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                     An Psyche.
[ Pniower Nr. 28: Verwünscht! in welchem Gesicht
                              
                              Dies Rütteln mich unterbricht!
                              
                              Ihr holden Seelen,
                              
                              Noch sah ich euch kaum!
                              
                              Wo seyd Ihr? Ach Psyche,
                              
                              Es war nur ein Traum!
                              
                              O laß Dir’n erzählen
                              
                              Den herrlichen Traum!
                              13
                              
                              Mir träumt’, auf einem Muschelwagen
                              
                              Vor welchen Amor mit eigener Hand
                              
                              Vier weiße Tauben der Venus gespannt,
                              
                              Würd’ ich auf Wolken dahergetragen.
                              
                              Ein Amorino mit goldnem Flügel
                              
                              Stund vor der Muschel, hielt die Zügel,
                              
                              Regierte mit einem Lilienstab
                              
                              Die Täubchen Wolken auf und ab.
                              
                              Es wallt’ ein Nebel um Thal und Hügel;
                              
                              Wir schwammen daher; der Nebel zerfloß;
                              
                              Da stund auf einmal ein Feenschloß
                              
                              Vor meinen Augen. Erdwärts schlüpfte
                              
                              Der Wagen; Ich sprang herunter, hüpfte
                              
                              Dem Schloße zu, fand offen die Pforte,
                              
                              Stieg – Doch wozu so viele Worte?
                              
                              Der Himmel weiß wie mir geschah,
                              
                              Genug, auf einmal war ich da.
                              
                              Und rathe, wen ich zum ersten sah
                              
                              An diesem zauberischen Orte?
                              
                              O Freude! Psyche, auch Du warst da!
                              
                              Kamst lächelnd mir entgegengegangen,
                              
                              Und denke nur, Du Grazie, – traun!
                              
                              Ein kleiner Zwitter von Amor und Faun,
                              
                              Trotzig und lieblich anzuschaun,
                              
                              Mit blauen Augen und Lilienwangen,
                              
                              Schmiegte sich kosend wie Leda’s Schwan
                              
                              An deinen sanften Busen an.
                              
                              Ein edler Ritter stand dabey,
                              
                              Tapfer und bieder, wahr und treu,
                              
                              Dem sah man an den Augen an
                              
                              Daß er das Beste dabey gethan.
                              
                              Auch flog mir entgegen ein Fräulein zart
                              
                              Von jener ächten Jungfrauen Art,
                              14
                              
                              Die ohne ihr Bestreben noch Sinnen
                              
                              Ganz sachte das Herz uns abgewinnen;
                              
                              Die ungekünstelt, gut und rein,
                              
                              Das Auge vielleicht, das Herz nie trügen,
                              
                              Und in der Stille sich begnügen,
                              
                              Was andre scheinen wollen, zu seyn.
                              
                              Von der Fee des Orts sag ich dir nichts.
                              
                              Die ist und bleibt ein Engel des Lichts!
                              
                              Von Geist und Herz stets groß und kräftig,
                              
                              Das Gute zu würken stets geschäftig,
                              
                              An Reiz ein Weib, ein Mann an Muth,
                              
                              Ruhig und sauft mit Aetna’s Glut,
                              
                              Ein Marmorbild bey eignem Leiden,
                              
                              Und immer glücklich in andrer Freuden.
                              
                              Allein, wozu noch Waßer ins Meer?
                              
                              Wer kennt und liebt und ehrt sie mehr
                              
                              Als du? – Nun denke, wie seelig ich war!
                              
                              Wie alles so schön, so heiter und klar,
                              
                              So lieb und wonniglich um mich her!
                              
                              Als ob nun alles im Himmel, auf Erden
                              
                              Und unter der Erden glücklich wär,
                              
                              Und mit mir müßte glücklich werden.
                              
                              Und wie die süßen Erinnerungen
                              
                              Der Stunden, die ich einst zugleich
                              
                              In diesem kleinen Himmelreich,
                              
                              Genossen, ihr holden Seelen, mit euch,
                              
                              Durch all mein Wesen wieder erklungen!
                              
                              Und, Psyche, fühle dazu: es war
                              
                              Der erste Tag im neuen Jahr,
                              
                              In dem von hundert seligen Tagen
                              
                              Die Ahndungen eingewickelt lagen!
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                              Und als wir nun so um und um
                              
                              Eins in dem andern glücklich waren
                              
                              Wie Geister im Elysium:
                              
                              Auf einmal stand in unsrer Mitten
                              
                              Ein Zaubrer! – Aber, denke nicht,
                              
                              Er kam mit unglückschwangerm Gesicht
                              
                              Auf einem Drachen angeritten!
                              
                              Ein schöner Hexenmeister es war,
                              
                              Mit einem schwarzen Augen-Paar,
                              
                              Zaubernden Augen voll Götterblicken,
                              
                              Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken.
                              
                              So trat er unter uns, herrlich und heer,
                              
                              Ein ächter Geisterkönig, daher!
                              
                              Und niemand fragte, wer ist denn der?
                              
