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8/2647. An den Herzog Carl August

Rom d. 17. [und 18.] März 88.

Ihren freundlichen, herzlichen Brief beantworte ich sogleich mit einem fröhlichen: ich komme! So werden meine Hoffnungen, Wünsche und so wird mein erster Vorsatz erfüllt. Ich fühle ganz den Umfang Ihrer 356 Güte, mein erster und nächster Danck soll eine unbedingte Aufrichtigkeit seyn. Die Zartheit womit Sie mich behandeln, heißt mich alle sogenannte Delikatessen zu vermeiden, welche genau betrachtet wohl öfter Prätensionen scheinen möchten. Ihrer Frau Mutter hätte ich, wenn Sie es nötig und schicklich gehalten hätten, gerne meine Dienste in Italien gewiedmet, ob ich gleich wohl einsehe, daß ich dabey mehr würde eingebüßt haben als sie durch meine Gegenwart gewinnen konnte. Doch glaube ich durch manche Vorbereitung auch für dieselbe nicht ganz unnütze in Italien gewesen zu seyn.

Diese Woche geht im Taumel vorüber, man muß mit dem Strome fortziehen. Sobald uns der dritte Feyertag erschienen ist mache ich ernstliche Anstalt zur Abreise. Ich erwarte noch einiges von Neapel, habe für mich und andre mancherley in Ordnung zu setzen, sovielerley Fäden abzulösen, die sich dieses Jahr angesponnen und seit Ihrem Maynzer Briefe sich mit einiger Sicherheit fester geknüpft haben. Alles übersehen, glaube ich Ende Aprils gewiß in Florenz zu seyn. Ich werde eilen das merckwürdigste dieser Stadt, die Arbeiten Correges in Parma, sodann Mayland zu sehen und durchzugehen und wünschte dann über Chiavenna und Chur, über Lindau, Augsburg und Nürnberg den Weg nach Hause zu nehmen. Ich habe meiner Mutter schon die Hoffnung benommen mich auf der Rückreise wieder zu sehen und habe sie auf eine andere 357 Gelegenheit vertröstet. Sowohl noch von Rom aus, als auf der Reise werde ich fleißig schreiben und von meinen Zuständen und meiner Wandrung Nachricht geben.

[ Gräf Nr. 876: Wie ich nun nach diesen Aspeckten erst in der Hälfte Juni zu Hause anlangen könnte; so würde ich noch eine Bitte hinzufügen: daß Sie mir, nach meiner Ankunft, dem Gegenwärtigen den Urlaub gönnen wollten, den Sie dem Abwesenden schon gegeben haben. Mein Wunsch ist: bey einer sonderbaren und unbezwinglichen Gemüthsart, die mich, sogar in völliger Freyheit und im Genuß des erflehtesten Glücks, manches hat leiden machen, mich an Ihrer Seite, mit den Ihrigen, in dem Ihrigen wiederzufinden, die Summe meiner Reise zu ziehen und die Masse mancher Lebenserinnerungen und Kunstüberlegungen in die drey letzten Bände meiner Schriften zu schließen. ]

Ich darf wohl sagen: ich habe mich in dieser anderthalbjährigen Einsamkeit selbst wiedergefunden; aber als was? – Als Künstler! Was ich sonst noch bin, werden Sie beurtheilen und nutzen. Sie haben durch Ihr fortdaurendes würckendes Leben, jene fürstliche Kenntniß: wozu die Menschen zu brauchen sind, immer mehr erweitert und geschärft, wie mir jeder Ihrer Briefe deutlich sehen läßt; dieser Beurtheilung unterwerfe ich mich gern. Nehmen Sie mich als Gast auf, laßen Sie mich an Ihrer Seite das ganze Maas meiner Existenz ausfüllen und des Lebens genießen; 358 so wird meine Kraft, wie eine nun geöffnete, gesammelte, gereinigte Quelle von einer Höhe, nach Ihrem Willen leicht dahin oder dorthin zu leiten seyn. Ihre Gesinnungen, die Sie mir vorläufig in Ihrem Briefe zu erkennen geben sind so schön und für mich bis zur Beschämung ehrenvoll. Ich kann nur sagen: Herr hie bin ich, mache aus deinem Knecht was du willst. Jeder Platz, jedes Plätzchen die Sie mir aufheben, sollen mir lieb seyn, ich will gerne gehen und kommen, niedersitzen und aufstehn.

