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49/11. An Sulpiz Boisserée

Wenn ich auch keine schriftliche Mittheilung schon lange von Ihnen erhielt, so haben Sie mir doch, diese Wochen her, für genugsame Beschäftigung gesorgt, indem 15 ich die drey letzten großen Blätter Ihres unschätzbaren Domwerks zu betrachten öfters Zeit fand. Die zwey vergleichenden Tafeln fordern uns zu gründlichem Nachdenken auf, und da finden wir sowohl Talent als Charakter unserer Vorfahren höchst schätzenswerth, welche das Zutrauen hatten: die Welt würde so lange in gleichem Sinne verharren, bis ihre ungeheuren Conceptionen durch und durch ausgeführt wären.

Bey dem Cölner Dom schien mir's immer wichtig, daß die ersten Bauenden, gleichsam im Vorgefühl einiges Mißtrauens, nicht etwa nur Wartesteine, wie man wohl zu thun pflegt, sondern Wartemauern, -Thürme und -Massen aufgeführt, damit ihre Nachfolger angelockt würden, da oder dort wieder einzugreifen, und auf diese Weise die Folgezeit zu Vollendung des ersten Plans in eine unausweichliche Nothwendigkeit sich versetzt sähe.

Durch Ihre Zusammenstellung glaubt man nun zu begreifen, wie diese Thätigkeit nach und nach zu einer ganz unmeßbaren Größe gelangt sey. Wenn Sie uns Ihre Studien zunächst mittheilen, so werden wir immer weiter zu näherer Kenntniß so merkwürdiger Unternehmungen und weit verbreiteter Gesinnungen auf eine sehr einleuchtende Weise gelangen.

Es ist mit dem Bauen eine ganz eigene Sache, man macht's dem Nachfolger und so auch der Folgezeit niemals recht. Ich habe selbst erlebt, daß ein Fürst seinen Nachfolger architektonisch völlig ausgestattet zu 16 haben dachte, welcher aber von einer andern Seite ganz von vorn wieder anfing. Die Selbstthätigkeit ist des Menschen Seligkeit, die man nicht präoccupiren kann.

Zu allem dem Obigen füge noch hinzu: daß die Baudenkmale am Niederrhein nicht wenig beytragen, uns durchaus aufzuklären. Die auf der dritten großen Tafel gegebene Zusammen- oder vielmehr Übereinanderstellung der in die Höhe strebenden Geschosse näher zu betrachten, erspare bis auf die nächst zu hoffende Erläuterung.

Unsern verehrten und geliebten König Ludwig kann ich in diesen Tagen mit meinen Gedanken nicht verlassen, wenn ich ihm nur im mindesten dadurch nützen könnte. Es war seit langer Zeit meine Furcht: es möchte, wie es jenen frommen Bauherren mit der Nachwelt ging, ihm schon so mit seinen Zeitgenossen ergehen. Doch lenkt und richtet sich so manches im Leben unvermuthet, daß uns immer Hoffnung zum Bessern übrig bleibt. Müssen wir uns doch gegen die jetzt von allen Seiten drohenden Ungewitter eben so verhalten.

Da ich nach alter Weise die einmal angesponnenen Fäden nicht fallen zu lassen oder wenigstens bald wieder aufzunehmen pflege, so habe ich nicht versäumt, jene durch die Berliner Jahrbücher mit Paris gewissermaßen zufällig gewonnenen Verhältnisse ganz leise zu handhaben, wozu denn die Übersetzung meiner 17 Metamorphose das Übrige beytragen wird. Weisen Sie das Heft nicht ab, wenn es Ihnen zur Hand kommt, es bringt manches zur Sprache, das sich in jedem Sinne fruchtbar erweisen muß.

Lassen Sie mich nun von den Münzen sprechen, von welchen freylich die Preise durchaus abschreckend sind. Sollten diese unter den Liebhabern gelten, so wäre meine Sammlung ganz unschätzbar, ja die letzte Sendung meines Sohnes von Mailand her nicht mit 100 Louisd'or zu bezahlen gewesen.

Da aber der Sammler immer verführbar ist, so bitte auf die drey roth vorgestrichenen, unten auf der vorletzten, oben auf der letzten Seite Ihre Aufmerksamkeit zu richten, zu sehen: ob sie wirklich vollkommen erhalten sind? und sie alsdann für mich so billig als möglich zu acquiriren. Das Verzeichniß B liegt ganz außer meinem Kreise. Silberne pflege ich nicht anzuschaffen; die von Erz sind von neuern Künstlern, welche Suiten von Päpsten, Kaisern, Königen nicht ohne Talent nach vorhandenen Vorbildern zu machen pflegten. Ich darf nur auf Originale ausgehen, als eigentliche Belege zur Kunstgeschichte.

