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1765. 1829, 20. (?) August. Mit Alexander Dumas

Das Ziel meiner Reise war damals Weimar und unser berühmter Bildhauer David mein Reisegefährte. Er kam in der Absicht, um Goethe, dem Patriarchen der deutschen Literatur, seine Büste, die er eben vollendet hatte11 Irrthum., und ich, um ihm ein Exemplar meines Stücks »Heinrich III.« zu überreichen, das gerade damals zur ersten Aufführung gelangt war. Diese Zusammenkunft wurde von Goethe nicht vergessen; er spricht von ihr in seinem Briefwechsel, und ich fand daselbst die Vorhersage wieder, welche er mir nach Lesung meines »Heinrich III.« machte, daß ich nämlich eines Tages einer der ersten dramatischen Schriftsteller werden würde, – doch, wohlverstanden, nur unter meinen französischen Zeitgenossen.

Übrigens haben wir – ich, der junge Mann und er, der Greis – viel über unsere Anschauungen und moderne Kunst discutirt. Ich machte ihn nachdenklich, als ich ihm sagte: wir hätten in Frankreich einen viel 173 gründlicheren Faust, als der seinige ist, und einen viel diabolischeren Mephistopheles, als seinen: jener Faust sei Napoleon, der stets das Unmögliche begehre, jener Mephisto sei Talleyrand, ein hinkender Dämon, ähnlich dem Teufel der Deutschen. Er hat alle Katastrophen überlebt und blieb der Held der Pariser Salons, als Napoleon schon ein Gefangener des Oceans war. Wie oft mochte wol sein satanisches Lachen den Besiegten von Waterloo auf St. Helena vor Zorn haben erleben lassen! – Das Gespräch auf seinen eigenen »Faust« bringend, fragte er mich um meine Ansicht über diese Tragödie; denn er habe bemerkt, fügte er hinzu, daß ich inbezug auf das Theater, was den Bau anbelangt, technische Grundsätze entwickelt habe, die von den seinigen ganz verschieden sind. Er irrte sich auch inderthat nicht, und indem er einen Blick auf meine dramatische Vergangenheit warf, die damals nur in einem einzigen Drama bestand, hatte sein Kennerblick in meinen, inderfolge zu schaffenden sechzig Dramen gelesen, daß meine zwei Haupteigenschaften als Theaterdichter in der Geschicklichkeit inbezug auf den Bau und in der Wahrheit der Leidenschaften beständen, zwei Dinge, die ihm fast vollständig abgingen. [ Pniower Nr. 713: Hierauf entwickelte ich dem erstaunten großen Meister der Dichtkunst, der mich mit liebenswürdigem Wohlwollen bis zu Ende anhörte, daß, wenn es nicht ein Verstoß gegen die Pietät wäre, an dem Meisterwerke der deutschen dramatischen Philosophie zu rütteln, ich einen Faust 174 mit all demjenigen machen würde, was in dem seinigen nicht enthalten ist, indem ich den Mephistopheles ließe wie er ist, aber, von einem richtigeren Gesichtspunkte ausgehend, die Rolle des Faust dramatischer und jene der Margarethe materiell um's Doppelte vergrößert gestalten würde; denn so, wie letztere jetzt ist, erscheint sie zwischen Mephistopheles, der einem Ribera, und Faust, der einem Albrecht Dürer gleicht, wie ein verbleichtes Pastellbild. Ich erklärte ihm alle die Vortheile, die ich aus den Zweifeln und der Zaghaftigkeit Gretchens in dem Augenblicke, wo sie ihre Mutter bloß einzuschläfern meint, in Wahrheit aber vergiftet, gezogen hätte, wie ich die Angst des Mädchens, als sie sich Mutter fühlt, entwickelt, und all die Peripetien des Wahnsinns jenes unschuldigen Mädchens, welches die Leidenschaft der Liebe zum Kindermord und zur Schmach führt, aufgefaßt haben würde. – Ich sagte es bereits, daß Goethe mich mit großem Wohlwollen anhörte. »Ja,« antwortete er mir, »ich begreife: erst die Leidenschaft, dann die Philosophie. Es mögen beiläufig fünfzig Jahre sein, daß ich diesen Gegenstand bereits mit Schiller besprochen habe.« Fast hätte ich leise hinzugefügt: und leider haben Sie ihn überzeugt, daß die Philosophie über die Leidenschaft den Sieg davontragen müsse. ]

Hierauf wendete sich das Gespräch. Er befragte mich um Details über Talma, Mlle. Mars und Mlle. Georges, welche er in Erfurt kennen gelernt hatte ..... Er fragte auch, welches wol nach meiner 175 Ansicht die für Talma geeigneten Rollen in seinen eigenen Dramen gewesen wären; ich antwortete: die des Faust, in welcher Talma ebenso bewunderungswürdig gewesen wäre wie im Hamlet, aber nicht in jenem von Ducis, sondern im Originalstücke, aus welchem ich ihn mit staunenswerthem Genie einige Hauptscenen im Englischen spielen sah.