Alles was ich bißher gesagt und gebeten habe gründet sich auf den Begriff, daß Sie meiner jetzt nicht unmittelbar nicht im mechanischen bedürfen. Ohne die Gewißheit daß Sie mit meinem Vikarius höchst zufrieden seyn würden, hätte ich mich nicht entfernen, nicht solange verweilen können. Er ist auf alle Weise ein Mann zu solchen Plätzen geschaffen, welche ich nur einnahm um sie zur rechten Zeit einem fähigern abtreten zu können. Wie freut mich's daß sie gekommen ist. Ich kann nicht anders als denen Einrichtungen welche Sie machen wollen den vollkommensten Beyfall geben. Die Authorität, Responsabilität und der anhaltende unmittelbare Einfluß eines würcklichen Präsidenten ist auf alle Weise nötig, um die Sachen in Ordnung zu bringen und darin zu erhalten; auch an Wedeln glaube ich wird Sie Ihre Wahl nicht trügen. Die Kriegskommission 359 werden Sie doch auch, im gegenwärtigen Falle, mit dem Präsidio der Cammer verbunden laßen?

Die Cassen Revision und die neue Ordnung ist ein treffliches Institut, dadurch wird dem übelgesinnten Diener das Mittel genommen sich mit dem ungerechten Mammon Freunde zu machen, dem redlichen wird auf einmal aus mancher Verlegenheit geholfen. Hätte ich beym Antritt meiner Interims Administration mehr Kenntniß des Details, in denen damals einigermaßen verworrnen Zuständen mehr Entschloßenheit, bey einem allgemeinen, öffentlichen und heimlichen Widersetzen mehr Festigkeit gehabt; so hätte ich Ihnen manchen Verlust und mir manche Sorge, Verdruß und wohl gar Schiefheit ersparen können. Es war Ihnen Selbst mit der Zeit vorbehalten zu thun was unter andern Verhältnißen andre nur gewünscht hatten.

Das Verhältniß das Sie mir zur Cammer erhalten wollen, ist, ich wiederhohle es, so ehrenvoll, daß ich gleich beschämt bin es anzunehmen, als verlegen es abzulehnen. Ich habe schon einmal meine Gründe gesagt warum ich mich zu dem letzteren neige und würde sie wieder verstärckt anführen, wenn ich nicht fühlte daß es beynahe eben so unbescheiden sey eine vorzügliche Gunst eigensinnig abzulehnen, als sie hartnäckig ertrotzen zu wollen.

Mein bestes Verhältniß zu Ihrem ökonomischen wird immer die Freundschaft zu meinem Nachfolger 360 bleiben, die sich, wie ich hoffe, künftig in einem genauern Umgange immer fester schließen und zu Ihrem Dienste enger verbinden soll. Besonders sehne ich mich recht, mich mit ihm über allgemeine Grundsätze zu besprechen, welche in keiner Session ausgemacht und nur still und ohne Geräusch durch die Geschäfte, von einem einsichtsvollen, wohldenckenden und standhaften Manne durchgeführt werden können.