Die Mediceische Familie scheint auch eine solche nachgebildete Suite zu seyn, wovon die Originale sich wohl nur in der florentinischen Sammlung finden.

Dagegen möchten sich unter den Uomini illustri so wie auch unter den Medaglie d'una grandezza minore ganz wünschenswerthe Sachen befinden, weil die gleichzeitigen 18 in dieser Art nicht ganz selten sind und ich eine Anzahl von diesen selbst mir um einen leidlichen Preis nach und nach angeschafft. Da aber auf dem Verzeichniß A Erzmedaillen der mittlern Größe von vier bis acht Gulden angesetzt sind, so möchte auch wohl hier für unser einen kein ergiebiger Handel zu hoffen seyn. Womit ich die Erwähnung dieser Angelegenheit schließe und nur bitte, der drey oben gemeldeten freundlichst zu gedenken.

Indem ich so weit mit meinem Schreiben gelangt bin, habe ich mit besonderm Vergnügen zu vermelden: daß mir das Glück geworden, Ihro des Königs von Württemberg Majestät bey mir zu verehren. Da Sie so lange unter dem Schutz dieses Herrn gelebt, darf ich Ihnen nicht betheuern: wie erhebend und wahrhaft auferbaulich mir solche Gegenwart gewesen und geworden. Auch für unsre Frau Großherzogin war sie, wie schon einmal, bey der so eben einlaufenden Nachricht von einem abermaligen, so großen Familienverluste höchst tröstlich und aufrichtend. Ich aber vernehme zu besonderer Beruhigung daß meine aufrichtigen Äußerungen Höchst Denselben nicht mißfallen haben.

[ Gräf Nr. 1944: Auch wie Sie, mein Theuerster, finde ich schon seit vielen Jahren erprobt, daß man zu bedenklichen Zeiten seine Thätigkeit gleichsam schärfen und sich bedeutende Aufgaben auferlegen müsse, welche eine entschiedene Richtung nach innen fordern und begünstigen. 19 Ich finde mich in diesen Fall gesetzt und hoffe, eh noch zwey Monate vergehn, inwiefern es mir geglückt ist, entschiedene Nachricht geben zu können. ]

treulichst

Weimar d. 22. Jul. 1831.

J. W. v. Goethe.

Noch einiges muß ich hinzuthun. Herr Professor Kleinschrod wird mir verzeihen, wenn ich etwas kühn gewünscht habe. Bescheidenheit ist eine Tugend, deren sich leidenschaftliche Liebhaber nicht immer befleißigen. Das Bruchstück einer uralten Pflanzenformation aus der unterirdischen Flora wird mir höchst willkommen seyn, da ich durch die Neigung des Herrn Grafen Sternberg sehr schöne Exemplare aus seinen Kohlengruben besitze. Sorgfältig eingepackt könnte eine solche Sendung auch durch Fuhrgelegenheit an mich gelangen, wenn man sie an Herrn Handelsmann Goldbeck in Nürnberg abgehen ließe, durch welchen ich die meisten Sendungen aus Süden erhalte.

Bey einem in unsern Landen sehr activen Chausseebau hab ich aus unsern Kiesbrüchen ungeheure Elephanten-Backenzähne zu erhalten Gelegenheit gehabt, und so vermehren sich die Wunder der Vorwelt um uns her immer mehr.

Findet sich einmal eine heitere herzöffnende Stunde, so versuch ich meine hypsistarische Lehre auf's Papier zu bringen. Was mir auferbaulich ist, sollte es freylich meinen Freunden auch seyn.

20 Auch von den Medaillen sage zu mehrerer Sicherheit noch ein Wort: die roth vorgestrichenen sind:

1) Philippus Maria etc. Opus Pisani . . . fl. 16.

2) Gian. Francesco etc. und Consorte . . .fl. 14.

3) Jo. Franc. Tri. (Trivuzio) etc . . . .fl. 8.

Hiebey bemerke noch, auch darnach sey zu sehen, ob sie wohl erhalten, auch von Haus aus scharf und nicht etwa stumpfe Nachgüsse sind, welches wohl vorkommt.

Und damit allen Segen im Höchsten.

Weimar den 25. Juli 1831.

J. W. v. Goehte.