu dessen Verständniß nicht eine Übersetzung einzelner Stücke erforderlich gewesen, sondern das Ganze seiner theatralischen Arbeiten, man wird fühlen, welches Licht dadurch über diesen Theil seiner Bemühungen und seiner übrigen Werke fallen müsse. Dieß ist der Zweck, den Herr Stapfer auf eine merkwürdige Weise erreicht; er hat in einer geistreichen und ausführlichen Notiz mit Fülle und Wahl die vorzüglichsten Ereignisse des Lebens unseres Dichters gesammelt und zusammengereiht, in Fragmenten aus seinen Memoiren und in einer Anzahl Übersetzungen seiner kleinen Gedichte; diese Mittel erhellen und vervollständigen sich wechselsweise. Ihm ist man in dieser 198 Sammlung die Übersetzung des Götz, Egmont und Faust schuldig, drei Stücke des Dichters, welche am schwersten in unsere Sprache zu übertragen waren; Herr Stapfer hat sich jedoch talentvoll in diesem Falle bewiesen: denn indem er zwischen die Nothwendigkeit, etwas fremd zu scheinen, und die Gefahr, inexact zu sein, sich gestellt fand, so hat er muthig das erste vorgezogen; aber dieser Fehler, wenn es einer ist, sichert uns die Genauigkeit, welche alle die beruhigen muß, die vor allen Dingen vom Übersetzer fordern, die Physiognomie und Charakter des Autors überliefert zu sehen. Die übrigen Theile der Übersetzung sind nach denselben Principien durchgeführt, und der Platz in unsern Bibliotheken ist diesem Werke angewiesen zwischen dem Shakespeare des Herrn Guizot und dem Schiller des Herrn Barante." ]