Da sich, nach meiner Rechnung, meine Rückkunft biß in die Hälfte Juni verziehen möchte; so ersuche ich Sie ja alle Einrichtungen die Sie nötig finden, sobald als möglich zu machen. In dem Geiste und Sinne wie ich Sie handeln sehe, können Sie nichts thun, was nicht auch mir, sowohl fürs Ganze, als für mein Individuum wünschenswerth scheinen sollte. Selbst wird es mir Freude machen in eine eingerichtete Haußhaltung zu treten, so viele schwanckende Gemüther welche theils durch Ihre Abwesenheit, theils durch unbestimmte Lagen zweifelhaft und ängstlich waren beruhigt zu finden und nicht als einer der ordnen und entscheiden hilft, sondern als einer der sich in das entschiedne und geordnete mit Freuden fügt aufzutreten. Sie sind gut berathen und werden es nach der Art wie Sie zu Wercke gehen immer besser seyn.

d. 18. März.

Nach Ihrer Ermahnung bin ich sogleich nach St. Luca gegangen und habe Raphaels Schädel und 361 dem schönen Bilde welches den Heiligen, da er die ihm erscheinende Madonna mahlt, vorstellt mit reiner Freude gehuldigt. Der Schädel ist von der schönsten Bildung und ich halte ihn ächt. Rath Reifenstein hat schon die Erlaubniß von der Akademie erhalten ihn formen zu laßen, es wird in diesen Tagen geschehen. Ich habe einige Sorge biß diese Operation vorüber ist. Da der Schädel im Grabe gelegen und gemodert hat, ist er mürbe und ich fürchte diese herrliche Reliquie leidet. Dem Former wird alle Sorgfalt empfohlen und Sie werden große Freude haben den Abguß zu besitzen.

Die Kupfer wird man mir wohl überlassen. Das eine ist eine Welt und der Abdruck sehr frisch, ob er gleich an einigen Orten gelitten hat und schlecht aufgezogen ist. Angelika besitzt einen Abdruck der nicht so gut und aus vielen Fetzen zusammengeleimt ist. Man weiß diese Sachen hier zu schätzen. Auch sind die Albert Dürers in großem Werthe.

Rath Reifenstein hat mir neulich ein Geschenck gemacht, das wertheste Gastgeschenck das er mir zum Abschiede hätte geben können: Original Radirungen von Claude Lorrain. Sie sind unschätzbar wie alles von seiner Hand.

Diese und noch manche Zeugniße bringe ich mit daß ich im Paradiese war. Sollte mir das Glück wollen die Gores bey Ihnen zu treffen; so würden auch diesen lieben Kindern, die Blicke in's gelobte, 362 von ihnen wohl gekannte Land, die ich ihnen verschaffen kann, gewiß Freude machen. Auch bringe ich Kaysern mit, dessen Talent, hoffe ich, nicht wenig beytragen soll Harmonie und Geschmack zu verbreiten. Er studirt jetzt die ältere Musick aufs emsigste und wird einigen Genuß derselben gewiß auch über den Alpen verschaffen können, wenn gleich das non plus ultra ihrer Ausführung in die Sixtinische Kapelle gebannt zu seyn scheint.

Der Gute Genius segne den allgemeinen Geist im Ganzen, wie er bey Ihnen zu Hause ist. Alles was Herder unter Ihren Auspiciis unternimmt giebt mir die größten Hoffnungen, und ich freue mich in jedem Sinne daran Theil nehmen zu können.

Daß Sie für ihn und für Voigten sorgen, erregt auch meine herzlichste Danckbarkeit. Sie kommen allen meinen Wünschen und Bitten zuvor. Möchte ich doch auch Ihrer völlig wiederhergestellten Gesundheit ganz gewiß werden, möchten Sie Sich durch Ihre mancherley äussern Verhältniße, durch Übernahme des Regiments keine disproportionirte Last aufgelegt haben. Es werde und wende sich alles zu Ihrem besten. Leben Sie wohl, und verzeihen mein unzusammenhängendes Schreiben. Dieser ganze Morgen war unruhig und unterbrochen. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlinn Durchl. aufs beste. Ich siegle diesen Brief gleich, ob er schon erst d. 22. abgeht.

G.