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1105.

1827, 16. Juli.

Mit Friedrich von Müller

a.

[ Gräf Nr. 1500: Erst diesen Abend fand ich die rechte Stunde, Goethen nach einem langen Zweigespräch über »Helena« Ihre [der Freifrau v. Beaulieu] inhaltsreichen, geist-vollen Worte 1 zu zeigen. Er war ungemein davon 163 erbaut, überrascht, ergriffen. »Curios! Diese Analyse fängt genial genug von hinten an, überspringt keck und frei den ganzen ersten Theil, trifft geradezu den wichtigsten Punkt und schafft sich im Analysiren und Reproduciren alsobald ein neues, höchst dichterisches und erhabenes Wesen. Curios, curios! aber sehr geistreich, sehr liebenswürdig. Besonders ist das ›Greifen des Feuers als Spielzeug‹ und die Andeutung, ›das Gewand bleibt in den Händen der Kraft,‹ höchst originell und zart ausgesprochen. – Nun, ein solcher Leser entschädigt für tausend alberne Dunst- und Plattköpfe. Aber sie ist auch aus unserer guten Zeit, hat unsere ganze Bildungsperiode mit durchgemacht, und da müßte es schlimm sein, wenn Kraft und Schönheit in einem solchen Individuum vereint nicht ein besseres und höheres Urtheil als alle Immermanne, Tiecke und Raupachs unserer neuen Zeit haben wollte. Ja, wenn diese Frau sich nicht so sehr in der Welt verschlossen hätte – da hättet Ihr erst sehen sollen, zu welchem Gipfel weibliche Kraft aufzusteigen vermag.« ]

b.

Goethe bemerkte: [ Gräf Nr. 1499: der letzte Chor in der Helena sei bloß darum weit ausgeführter als die übrigen, weil ja jede Symphonie mit einem Uni aller Instrumente brillant zu endigen strebe.

Auf Faust zu reden kommend, sagte er: bei aller 164 Muße und Abtrennung von der Welt getrau' er sich noch jetzt denselben in drei Monaten zu beenden. ]

Dann sprachen wir von Immermann's Recension der Kleist'schen Schriften, die er sehr tadelte. »Die Herren schaffen und künsteln sich neue Theorien, um ihre Mittelmäßigkeit für bedeutend ausgeben zu können. Wir wollen sie gewähren lassen, unsern Weg still fortgehen und nach einigen Jahrhunderten noch von uns reden lassen.

Von der Hegel'schen Philosophie mag ich gar nichts wissen, wiewohl Hegel selbst mir ziemlich zusagt. So viel Philosophie als ich bis zu meinem seligen Ende brauche, habe ich noch allenfalls, eigentlich brauche ich gar keine. Cousin hat mir nichts Widerstrebendes, aber er begreift nicht, daß es wohl eklektische Philosophen, aber keine eklektische Philosophie geben kann. Die Sache ist so gewaltig schwer, sonst hätten die guten Menschen sich nicht seit Jahrtausenden so damit abgequält. Und sie werden es nie ganz treffen. Gott hat das nicht gewollt, sonst müßte er sie anders machen. Jeder muß selbst zusehen, wie er sich durchhilft.

Es wird viel über die Methode des Zeitgebrauchs gesprochen. Sonst hatte ich einen gewissen Cyclus von fünf oder sieben Tagen, worin ich die Beschäftigungen vertheilte; da konnte ich unglaublich viel leisten.«

Von Klopstock sagte er: »er war klein, beleibt, zierlich, 165 sehr diplomatischen Anstandes, von noblen Sitten, etwas ans Pedantische streifend, aber geistreichern Blickes, als alle seine Bilder.«

1 Nicht aufzufinden.

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