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4/949. An Johann Christian Kestner

[14. Mai.]

Es ist recht schön dass wir einander wieder einmal begegnen. Vor einigen Tagen dacht ich an euch und wollte fragen wie es stünde. Schon lange hab ich den Plan gemacht euch zu besuchen vielleicht gelingt mir's einmal und ich find euch und eure 5 Buben wohl und vergnügt. Es wäre artig wenn ihr mir einmal einen Familienbrief schicktet wo Lotte und wer von den Kindern schreiben kan auch einige Zeilen drein schrieben dass man sich wieder näher rückte. Ich schick euch auch wohl einmal wieder was, denn ich habe schon mehr Lufft an meine Freunde zu dencken ob sich gleich die Arbeit vermehrt.

Ausser meiner Geheimeraths Stelle, hab ich noch die Direcktion des Kriegs Departemens und des Wegebaus mit denen dazu bestimmten Kassen. Ordnung, Präzision, Geschwindigkeit sind Eigenschafften von denen ich täglich etwas zu erwerben suche. Übrigens steh ich sehr gut mit den Menschen hier, gewinne täglich mehr Liebe und Zutrauen, und es wird nur von mir abhängen zu nuzzen und glücklich zu seyn. Ich wohne vor der Stadt in einem sehr schönen Thale wo der Frühling jetzt sein Meisterstück macht. Auf unsrer lezten Schweizerreise ist alles nach Wunsch gegangen und wir sind mit vielem Guten beladen zurückgekommen.

Für Henningsens Deducktion danck ich. Das Gedicht kenn ich nicht und die ganze Sache zeugt von nicht sehr klaaren Begriffen. Adieu Grüse Frau und Kinder und behaltet mich lieb.

Pfingstsonntag 1780.

Goethe.

Dass dir Oberon so wohl gefällt konnt ich dencken, es ist ein ganz trefflich Gedicht. Wenn ein deutscher Dichter ist so ist ers. [ Gräf Nr. 860a: Meine Schriftstellerey subordinirt sich dem Leben, doch erlaub ich mir, nach dem Beyspiel des grosen Königs der täglich einige Stunden auf die Flöte wandte, auch manchmal eine Übung in dem Talente das mir eigen ist. Geschrieben liegt noch viel, fast noch einmal so viel als gedruckt, Plane hab ich auch genug, zur Ausführung aber fehlt mir Sammlung und lange Weile. Verschiednes hab ich für's hiesige Liebhaber Theater, freylich meist Conventionsmäsig ausgemünzt. ] Adieu.