                              Wir fühlten beym ersten Blick, ’s war Er!
                              
                              Wir fühlten’s mit allen unsern Sinnen,
                              
                              Durch alle unsre Adern rinnen.
                              
                              So hat sich nie in Gotteswelt
                              
                              Ein Menschensohn uns dargestellt,
                              
                              Der alle Güte und alle Gewalt
                              
                              Der Menschheit so in sich vereinigt!
                              
                              So feines Gold, ganz innrer Gehalt,
                              
                              Von fremden Schlacken so ganz gereinigt!
                              
                              Der, unzerdrückt von ihrer Last
                              
                              So mächtig alle Natur umfaßt,
                              
                              So tief in iedes Wesen sich gräbt,
                              
                              Und doch so innig im Ganzen lebt!
                              
                              Das laß mir einen Zaubrer seyn!
                              
                              Wie wurden mit ihm die Tage zu Stunden!
                              
                              Die Stunden, wie augenblicks verschwunden!
                              
                              Und wieder Augenblicke, so reich!
                              
                              An innerm Werthe Tagen gleich!
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                              Was macht er nicht aus unsern Seelen?
                              
                              Wer schmelzt wie er die Lust im Schmerz?
                              
                              Wer kann so lieblich ängsten und quälen?
                              
                              In süßern Thränen zerschmelzen das Herz?
                              
                              Wer aus der Seelen innersten Tiefen
                              
                              Mit solch entzückendem Ungestüm
                              
                              Gefühle erwecken, die ohne ihm
                              
                              Uns selbst verborgen im Dunkeln schliefen?
                              
                              O welche Gesichte, welche Scenen
                              
                              Hieß er vor unsern Augen entsiehn?
                              
                              Wir wähnten nicht zu hören, zu sehn,
                              
                              Wir sahn! Wer mahlt wie er? So schön,
                              
                              Und immer ohne zu verschönen!
                              
                              So wunderbarlich wahr! So neu,
                              
                              Und dennoch Zug vor Zug so treu?
                              
                              Doch wie, was sag ich mahlen? Er schaft,
                              
                              Mit wahrer mächtiger Schöpferskraft
                              
                              Erschaft er Menschen; sie athmen, sie streben!
                              
                              In ihren innersten Fasern ist Leben!
                              
                              Und jedes so ganz Es Selbst, so rein!
                              
                              Könnte nie etwas anders seyn!
                              
                              Ist immer ächter Mensch der Natur,
                              
                              Nie Hirngespenst, nie Caricatur,
                              
                              Nie kahles Gerippe von Schulmoral,
                              
                              Nie überspanntes Ideal!
                              
                              Noch einmal, Psyche, wie flogen die Stunden
                              
                              Durch meines Zaubrers Kunst vorbey!
                              
                              Und wenn wir dachten, wir hättens gefunden,
                              
                              Und was er sey nun ganz empfunden,
                              
                              Wie wurd’ er so schnell uns wieder neu!
                              
                              Entschlüpfte plötzlich dem satten Blick
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                              Und kam in andrer Gestalt zurück;
                              
                              Ließ neue Reize sich uns entfalten,
                              
                              Und jede der tausendfachen Gestalten
                              
                              So ungezwungen, so völlig sein,
                              
                              Man mußte sie für die wahre halten!
                              
                              Nahm unsre Herzen in jeder ein,
                              
                              Schien immer nichts davon zu sehen,
                              
                              Und, wenn er immer glänzend und groß
                              
                              Rings umher Wärme und Licht ergoß,
                              
                              Sich nur um seine Axe zu drehen.
                              
                              O Psyche, warum ist unser Glück
                              
                              Hienieden nur immer ein Augenblick?
                              
                              In seligem Taumel genoß ich ihn kaum,
                              
                              Weg war der zauberische Traum!
                              
                              Und ich – wie weit von dir verschlagen!
                              
                              In einem alten Rumpelwagen,
                              
                              Nicht mehr durch lüftiger Wolken Höh
                              
                              Leichtschwebend von Amors Tauben getragen,
                              
                              Gezogen durch ungebahnten Schnee,
                              
                              Vom Nebel gebeizt, vom Frost gezwickt,
                              
                              Und immer weiter – dir entrückt!
                              
                              Zwar saß in diesen Fährlichkeiten
                              
                              Mir unser Zaubrer noch zur Seiten;
                              
                              Doch wenig half izt ihm und mir
                              
                              Sein Nostradamus! Er konnt’, ums Leben,
                              
                              Nur nicht den Pferden Flügel geben!
                              
                              Da saßen wir große Geister, wir!
                              
                              In Pelze vermummt als wie die Bären,
                              
                              Und (unsern Genieen-Stand in Ehren!)
                              
                              An Leib und Seele sehr contract,
                              
                              Und gähnten einander an im Takt.
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                              Und stell dir vor, (dies ist kein Scherz!)
                              
                              Daß ich, trotz meiner dicken Kruste
                              
                              Von Frost und Dummheit um Kopf und Herz,
                              
                              Dem Zaubrer – Mährchen erzählen mußte!
                              
                              W.
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